Über die Freiheit der Leere

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(Plusminus, Fr., 21.50 Uhr, ARD) Meine Geißel, die ich neben dem Fernsehsessel liegen habe, um mich im Falle etwaigen Amüsements zu züchtigen, sie blieb unangetastet, denn Wirtschaftsmagazine wie Plusminus sind meist spröder Stoff, den ich darum gewöhnlich meide wie ein Hühnchen den „Wienerwald“. In dieser Ausgabe aber ging es unter anderem um die so beklagenswert langen Studienzeiten bundesdeutscher HochschülerInnen, ein komplexes Thema. Leute wie Dr. Tyll Necker, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, die junges Kanonenfutter für den Arbeitskampf benötigt, jammern darüber, daß bundesdeutsche StudentInnen im Schnitt erst mit 28 Jahren ins wahre, nämlich ins berufliche Leben eintreten. Das ist nach Neckers Ansicht „im Verhältnis zu anderen Ländern sehr spät. Sie haben damit Wettbewerbsnachteile gegenüber Studenten der anderen europäischen Länder.“ Necker, grob geschätzt so um die 50, weiter: „Wenn bei uns junge Menschen die kreativste Zeit nicht mehr im Beruf, sondern an Hochschulen absolvieren, dann ist das ein klarer Nachteil für die Wirtschaft und die Menschen selbst.“ Man merkt's an seiner unbeholfenen Rhetorik, daß die Führungsriegen der deutschen Wirtschaft dringend verjüngt werden müssen... Fatalerweise haben diese auf Wirtschaftsmatrosen hoffenden Wirtschaftskapitäne recht, wenn sie den Universitäten Ineffektivität, Bürokratie und beamtenhaften Schlendrian vorwerfen. Das betrifft nicht nur die von Plusminus ausgewählten Extrembeispiele, sondern den ganz normalen Studienalltag, wenn behäbige Fachbereichssekretärinnen nur unter Mühen vom Kaffeetische weggelockt werden können, um ein dringend benötigtes Formular auszuhändigen, wenn kleinliche Eifersüchteleien zwischen den Fraktionen die Arbeit im Fachbereichsrat behindern, wenn unmotivierte, uninteressierte, mürrische BibliothekarInnen die Nutzung der Unibibliothek zum Spießrutenlaufen machen und nicht vorhandene oder langfristig ausgeliehene Bücher gute Gründe liefern, die benötigte Literatur lieber auf eigene Kosten zu beschaffen (wozu das Geld per Nebenerwerb verdient werden muß, was sich negativ aufs Lernergebnis auswirkt etc. pp.). Eine Reform, genauer: Demokratisierung der Universitäten wäre also ratsam, der Grund aber sollte sein, vielfältiger und unter besseren Bedingungen zu lernen, nicht aber, vorzeitig in die Tretmühle geschickt und ebenso vorzeitig zum Frührentner zu werden, mal ganz abgesehen davon, daß unsere Universitäten keine Ausbildungsbetriebe für die Wirtschaft darstellen (sollten).

Herr Dittmeyer