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Ächzen, aber auch Gelächter

■ Über die Renaissance der jüdischen Klezmer-Musik / Vom „Schtetl“ nach Amerika und wieder nach Europa

Christoph Wagner

Sie gehörten so selbstverständlich zur Welt der Ostjuden wie Borschtsch und Kartoffeln. Vor allem bei Hochzeiten waren sie gefragt. Dann „sägten (sie) auf ihren Fiedeln herum, schmetterten mit ihren Trompeten, ließen das Becken erschallen, hämmerten auf die Trommeln und piepsten auf Flöten und Dudelsäcken.“ So hat sie Isaac B. Singer erlebt und ihnen in seinen Romanen immer wieder kleine Denkmäler gesetzt: Den Klezmorim, den jüdischen Musikanten, und ihrer Musik, der Klezmermusik, der alten Tanzmusik der jiddisch sprechenden Juden Osteuropas.

In einem jüdischen Witz klingelt ein Mann an der Villa von Mandelbaum. „Haben Sie ein Almosen für einen stellungslosen Musiker?“ - „Wieso stellungslos? Was spielen Sie denn?“ fragt es zurück. „Ich spiele Fagott.“ - „Ja, sind Sie total verrückt! Warum spielen Sie fa Gott? Warum spielen Sie nicht fa die Leit?“ - Ein Problem, das die Klezmermusik nie hatte. Sie wurde seit jeher für die Leute gemacht. Nur dadurch erhielt sie ihre Berechtigung. Ohne den Kontext von Fest und Feier war sie überhaupt nicht denkbar. Erst durch die fröhliche Ausgelassenheit begann sie zu leben. Erst wenn „die Menge tanzte, sang und hüpfte“, kam sie in Hochform. Sie brauchte die aufgekratzte Hochstimmung wie die Luft zum Atmen, als Stimulans, als Lebenselexier. Ihre Wurzeln reichen weit zurück. Schon im 16. Jahrhundert zogen die Klezmerim, als fahrende Spielleute, durch die Dörfer und Städte Galiziens, Rumäniens und des alten Polens, um bei Jahrmärkten „aufzuspielen“ - auch überall sonst, wo getanzt wurde. Als sie später seßhaft wurden, holte man sie aus der näheren oder weiteren Umgebung, um zu den verschiedensten Anlässen die Musik zu liefern - vor dem unterschiedlichsten Publikum. Das prägte ihren Stil. Am erfolgreichsten waren die Musikanten, die alles spielen konnten, was verlangt wurde - egal ob Militärmärsche, Bauernpolkas oder Wienerwalzer. Es kam darauf an, möglichst viel und immer die passende Musik parat zu haben. Das machte zweierlei nötig: Zum einen mußte man ein enormes Repertoire im Kopf haben, was sehr wörtlich zu verstehen ist. Da die Klezmorim aus einer mündlichen Musiktradition kamen und keine Noten lesen konnten, waren sie auf ihr gutes Gedächtnis und ihr gutes Gehör angewiesen. Andererseits mußte man mit seinem Repertoire immer auf dem Laufenden sein. Deshalb griffen die jüdischen Musikanten all die neuen Melodien und Tanzweisen auf, denen sie begegneten und verleibten sich so alles ein, was sie hörten: deutsche, polnische und russische Lieder, ungarische und bulgarische Tänze, rumänische Melodien, Mazurkas, Volksmusik aus Böhmen und Mähren, Walzer, Zigeunermusik und Märsche. Aus diesen vielen Einflüssen formte sich mit der Zeit ein eigener, unverwechselbarer Stil - die Klezmermusik.

Der jiddische Ausdruck „Klezmer“ (Plural: Klezmorim), der ganz allgemein „Musiker“ bedeutet und in einem spezielleren Sinne den „Volksmusikanten“ meint, geht auf eine hebräisch -aramäische Wortverbindung zurück: Auf „K(e)ley“ und „zemer“, was soviel wie „Musikinstrument“ heißt.

Die Anlässe, zu denen die jüdische Tanzmusik gespielt wurde, waren nicht so zahlreich. Wohl gab es die religiösen Feiertage „Simchat Tora“ (Fest der Gesetzesfreude) „Chanukka“ (Lichtfest) und „Purim“ - hier gehörte Musik und Tanz neben Alkohol zum festen Inventar. Auch brauchte man Musik bei den Beschneidungsfesten. Doch war die Hauptsaison im Winter, wie man über die Kapelle von Herschko, dem Musikanten, erfahren kann: „Es gab dann Feuerwehrs-, Veteranen- und Kasinobälle, wie auch diverse Tanzkränzchen. Am einträglichsten waren die Hochzeiten. Diese gehörten aber hier zu den seltenen Ereignissen, weshalb der Verdienst der Kapelle ziemlich karg war und deren Mitglieder gezwungen waren, neben diesem, ihrem Künstlerberufe, noch einen anderen auszuüben.“

In dieser Hinsicht machte Herschkos „Kapelye“ keine Ausnahme. „Die Musiker sind sehr arm“, berichtet Joseph Roth. „Man bezahlt sie miserabel, und sie sind froh, wenn sie gute Speisen und Lebkuchen für ihre Familie mitnehmen dürfen. Sie bekommen von den reichen Gästen, denen sie „aufspielen“, Trinkgelder.“

Das Instrumentarium einer Klezmergruppe bestand in der frühen Zeit in ihrem Kern aus Fiedel, Flöte, Trommel und „Tsimbl“ - einem Hackbrett. Damit war kein Metzgerwerkzeug gemeint, sondern ein holzkastenartiges Saiteninstrument, das mit Klöppeln „gehackt“, das heißt geschlagen wurde. In der alten jüdischen Tanzmusik war das „Tsimbl“ ein zentrales Instrument. Neben Geige und Baßgeige ist es auf Stichen des 18. Jahrhunderts zu sehen. Man geht aber davon aus, daß die Klezmorim es schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts in Gebrauch hatten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es mehr und mehr von den aufkommenden Blasinstrumenten (Kornett und Tuba) sowie der Ziehharmonika verdrängt.

Klezmermusik heute - das sind die Klänge einer Welt, die es nicht mehr gibt, ausgerottet in den Vernichtungslagern der Nazis. Klezmermusik damals - das waren die Klänge des „Schtetls“, jenen autonomen jüdischen Gemeinden Osteuropas, die nicht Ghetto waren, also keine Anhängsel einer christlichen Stadt, sondern selbständige jüdische Kommunen, „kleine Inseln, verstreut in einem Ozean Andersgläubiger“ (Chaim Weizmann).

Ihre Bewohner waren zumeist arm, sogenannte „Luftmenschen“, wie sie selber sagten, die von der „Luft“ lebten oder von „Luftgeschäften“, die in der Regel schiefgingen. Sie waren kleine Krämer, sogenannte „Dorfgeher“, Hausierer, Handwerker, Arbeiter, Lattenträger, Bettler, Schreiber, Gelehrte, Ärzte und Advokaten.

In dieser „traurigen Gemeinschaft der Verfolgten“ (Joseph Roth) waren zwei Geräusche allgegenwärtig: „Seufzen, viel Seufzen und Ächzen, aber auch Gelächter, gutmütiges und spöttisches“ (Manes Sperber). Gefühlsäußerungen, wie man sie auf der Klarinette am vortrefflichsten imitieren konnte. Möglicherweise eine Erklärung dafür, daß die Klarinette im 19. Jahrhundert in der Klezmermusik mehr und mehr die Flöte ersetzte, als zweites Melodieinstrument neben der Geige. Als „lachende“ Klarinette ist sie heute ein unverwechselbares Stilmerkmal jeder Klezmerband. Giora Feidman spielt sie meisterhaft. Er wird der „King of Klezmer“ genannt. Feidman ist ein klassisch geschulter Musiker der älteren Generation, der 20 Jahre im Israel Philharmonic Orchestra gespielt hat, bevor er die Klezmerklänge entdeckte. Mit seiner Tonartistik veredelt Feidman die alten Tanzweisen zu konzertanter Kunstmusik. Und er hat mit dieser Spielauffassung Nachahmer gefunden: The Klezmer Conservatory Band aus Boston/USA fühlen sich auch eher einer akademischen Musizierpraxis verpflichtet.

Neben den neuen Instrumenten, die im 19. Jahrhundert die Klezmermusik revolutionierten, führte die große Auswanderungswelle, die ab 1881 in Osteuropa einsetzte, zu einer weiteren stilistischen Veränderung. Nach einer Welle von Pogromen verließen zwischen 1890 und 1914 über eine Million Juden allein das Russische Reich, die meisten Richtigung Amerika. Hier stieg der Anteil der jüdischen Bevölkerung sprunghaft an: von 8.000 die 1820 in den USA lebten, auf ungefähr eine Million zur Jahrhundertwende.

Mit ihrer Religion, ihrer Kultur, ihren Bräuchen brachten die osteuropäischen Juden auch ihre Musik in die Neue Welt. Die Bikriker Kapelle, das Abe Schwartz Orchestra und Elenkrig's Orchestra führten die Tradition der jiddischen Tanzmusik in den USA fort, indem sie - konfrontiert mit einer fremden, bunten Welt - sich auf eine alte Tugend besannen: Nicht abschotten, sondern offen sein für Neues. So fanden, anfangs noch eher zaghaft, Ragtime- und Dixieland -Elemente Eingang in die Klezmermusik. In den vierziger und fünfziger Jahren wurde dann jede musikalische Mode „klezmerisiert“. Als genialer Umwandler erwies sich dabei der Sänger Mickey Katz, der Mitglied in der Gruppe City Slickers des Entertainers Spike Jones war. In der Art eines Groucho Marx der Populärmusik brachte er mit anarchischem Witz jeden Schlager in eine skurile Klezmerform. „Home on the range“ wurde bei ihm zu einem bizarren „Yiddish Country & Western„-Song mit dem Titel: „Haim afen range.“ Aus einem Mambo wurde der „Yiddishe Mambo“, aus einer Hawai-Gitarren -Schnulze ein Schmachtfetzen mit dem Titel: „Scholom Aloha“ und Bill Haley's „Rock around the Clock“ fand sich zu einem chassidischen Rock'n Roll im „borscht beat“ umgemodelt. Die sechziger Jahre brachten im Zuge des Folk-Revivals eine abermalige Klezmer-Renaissance in den USA mit Gruppen wie „The Klezorim“ und „Kapelye“. Heute spielen aktuelle Bands, wie die New Yorker „Klezmatics“, einen zeitgemäßen Klezmersound, der die alte jüdische Musik mit Rockelementen und fast schwarzem Funk-Rhythmus zu einer modernen „Yiddisch Soulmusic“ umpflügt - ohne sie allerdings ihrer Substanz zu berauben.

In Europa scheint ebenfalls wieder ein stärkeres Interesse zu erwachen. In Holland, Polen, Schweden und der Bundesrepublik gibt es Ensembles, die sich die Pflege der jüdischen Musikkultur zur Aufgabe gemacht haben. Musikalisch aus der Waldeck-Tradition kommend, sind die bundesdeutschen Gruppen und Sänger weniger von der Instrumentalmusik, als von den jüdischen Liedern und dem Jiddisch als Sprache fasziniert. Die Folkformation „Espe“ aus Saarbrücken hat mit ihrer Arbeit einige Anerkennung gefunden, ähnlich Manfred Lemm, dessen Vertonungen von Volksliedern des Krakauer Handwerkerdichters Mordechaj Gebirtig (1877 bis 1942) durch seine exzellente Band, bestehend aus Streichinstrumenten, Balalaikas, Akkordeon und Klarinette, auf eine beachtliche Resonnanz gestoßen sind. Diskographie:

Klezmer Music: The First Recordings, Folklyrik Records 9034. Klezmer Music 1910-1942, Folkways Records FSS 34021. Giora Feidman: The Singing Clarinet, Pläne 88 581 G. The Klezmer Conservatory Band: Jumpin‘ Night in the Garden of Eden, Rounder Records 3105. The Klezmorim: Streets of Gold, Arhoolie Records 3011. Kapelye: Chicken, Shanachie-Records 21 007. The Klezmatics: Shvaygn Toyt, Piranha CD20. Espe: Jankele, Espe-Musik ES 55 095. Manfred Lemm & Ensemble: Der Singer Fun Nojt, Edition Künstlertreff. (Bezug: Edition Künstlertreff/Schallplattenversand, Futterstr. 20 56 Wuppertal 2, Tel: 0202/559 487) Aktuelle Konzerttermine:

Let's Klez - mit The Klezmer Conservatory Band, Manfred Lemm & Ensemble u.a. (Wuppertal, Schauspielhaus, 26. April)

II. Jüdisches Kulturfestival Krakau 1990, (27. bis 30. April) mit u.a. Espe, Manfred Lemm, The Klezmer Conservatory Band.

Giora Feidman auf Tournee: Bremerhaven (25. April), Hamburg (26. April), Oldenburg (27. April), Osnabrück (28. April), Heidelberg (29. April), Dortmund (30. April), Tübingen (4. Mai), Zell (6. Mai).

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