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Neues von der Vierten Gewalt

■ J.Herbert Altschull: Agenten der Macht. Die Welt der Nachrichtenmedien

Die an der ehrwürdigen Johannes-Gutenberg-Universität Mainz etablierte Publizistik-Wissenschaft wirft den deutschen Journalisten mit konstanter Bosheit vor, sie seien weniger am Ziel objektiver Berichterstattung orientiert als Journalisten in anderen Ländern. Im Unterschied zu ihren angelsächsischen Kollegen beispielsweise verstünden sie sich als „vierte Gewalt“, die soziale Mißstände aufdeckt und die politischen Machthaber kontrolliert. Je krampfhafter die Firma Noelle-Neumann, Kepplinger, Donsbach & Co. dies als wertfreie empirische Tatsachenfeststellung ausgibt, desto deutlicher wird ihr leitendes Geschäftsinteresse, mit scheinbar „objektiven“ Argumenten eine Publizistik zu diffamieren, die es wagt, über bestehende Zustände hinauszudenken und sich eine gesellschaftliche Aufgabe zu stellen.

Angesichts solch teutonischer Verbohrtheit, die nur allzu deutlich eine Projektion der eigenen Ideologiebefangenheit auf die Journalisten ist, tut es gut, einmal nachzulesen, was eigentlich ein nordamerikanischer Kommunikationswissenschaftler selbst über die Berufsauffassung der Journalisten in seinem Land schreibt. J.Herbert Altschull ist lange Zeit als Reporter und Korrespondent für so renommierte Publikationen wie die 'New York Times‘ oder 'Newsweek‘ tätig gewesen, bevor er 1979 zum Professor für Journalistik an die Universität von Indiana berufen wurde.

Er formuliert locker und schnörkellos, im unbefangenen Zugriff auf den Gedanken. Das tut der Präzision seiner Gedankenführung nicht nur keinen Abbruch, es stellt sie überhaupt erst her. Altschull erweist sich damit als Vertreter jenes in den angelsächsischen Ländern häufigen Wissenschaftler-Typs, der sich in der Berufspraxis ebenso auskennt wie in ihrer theoretischen Reflexion und in dessen Karriere der Wechsel zwischen den beiden Bereichen die Regel ist. In Deutschland mit seiner bildungsbürgerlichen Tradition herrscht dagegen auch in der Publizistik -Wissenschaft ein Professoren-Typ vor, der sich eher als genialer Schöpfer auratischer Ideen-Kunstwerke begreift denn als Aufklärer, der auch verstanden werden will.

Folgt man diesem in der Praxis bewanderten Autor, dann sind nordamerikanische Journalisten geradezu durchdrungen von dem Sendungsbewußtsein, als kontrollierendes Gegenüber der politischen und ökonomischen Machthaber eine für die ganze Gesellschaft wichtige Aufgabe erfüllen zu sollen. Altschull weist unter anderem auf Douglass Cater hin, den „Vater der Idee der Presse als vierter Regierungsgewalt, die auf die Exekutive, Legislative und Jurisprudenz ein wachsames Auge hält.“ (Auch dieses Konzept wurde also von engagierten Demokraten in den Vereinigten Staaten erfunden, nicht von linken Unterwühlern der Bundesrepublik, wie manche Konservative gern glauben machen wollen.) Und Altschull schildert höchst anschaulich, wie die universitäre Journalistenausbildung mit ihrer Lehre von der sozialen Verantwortung der Medien zuerst in den USA etabliert wurde, um das Presse-Geschäft vor der aufkeimenden Fundamentalkritik am kapitalistischen Sensationsjournalismus zu schützen, bevor sie dann auch in Westeuropa Verbreitung fand. Interessant zu verfolgen, wie die Zielvorstellung, möglichst objektiv zu berichten, dabei keineswegs als Widerspruch zum sozialen Verantwortungsbewußtsein des Wachhundes erscheint, sondern als ein unverzichtbarer Teil davon: Kontrolle der Macht weniger durch Absonderung kritischer Meinungen als durch Veröffentlichung verborgener Tatsachen, durch Aufdecken tatsächlicher Mißstände. Das ist die Tradition des investigativen Journalismus, die im subjektiven Selbstverständnis nordamerikanischer Medienleute eine wichtige Rolle spielt.

Untersuchungen, bei denen Journalisten gefragt werden, ob sie sich selbst in der Rolle des objektiven Berichterstatters oder in der des Wachhundes sehen, konstruieren also einen Widerspruch, der im professionellen Selbstverständnis angelsächsischer Journalisten oft gar nicht existiert. Die empirische Grundlage einer daraus abgeleiteten Kritik am ach so engagierten deutschen Journalismus erweist sich als Kunstprodukt eines der Sache unangemessenen Begriffsinstruments.

Noch lächerlicher wird die Mainzer Nörgelei an der bundesdeutschen „Medienelite“, die angeblich enorme Macht ausübt, ohne dazu legitimiert zu sein, wenn man das Hauptargument Altschulls dagegenhält. Er behauptet nämlich mit angelsächsischer Nüchternheit, daß die „soziale Verantwortung“ des Journalismus eigentlich ein „absurder Begriff“ sei, oder genauer, eine höchst subtile und deshalb auch höchst wirksame Ideologie. Die nordamerikanischen Medien seien alles andere als Wachhunde; als auf Rentabilität angewiesene Wirtschaftsunternehmen seien sie vielmehr umgekehrt sogar „Agenten der Macht“ - der ökonomischen sowieso, aber im Hinblick auf den im Gschäftsinteresse aufrechtzuerhaltenden Status quo auch der politischen. Hinsichtlich ihrer allzeit den Machthabern dienenden, systemstabilisierenden Funktion ähnelten sie den Medien des Ostblocks oder der Dritten Welt, deren „soziales Verantwortungsbewußtsein“ (je nach Variante für die Herrschaft der Arbeiterklasse oder für die Entwicklungsdynamik) bloß viel sichtbarer durch massive staatliche Lenkung gesichert werde.

Auch wenn Altschull diesen Mediensystemen ebensoviel Aufmerksamkeit schenkt wie dem eigenen, scheint er mir hier weniger kompetent. Beispielsweise behauptet er gemeinsam mit den Ideologen des realen Sozialismus eine bruchlose Kontinuität der kommunistischen Medientheorie von Marx über Lenin bis zu den heute in der Sowjetunion zusammenbrechenden Realitäten. Hier wäre es endlich an der Zeit, die Klassiker Marx und Engels, die bemerkenswert konsequent für die Pressefreiheit eingetreten sind, genauer und unbefangener zu lesen.

Aber zurück zu den USA:

Altschull illustriert seine Hauptthese von den „Agenten der Macht“ gerade mit Beispielen, die oft angeführt werden, um die von ihm für eine Illusion gehaltene Wachhund-Funktion zu belegen, beispielsweise Watergate. Der 'Washington Post‘ seien die entscheidenden Informationen damals vom FBI zugespielt worden, im Grunde haben sie durch die Aufdeckung des Skandals zur Reinigung und damit Stabilisierung des Herrschaftssystems der USA beigetragen. Auch die in den 60er Jahren aufkommende radikale Alternativ-Presse sei nach und nach „kooptiert“ und gezähmt worden.

So kritisch und plausibel solche Argumente klingen - sie geraten gelegentlich in die Nähe der Tautologie: „Wenn eine revolutionäre Presse zu weit geht, wird ihr Aktionsradius beschränkt. Tut sie es nicht, kommt sie den Wünschen der Machthabenden entgegen.“ Hier steckt das fatalistische Ergebnis schon in der Betrachtungsweise. Man hätte ja auch fragen können, ob und wie die Alternativ-Presse die sozialen und politischen Verhältnisse der USA verändert hat.

Auch die taz wäre nach Altschull natürlich eine „Agentin der Macht“. Der Augenschein und erste systematische Überlegungen lehren anderes, auch wenn man den Einfluß der „alternativen“ Medien auf den etablierten Journalismus und die etablierte Politik nicht überschätzen sollte.

Im übrigen hat das Jahr 1989 mit den Umbrüchen in Ost- und Mitteleuropa wohl gezeigt, daß das Wenige an sozialer Kritik und Machtkontrolle, das formal freie Medien im Kapitalismus mehr zustandebringen als in einem Kommandosystem, eben doch einen wichtigen Unterschied markiert. Systeme mit etwas freieren Medien scheinen flexibler und deshalb überlebensfähiger zu sein.

Das ist der Grund, warum Gorbatschow der Sowjetunion „Glasnost“ verordnet hat, was sich aufgrund zulange unterdrückter Konflikte nun verselbständigt und tatsächlich zu einer grundlegenden Mutation des Gesellschaftssystems führt.

Altschull beruft sich bei seinen Attacken gegen die journalistische Berufsethik auch auf Max Weber und besonders Ferdinand Tönnies. Ich habe, was diese beiden zur Presse geschrieben haben, im Original studiert, obwohl es teilweise bis heute noch nicht veröffentlicht ist. Altschull hat insofern recht, als die beiden Altmeister der bürgerlichen Soziologie, jeder Idealisierung abhold, den gewaltigen Einflüssen ökonomischer Interessen besonders auf den nordamerikanischen Journalismus tatsächlich sehr ausführliche und kritische Analysen gewidmet haben. Aber er täuscht sich, wenn er daraus ein vernichtendes Urteil über die journalistische Verantwortungsethik ableitet. Tönnies und besonders Weber wußten nämlich genauer als heutige Medienwissenschaftler aus Mainz oder anderswo, daß und warum eine objektive, die Wirklichkeit unverfälscht wiedergebende Berichterstattung niemals möglich sein wird. Sie plädierten deshalb für eine wenigstens bewußte, begründete, als solche erkennbare Subjektivität, im Fall der Presse also für ein reflektiertes und expliziertes professionelles Selbstverständnis. Darin sahen sie neben ökonomischen, technischen, politischen und religiösen Strukturgegebenheiten einen Faktor unter anderen, der journalistisches Handeln prägt.

Warum sollte zu dieser ausdrücklichen Berufsauffassung nicht die selbstgestellte Aufgabe gehören, die jeweiligen Machthaber zu kontrollieren?

Dagegen hätten Weber und Tönnies nichts gehabt, solange die Journalisten sich dabei der strukturellen Bedingungen, der einengenden Zwänge bewußt bleiben, unter denen sie dieser Aufgabe nachkommen. Tönnies jedenfalls hat die Abhängigkeit der amerikanischen Presse vom Kapital nicht einfach als Faktum hingenommen, sondern er hat sie, beispielsweise in seinem heute vergessenen Buch Kritik der Öffentlichen Meinung, sehr engagiert beklagt.

Horst Pöttker

J.Herbert Altschull: Agenten der Macht. Die Welt der Nachrichtenmedien - eine kritische Studie. Konstanz: Universitätsverlag 1989, 403 Seiten, 69,- DM

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