: Vom „Wir“ zum „Nur-Noch-Wir“
Identitätsprobleme zwischen Rügen und Rosenheim ■ HAGEN BOßDORFS SPORTKOLUMMNE
Die neue Sportministerin der DDR hat ein Problem weniger als ich. Sie hat sich über die Slalom-Siege von Rosi Mittermaier schon immer genauso gefreut wie über die Loipen-Läufe Barbara Petzolds. Die Aufschlag-Asse Steffi Grafs ließen Frau Schuberts Herz gleichsam höher schlagen wie die Kufen -Künste von Kati Witt.
Andere haben da mit der Vergabe ihrer Emotionen mehr Probleme. Ich behaupte, daß die Bürger der DDR in der Vergangenheit ihre kulturelle Identität in kaum einem Bereich so konzentriert wiederfanden wie im Sport. Oder besser gesagt: im Hochleistungssport. Gerade diese Verkürzung der Körperkultur eines Landes auf rekordorientierte Spitzenbereiche erlaubte erst, die Erfolge der Athleten zu nationalen Großtaten aufzupeppeln. Und es soll mir keiner erzählen, er hätte den Mißbrauch der Spitzensportler zum Beweis gesellschaftlicher Makellosigkeit immer knallhart durchschaut, wenn er vor Freude heulend vor dem Fernseher saß und neue Triumphe der Landestöchter und -söhne bejubelte.
In der Sportpresse wurde ein international kaum verbreitetes sportjournalistisches Genre sorgsam gepflegt: Die Länderwertung erst sagte uns, wieviele Zentimeter, Punkte und Sekunden wir wieder dem Rest der Welt voraus waren. Auch vor den deutschen Sportfreunden aus der BRD. (Ich rede nicht vom Fußball!) Nun soll dieses „wir“ und „ihr“ verschmelzen zum gesamtdeutschen „wir“. „Unsere“ Sportler sind bald alle zwischen Rügen und Rosenheim. Wer das als unproblematisch bezeichnet, scheint mir den Sport bisher genauso aufmerksam verfolgt zu haben wie anderen die Wasserstandsmeldungen.
Die ersten Skizzen einer gemeinsamen Olympiamannschaft für 1992 zeigen, wie schwer das Umdenken den Architekten dieses Unternehmens fällt. Die Funktionäre zählen in alter Olympia -Mentalität der 60er Jahre heimlich nach, welches Ländchen denn nun mehr Sportler ins Aufgebot bringen würde. Da diese Rechnung meistens zugunsten der DDR ausgeht, erzeugt sie mitunter kriminelle Konsequenzen. Als die beiden Kanuverbände darüber berieten, gegenseitig keine Sportler abzuwerben, hatten die West-Paddler schon die Verpflichtung zweier Ost-WeltmeisterInnen im Aktenkoffer. Auf diese Unart und Weise soll verhindert werden, daß in einigen Sportarten die Nationalteams der BRD im Vereingungsfalle komplett in die zweite Reihe versetzt werden.
Ob die dabei entstehende Mannschaft von den Menschen hüben und drüben überhaupt so geliebt wird, bleibt eben fraglich. Aber wir können ja schon mal üben: „Unser Michael Groß, unsere Anja Fichtel, unsere Bayern...“ Oh Gott.
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