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Müll in den USA

Später als den Bewohnern anderer Industrieländer steht jetzt auch den US-Amerikanern ihr Müll bis zum Halse  ■  Aus Washington Silvia Sanides

„Leider Styropor“, entschuldigt sich Daryl Braithwaite, während sie mir den dampfenden Kaffee im umweltfeindlichen Becher überreicht. Styropor will sie aus ihrem Büro verbannen. Immerhin hat sogar das US-Innenministerium vor kurzem bekanntgegeben, daß seine Angestellten in der Kantine zukünftig nicht mehr von Styropor oder Plastik speisen sollen. Und so umweltbewußt wie der amerikanische Innenminister, der nur zehn Kilometer weiter südlich in der Washingtoner Innenstadt sitzt, ist Daryl Braithwaite, Recyclingkoordinatorin des Städtchens Takoma Park, allemal. Ich habe Glück, sie im Büro anzutreffen. Im Frühjahr wird sie wieder mit der Müllabfuhr unterwegs sein und den Müll der Takoma Parker durchwühlen. Braithwaite ist nicht nur Recyclingkoordinatorin, sondern auch Müllpolizistin.

Seit einem Jahr gilt für die 16.000 Einwohner von Takoma Park ein Recyclinggesetz. Zeitungen, Glas und Aluminium müssen vom restlichen Haushaltsmüll getrennt und in separaten Behältern an den Straßenrand gestellt werden. Wer nicht mitmacht, bekommt mit der Müllpolizistin zu tun. Und die hat Erfahrung: „Die Sünder habe ich schnell erwischt. Auffallend schwer sind die Mülltüten mit Glas. Zeitungspapier kann man fühlen und im Zweifelsfall wende ich die Geräuschmethode an. Das geübte Ohr erkennt sofort den Klang von Glas oder Aluminium, wenn man eine suspekte Mülltüte aus angemessener Höhe zu Boden fallen läßt. Nach einigen Verwarnungen haben die meisten Takoma ParkerInnen kapiert, was das Gesetz verlangt“, erklärt Braithwaite. Nur in seltenen Fällen muß die Müllpolizei zu strengeren Maßnahmen greifen. Ob dabei die Erhebung von vierzig Mark Strafe oder die Taktik der Stadt, gesetzeswidrigen Müll am Straßenrand liegen zu lassen, effektiver ist, bleibt unklar. Jedenfalls funktioniert das Programm: Takoma Park wird im ersten Jahr seines Recyclinggesetzes den Fluß zur Müllkippe um 16 Prozent drosseln und damit 50.000 Dollar einsparen.

Bis hundert Dollar pro Tonne müssen amerikanische Städte heute aufbringen, wenn sie ihren Abfall auf Müllkippen oder in Verbrennungsanlagen loswerden wollen. Eine gesalzene Rechnung, da die Nation immerhin 400.000 Tonnen Müll am Tag, 150 Millionen Tonnen im Jahr produziert.

Müll gibt es bekanntlich nicht nur in den USA. Doch warum gibt es hier viel mehr als in anderen Wohlstandsgesellschaften? Auch heute noch sind die Amerikaner „number one“ in der Müllproduktion, obwohl ihr Lebensstandard diesen Rang schon lange nicht mehr einnimmt. Der durchschnittliche New Yorker produziert 1,8 Kilogramm Müll am Tag, der Hamburger dagegen nur 0,85 Kilogramm. Wie das?

Da sind zum Beipiel die Gartenabfälle: Achtzehn Prozent des amerikanischen Mülls besteht aus Blättern, Zweigen und Gras. Öfter als im dichtbesiedelten Europa oder Japan ist den Amerikanern nämlich das Glück im Grünen beschieden. Kompostierungsanlagen sind denn auch in vielen Städten der erste Schritt im Kampf gegen den Müll.

Papier, erklärt der Leiter des Garbage Project (Müllprojekt) an Universität Arizona, William Rathje, ist für einen Großteil der Müllmisere verantwortlich. Papier, stimmt auch Braithwaite zu, wird ihr ihren Job noch lange erhalten. Dreißig Prozent allen amerikanischen Mülls ist Papier: Zeitungen, Verpackungen und Berge von Junk-Mail, Postwurfsendungen, die jeden Tag ungelesen in den Müll wandern.

Am meisten Verantwortung für ewig wachsende Müllberge tragen jedoch die modernen Verpackungskünstler. Vom Volumen her besteht 50 Prozent des amerikanischen Haushaltsmülls aus Verpackungen. Konkurrierende Firmen wollen die Aufmerksamkeit des Verbrauchers mit immer aufwendigeren Verpackungen auf sich ziehen. Die moderne doppelverdienende Familie kauft Fertiggerichte, verpackt in Folien, Kartons und Plastikhüllen. Fast einer von zehn Dollar, die die Amerikaner für Nahrungsmittel ausgeben, geht für Verpackung drauf: Im Jahr 1986, so errechnete das US -Landwirtschaftsministerium, insgesamt 28 Milliarden Dollar, mehr als die US-Banken netto verdienten.

Während in der BRD heute schon ein Drittel und in Japan sogar zwei Drittel des Mülls verbrannt werden, landen in den USA nur etwa zehn Prozent des häuslichen Abfalls in Verbrennungsanlagen. Bemühungen der Gemeinden, Versäumtes nachzuholen und mehr Verbrennungsanlagen zu errichten, scheitern immer häufiger an den Einwänden umweltbewußter Bürger. Grund genug für Protest gegen die Dioxin- und Schwermetall-speienden Anlagen gibt es. Spezielle Emissionsschutzgesetze für Verbrennungsanlagen existieren in den USA noch nicht, und Dollar-gierige Unternehmer sind eifrig dabei, die Gesetzeslücke auszunutzen.

Die Firma Ogden Martin zum Beispiel, Lizenz-Unternehmen der deutschen Martin GmbH, profitiert vom amerikanischen Müllnotstand. Zehn der Verbrennungsanlagen vom deutschen Typ hat Ogden Martin bereits gebaut, weitere 21 sind unter Vertrag. Vertreter von Umweltorganisationen, die beispielsweise fordern, daß die in den Verbrennungsanlagen entstehende Asche als Giftmüll entsorgt wird, haßt Ogden -Martin-Chef David Sokol mit Leidenschaft. In einem Interview mit dem 'Wall Street Journal‘ ließ er sich ungezwungen über die Umweltevangelisten aus, die ihm ins Handwerk pfuschen.

Die US-Umweltbehörde in Washington beginnt erst jetzt, Richtlinien für Müllgruben und Verbrennungsanlagen zu erlassen. Gesetzesinitiativen sehen vor, daß das Sickerwasser aller Müllkippen abgefangen wird, und daß ein bestimmter Anteil von Papier, Glas und Metall aus dem für Verbrennungsanlagen bestimmten Müll zur Wiederverwertung gewonnen werden muß. Doch Washingtons Mühlen mahlen langsam. Deshalb ergreifen Bundesstaaten, Städte und Regierungsbezirke immer öfter ihre eigenen Initiativen: Die Stadt Minneapolis verbietet ab Mitte des Jahres alle nur irgendwie entbehrliche Plastikverpackungen für Nahrungsmittel in ihren Grenzen, der Staat Vermont will Wegwerfwindeln verbannen, während Oregon und Washington dieselben mit einer gesalzenen Umweltabgabe besteuern wollen.

Doch bis der Müllfluß gestoppt wird, werden noch viele Kippen neu eröffnet und viele Verbrennungsanlagen errichtet werden müssen. Häufig versucht man, sich des Mülls durch Wegwerfen in ländlichen Gebieten zu entledigen, wo die Bevölkerung arm, wenig organisiert und unpolitisiert ist.

Armut und Arbeitslosigkeit haben zum Beispiel die Campo -Missionsindianer dazu bewegt, ihr Reservat für eine Mülldeponie der hundert Kilometer entfernten Millionenstadt San Diego (Kalifornien) zur Verfügung zu stellen. Vertreter der Firma Ogden Martin haben den 250 Stammesmitgliedern Millionen von Dollar jedes Jahr für Schulen, Wohnungsbau, Sozialprogramme und Arbeitsplätze versprochen. Über die Hälfte der Reservatsbewohner ist arbeitslos. Laut amerikanischem Gesetz dürfen die Indianer selbst entscheiden, was in ihren Reservaten geschieht.

Doch die Rancher, die im Umkreis des Reservats leben, befürchten eine Verseuchung des ohnehin knappen Grundwassers. Die Auseinandersetzung zwischen Indianern und Ranchern nimmt immer bösartigere Züge an. Die Bemerkung des Stammesvorsitzenden Ralph Goff, daß mit dem Land ehe nichts anzufangen sei, entrüstet die Rancher, die in dieser gottverlassenen Wüstenlandschaft, sechzig Kilometer vom nächsten Supermarkt entfernt, Viehzucht betreiben und Gemüse anbauen.

Der New Yorker Arol Wulf, heute Leiter von Zendick Farm, einer Landkommune in der Nähe des Campo Reservats, hat den Indianern den Kampf angesagt: „Wir werden verhindern, daß die Indianer das Land ruinieren“, erklärte er gegenüber der Presse. So schafft es der Wohlstandsmüll, vierhundert Jahre amerikanische Geschichte auf den Kopf zu stellen.

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