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Katyn bleibt Prüfstein für die Polen

Vor fünfzig Jahren wurden in Katyn über 4.000 polnische Offiziere von den Sowjets ermordet / Erstmals gestehen die sowjetische Presse und sowjetische Wissenschaftler die Verantwortung des Geheimdienstes NKWD für die Ermordung ein / Immer noch bleibt vieles ungeklärt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

In Polen hat man es mit Genugtuung aufgenommen: 50 Jahre nach den Morden von Katyn haben sich erstmals sowjetische Wissenschaftler öffentlich zur Verantwortung des NKWD (des Vorgängers des KGB) für die Massenmorde bekannt. „Wir haben kein Recht, das gemeinsame Unglück unserer älteren Generation in einen Faktor der Spaltung ihrer Nachkommen zu verwandeln“, schrieb der Philosoph Aleksander Cypko in den 'Moskowskie Nowosti‘. Nüchtern betrachtet, hätten Perestroika und Glasnost die Probe Katyn nicht bestanden.

Adam Michnik stimmt ihm da in der 'Gazeta Wyborcza‘ zu: Katyn sei für Polen stets der Prüfstein für die Aufrichtigkeit sowjetischer Bekundungen gegenüber Polen gewesen. „Nicht die Wahrheit über Katyn hat uns verfeindet, sondern das Lügenmüssen“, schreibt Michnik. Dabei hat Polen, das zur Zeit mit großem Aufwand, Mahnwachen, Gedenkgottesdiensten und zahllosen Publikationen den Jahrestag der Ermordung seiner Offiziere begeht, stets selbst mit seinen eigenen Verwicklungen in Sachen Katyn zu kämpfen gehabt. Denn nach wie vor ist an dem Massenmord, den die Sowjetunion bisher stets der deutschen Wehrmacht anlastete, vieles unklar. Dies betrifft nicht nur fast 10.000 Offiziere, deren Grabstätten im Gegensatz zu denen der Insassen des Lagers Kozielsk, die in Katyn erschossen wurden, nie gefunden wurden, sondern auch Polens Versuche, unmittelbar nach dem Krieg Licht in die Affäre zu bringen.

Bis heute ist unklar, ob jene nach wie vor vermißten Offiziere im Weißen Meer oder, wie eine polnische Zeitung unlängst spekulierte, einem See ähnlichen Namens im Westen der UdSSR ertränkt wurden, wie manche behaupten. Aus in den Westen gelangten NKWD-Akten, die bereits in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden, schien wiederum hervorzugehen, daß sie in Massengräbern bei Kiew verscharrt worden seien. In diese Richtung weisen auch Hinweise, die Anfang der achtziger Jahre in polnischen Emigrantenzeitungen im Westen abgedruckt wurden, wonach bei der Schlacht um Charkow 1943 von deutschen Soldaten Massengräber entdeckt wurden, die jedoch nicht geöffnet werden konnten, da sich die Wehrmacht zurückziehen mußte.

Einer, der vielleicht wußte, was es mit den verschwundenen Offizieren auf sich hatte, war der Staatsanwalt beim Krakauer Sondergericht, Roman Martini. Bis heute ist unklar, welche Rolle er wirklich spielte, sicher ist jedoch, daß er nach dem Krieg alle jene polnischen Zeugen verhörte, die von den deutschen Besatzungsbehörden nach Katyn zur Begutachtung der Massengräber geholt worden waren. Martini ließ unter anderem Mitglieder des Polnischen Roten Kreuzes wegen Kollaboration suchen, die die Einladung der Deutschen angenommen hatten. 1945 herrschte in Polen praktisch Bürgerkrieg, von einer wirklichen Regierung konnte kaum die Rede sein. Angeblich hatte Martini auch den Auftrag, insgeheim den Fall Katyn zu klären. Martini soll sich auch damit gebrüstet haben, daß er geheime Materialien zum Thema besitze. Bis heute wird daher seine Ermordung 1946 durch zwei junge Mitglieder der Kommunistischen Partei damit in Verbindung gebracht. Vor Gericht kam nur das Mädchen, das aussagte, sie habe mit ihrem Freund Martini „auf Anweisung von oben“ umgebracht. Aus der Wohnung verschwanden Martinis Unterlagen zum Thema Katyn. Der Freund der anschließend zu 15 Jahren Gefängnis Verurteilten wurde zwar kurz darauf auf der Flucht festgenommen, kam aber nie vor Gericht.

Das Thema Katyn tauchte in der Nachkriegszeit immer wieder auf. So soll Gomulka 1956 von Chruschtschow eine klare Stellungnahme zu Katyn gefordert haben. Das gleiche erwarteten viele Polen von Gorbatschow, als dieser 1988 Polen besuchte. Gorbatschow schwieg ebenso wie die gemeinsame Historikerkommission der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und der KPdSU, die sich nie zu einer klaren Stellungnahme aufraffen konnte. Einige ihrer Mitglieder griffen gar die polnischen Kollegen in sowjetischen Zeitungen an. Auch jetzt hat sich die Führung in Moskau noch nicht zu klaren Worten aufgerafft.

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