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Mülheim-Kärlich: Genehmigung um jeden Preis

Behördeninterne Notizen belegen: Kohls Kabinett genehmigte 1975 das Atomkraftwerk noch vor dem Abschluß der TÜV-Prüfung / TÜV-Gutachter kungelten um „Reisekosten“ mit der Herstellerfirma BBR / Umweltminister Beth zeitweise im Verwaltungsbeirat des RWE  ■  Von Joachim Weidemann

Mainz (taz) - Neue schwere Vorwürfe bezüglich der Genehmigung des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich ergeben sich aus behördeninternen Unterlagen, die der taz vorliegen. Die Vorwürfe betreffen sowohl die Mainzer Landesregierung der Ära Helmut Kohl als auch den TÜV Rheinland und den jetzigen Mainzer Umweltminister Alfred Beth (CDU).

Notizen über Telefonate des TÜV Rheinland belegen: Das Mainzer Kabinett boxte 1975 eine erste AKW-Teilgenehmigung für Mülheim-Kärlich durch, noch bevor der TÜV die grundlegenden Fragen der Erdbebengefährdung des Standorts und des Reaktortyps abschließend geklärt hatte. Dies übertrifft sogar die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts Berlin (BVerwG), das 1988 die 1. Teilgenehmigung (1.TG) des AKWs in einer aufsehenerregenden Entscheidung als rechtswidrig verworfen und damit den Reaktor bis heute stillgelegt hatte. Das BVerwG aber ging in seinem Urteil noch davon aus, daß die 1.TG erst „nach Begutachtung durch den TÜV Rheinland“ erteilt worden sei, nicht bereits vorher. Die Rechtsverstöße der damaligen Landesregierung scheinen somit gravierender zu sein als vom BVerwG angenommen.

Die Vorgeschichte: Am 9. Januar 1975 erteilten Kohls Wirtschaftsminister Heinrich Holkenbrink (CDU) und Gesundheitsminister Heiner Geißler (CDU) dem RWE eine 1.TG für den 1.300-Megawatt-Reaktor Mülheim-Kärlich. Offenbar wurde auf die Arbeit des TÜV keine Rücksicht genommen. Denn am 13. Januar 1975 teilte der TÜV-Gutachter Wolfhard Meier dem für Mülheim-Kärlich zuständigen Landratsamt Mayen -Koblenz telefonisch mit, er könne AKW-Anfragen des Landratsamtes nicht beantworten, da „die Prüfung“ trotz der 1.TG „noch nicht abgeschlossen ist“. Es seien „wegen der schwierigen Standortfrage (Erdbebengehalte) und wegen des Reaktortyps (...) noch Fragen zu klären“.

Doch der Reaktorbau nahm seinen Lauf. Und TÜV-Gutachter Meier, der sein Wissen nicht weiter an die große Glocke hängte, machte prompt Karriere: Am 16. Januar wurde er zum Referenten im Mainzer Wirtschaftsministerium befördert. Meiers früherer Arbeitgeber indes, der TÜV Rheinland, rückt immer tiefer ins Zwielicht. Denn sogenannte „unabhängige“ TÜV-Gutachter kassierten im Zusammenhang mit dem AKW um das Jahr 1973 von der Mannheimer Herstellerfirma Brown Bovery Reaktorbau (BBR) Reisekosten in unbekannter Höhe. Merkwürdig ist aber auch, daß sich die AKW-Erbauer einschalteten und unmittelbar mit dem TÜV um Reisespesen kungelten.

Diese Mauscheleien werden belegt durch ein Schreiben, das der TÜV-Direktionsbereich „Kerntechnik“ am 2. November 1973 an das Wirtschaftsministerium schickte: „In dem mit der Firma BBR in Mannheim geführten Gespräch hat sich diese mit der Übernahme der Reisekosten für Tätigkeiten unserer Sachverständigen in USA, Japan und Frankreich - wie sie auch von Ihnen vorgeschlagen wurden - einverstanden erklärt. Wir glauben, daß die von uns vorgeschlagene Regelung auch Ihre Zustimmung findet.“ Adressat des TÜV-Briefes war Wirtschafts -Ministerialrat Henner Graeff. Der vermerkte nur kurz am Rande „O.K.“.

Auf ein Okay zum Wiederanfahren des AKWs hofft seit Monaten auch der Betreiber, das RWE. Doch der Zweckoptimismus des Stromriesen erhält immer mehr Dämpfer. Einer Vorlage des Mainzer Ministerrats vom 9. September 1988 zufolge mußten für das AKW überraschend zwei weitere „Diplomingenieure für Kerntechnik/Sicherheitstechnik“ eingestellt werden - wegen einer „zusätzlichen Belastung“. Diese ergibt sich nach Ansicht des Ministerrats „aus der sehr schwierigen Fragestellung, inwieweit die inzwischen errichtete Anlage mit dem seither fortentwickelten Stand von Wissenschaft und Technik übereinstimmt“.

Bemerkenswert ist: Just an jenem 9.9.1988, von dem das Ministerpapier datiert, hatte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Horst Sendler, das vorläufige Aus fürs AKW verkündet. Die prompte Mainzer Reaktion und die Bedenken in jenem Ministerpapier legen die Vermutung nahe, daß Mainz 1988 entgegen bisheriger Aussagen schon vorab Wind davon bekommen hatte, daß das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Stillegung des AKWs führen würde.

Doch Zweifel am AKW gab es innerhalb der Ministerien schon 1979 nach dem schweren Unfall im AKW Harrisburg. Der Reaktor von Three Mile Island ähnelt in Bau und Funktion dem AKW Mülheim-Kärlich. Das Mainzer Kabinett wies damals intern darauf hin, daß selbst das RWE bezüglich Müheim-Kärlich Bedenken hege: Das AKW sei kaum noch in allen Teilen auf den neuesten Stand zu bringen. Die einstigen Einwände aber scheinen vergessen. Das RWE bekundete jüngst wiederholt, es sehe einer baldigen Wiederinbetriebnahme entgegen. Das AKW sei gut in Schuß und könne jederzeit ans Netz gehen.

Baut das RWE dabei auf seine guten Beziehungen ins Umweltministerium? Dort bestehen inzwischen Zweifel an der Unbefangenheit des Umweltministers Alfred Beth (CDU), der demnächst über den AKW-Antrag des RWE entscheiden muß. Beth selbst nämlich war noch zu seiner Zeit als Landrat in Altenkirchen zeitweise im Dienste des RWE tätig: als Mitglied im RWE-Verwaltungsbeirat und als Vertreter des Verbandes der kommunalen Aktionäre.

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