: Besetzter Bahnhof in Duisburg vor Räumung
Die Stadtverwaltung sieht der Räumung des Kulturzentrums Backstein-Bahnhof tatenlos entgegegen ■ Von Bettina Markmeyer
Duisburg (taz) - Besetzte Häuser kann man im Ruhrgebiet suchen wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Eins, das einzige in Duisburg, wird vielleicht bald geräumt: der alte Backstein-Bahnhof Neumühl im Norden der Revierstadt. Sieben BewohnerInnen und viele Leute, die sich im Kulturzentrum Backstein-Bahnhof treffen, sehen sich seit Ende letzten Jahres einer neuen Eigentümerin gegenüber, die Eigenbedarf angemeldet hat. Zwei Briefe mit der Aufforderung, ihr Domizil zu verlassen, haben die BewohnerInnen schon aus dem Briefkasten gefischt.
Besetzung vor neun Jahren
Käuferin ist die Tochter eines Bauunternehmers aus der Nachbarschaft. Das Familienunternehmen brauche neue Büroräume, hieß es zunächst. Neuerdings spricht die Firma davon, Sozialräume für ihre wachsende Belegschaft schaffen zu wollen. Wenn ihre Beschäftigten sich nicht bald im ehemaligen Bahnhof umziehen und aufhalten könnten, argumentiert die Eigentümerin wenig überzeugend, müsse man Leute entlassen.
Besetzt wurde der Neumühler Bahnhof vor über neun Jahren. Die Bundesbahn gab ihre Räumungsabsichten bald auf. Sie zog aber vor Gericht und erklagte sich ein „Nutzungsgeld“ von 600 Mark im Monat. Wechselnde BewohnerInnen bezahlten bis Ende 1988, über 55.000 insgesamt. Die Bahnverwaltung ihrerseits vernachlässigte das Gebäude und verweigerte die Genehmigung für einen Stromanschluß. Einen Nutzungvertrag konnten die NeumühlerInnen nie durchsetzen, für einen Kauf fehlte das Geld. Nachdem vor kurzemn durch einen Kellerbrand der hauseigene Generator beschädigt wurde, hantieren die BahnhofsbewohnerInnen wieder mit Kerzen. Stromanschluß haben sie bis heute nicht.
Jahrelang herrschte
Funkstille
Die Strecken, die einmal nach Neumühl führten, sind schon lange stillgelegt. Jenseits des letzten toten Gleises verbirgt eine ausgedehnte Birken- und Gestrüppwildnis gnädig einen dahinterliegenden Autoschrottplatz: Das Ruhrgebiet von seiner verträumten Seite. Für die BewohnerInnen war der Bahnhof ein Ort, an dem sie billig wohnen, sich „ohne Konsumzwang“ treffen und machen konnten, was sie wollten.
Zwischen den autonomen Gruppen im Bahnhof und der Stadt Duisburg herrschte jahrelang Funkstille. Erst in jüngster Zeit beachten Mitarbeiter des Jugendamtes, wie der zuständige Jugendpfleger Buschmann, die „autonome Kulturarbeit im Bahnhof Neumühl“ und meinen damit vor allem die gelegentlichen Konzerte in der ehemaligen Bahnhofshalle. Im Bahnhof gibt es außerdem einen Infoladen, Platz für politische und andere Veranstaltungen und Proberäume für Bands. Die Stadt Duisburg hat sich nie mit der Forderung nach einem Nutzungsrecht für den Bahnhof auseinandergesetzt. Und jetzt, nach dem Verkauf, „muß sie sich erst recht raushalten“, so Jugenddezernent Gerd Bildau. Demgegenüber fordern die BewohnerInnen des Bahnhofs weiterhin Verhandlungen über Nutzungsverträge, an denen sich die Stadt Duisburg beteiligen soll, denn „Aufgabe der Stadt ist es, sowohl Jugend- und Kultur- als auch Wohnungspolitik zu machen“.
Wie schwer sich aber das von einer konservativen SPD regierte Duisburg gerade mit unabhängigen Gruppen tut, zeigt die Tatsache, daß drei Jahre nach der Schließung des letzten unabhängigen Jugendzentrums „Eschhaus“ noch immer kein Ersatz gefunden ist. Und dies, obwohl ebenfalls seit drei Jahren ein sogenannter Standortsuchbeschluß existiert. Unterstützung oder gar Ersatzangebote seitens der Stadt wird es, so die Einschätzung der Duisburger Grünen, für die NeumühlerInnen nicht geben.
Die BesetzerInnen haben unterdessen begonnen, gegen Wohnraumvernichtung und den drohenden Rausschmiß zu protestieren und über ihre Aktivitäten in Neumühl zu informieren. Als sie jedoch im März mit einem angemeldeten Info-Stand an der Duisburger Jugendkulturbörse teilnehmen wollten, rückte prompt die Polizei an. Nach einem überzogenen Einsatz gab es drei Festnahmen. Eine SPD -Ratsfrau entschuldigte sich für die Aktion, die, so die Grünen, „auf typische Weise zeigt, wie Kultur von unten in unserer Stadt ausgegrenzt wird“.
Wie es nun weitergehen wird, ist offen. Die BesetzerInnen wollen bleiben. Die neue Eigentümerin will sie vertreiben. Und die Stadt Duisburg sieht zu.
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