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D-Mark und Demokratie

Staatsvertrag und Kommunalwahlen in der DDR  ■ K O M M E N T A R E

Verträge zwischen Individuen, die auf Begriffsverwirrungen oder falschen Voraussetzungen basieren, nennt man gewöhnlich Betrug. Ein Staatsvertrag kann natürlich kein Betrug sein. Für die Bundesregierung ist das Verhandlungsergebnis klar genug: sie sind noch unter dem Kostenrahmen für die Währungsumstellung geblieben, und man hat eine sozial besser „verkaufbare“ Differenzierung des 1:1-Umtausches beschlossen. Ein Trostpflaster für die Rentner. Daß die DDR -Bevölkerung die Einführung der D-Mark mit individuellem Wohlstand gleichsetzte, weiß zwar jeder Politiker. Aber brauchte er's zu berücksichtigen? Die DDR-Bevölkerung hat für die D-Mark votiert, aber nicht für die Menge der D-Mark in der eigenen Hand. Selber schuld. Die DDR-Löhne und -Renten wurden bekanntlich doppelt ausgezahlt, durch Löhne und Renten und durch die Preissubventionen. Die werden laut Beschluß nicht angerechnet. Punktum. Die rabiate Mietprogression mit eingeschlossen, beinhaltet das deutsch -deutsche Verhandlungsergebnis auf jeden Fall einen so massiven Einkommensverlust, daß der Streit über den Umtauschmodus der Sparkonten nachgerade grotesk ist. Es entspricht durchaus dem historischen Verlauf, daß die deutsche Einheit mit einem nationalen Mißverständnis beginnt. Es wird gewiß einen Schnellkurs in Sachen Marktwirtschaft bewirken.

Eine Politik mit Fiktionen kann sich erst recht nicht durch den Hinweis aufs populäre Bedürfnis nach Fiktionen rechtfertigen. Das Verhandlungstempo hat eben alle Instanzen der Aufklärung und Korrektur, das Parlament und die Öffentlichkeit weitgehend überspielt. Moralisch bedenklich wird es aber, wenn das Verhandlungstempo über den Staatsvertrag direkt auf das Datum der Kommunalwahlen bezogen wird. Einen sachlichen Bezug gibt es nicht, und es wäre nicht nur guter demokratischer Stil, sondern auch politisch notwendig gewesen, die Kommunalwahlen von der Frage der Währungsunion freizuhalten. Durch die zeitliche Verkopplung ist der Aufbau der Demokratie in den Kommunen politisch entwertet und das Interesse der Wähler gelähmt worden. Den Wählern wurde der Kopf vollgemacht mit Ängsten, Hoffnungen und Rechnungen, während sie für die nächsten fünf Jahre entscheiden müssen, wie das Leben in ihren Gemeinden aussieht. Die Politik mit der Währungsunion hat sich als das geeignete Instrument erwiesen, politische Emanzipation zu verhindern. Zum Verfassungstag am 23. Mai soll der Staatsvertrag nach dem Willen der Regierung zur ersten Lesung dem Bundestag vorgelegt werden. Ein objektiver Zynismus; denn das Verfassungssubjekt, das Volk ist schon längst so ohnmächtig wie das sprichwörtliche Rentnerpaar, das die Prämien nachzurechnen beginnt, nachdem es sich fünf Versicherungen hat aufschwätzen lassen.

Klaus Hartung

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