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Die Blechlawine rollt donnernd zum Sieg

■ Türkiyemspor holten den Berliner Fußball-Pokal: Trotz heftiger Wut auf den parteiischen Schiedsrichter besiegten die Türken Hertha03 Zehlendorf 2:1 in allerletzter Minute / Lauthals singender und fahnenschwingender Autokonvoi durch Berlin feierte ohne Ende

Charlottenburg (taz) - Turkiyemspor besitzt zweifellos den automobilsten Anhang im Berliner Fußball. Vor dem Pokalfinale gegen Hertha Zehlendorf staute sich eine lange Blechkolonne vor dem Mommsenstadion, über der rote Fahnen mit dem türkischen Halbmond flatterten. „Wir bringen die Autos gleich für den Triumphzug nach Kreuzberg mit“, erklärte der 16jährige Metin das hohe Verkehrsaufkommen in Charlottenburg.

Ein Sieg hätte beiden Finalteilnehmern gut gestanden. Weder die „kleine Hertha“, die in der Meisterschaft wieder nur Zweiter wurde, noch Turkiyem mit einem mäßigen Mittelfeldplatz konnten mit der Oberligarunde zufrieden sein.

Von all dem Ungemach merkte man den Fans wenig an. Fast 3.000 waren nach Eichkamp gekommen, die meisten schlugen sich hörbar auf die Seite des vermeintlichen Außenseiters aus Kreuzberg. Aber von ihrer einstigen Spontaneität haben sie viel eingebüßt. Wenn nicht Amigo Sabo, der unermüdliche Stimmungsmacher mit der Trillerpfeife, für einen geordneten Chorgesang gesorgt hätte, wäre die Stimmung bei Turkiyem wohl bald der Jahresbilanz ebenbürtig gewesen.

Nach Spielbeginn gerieten die Osmanen jedoch bald in Wallung. Dies lag weniger an den Künsten ihrer Elf, vielmehr sorgte Bundesligaschiedsrichter Bodo Kriegelstein mit krassen Fehlschlüssen für höhere Phon-Zahlen. Immer wieder pfiff er harmlose Rempler der Türken ab, ließ dafür aber grobe Attacken der Zehlendorfer ungesühnt. Bernd Kubowitz und Peter Stark, der Showstar im Berliner Fußball, genossen offensichtlich Narrenfreiheit. Und Kriegelstein blieb stumm. Auf den Rängen reagierte man sich indes an der weiß-blauen Vereinsfahne Turkiyems ab, die in voller Entfaltung quer durch den Block wanderte. Zu oft schon war der Kreuzberger Verein beim Verband wegen seiner allzu heißblütigen Fans in Mißkredit geraten. Just als die ersten Stadionzeitungen zu Konfetti verarbeitet wurden, fand der Ball erstmals den Weg ins Zehlendorfer Tor: Ahmet Akar, ein Maradona in Westentaschenformat, spitzelte ihn nach feiner Vorarbeit von Kim Konrad über die Linie. Sogleich schienen die Massen bereit, die Spielinterpretationen des Herrn Kriegelstein zu erdulden.

Nach der Pause warf Zehlendorf alles in den Sturm. Ex-Profi Jörg Gaedke sorgte für frischen Wind, der den Türken kräftig ins Gesicht blies. Die ballverliebten Kreuzberger fanden nicht einmal mehr Zeit, um für die Galerie zu spielen. Pausenlos tauchten die 03er vor Torwart Norbert Henkel auf, vergaben aber die besten Möglichkeiten. Schließlich überließen die Zehlendorfer das Toreschießen ihrem Gegenüber. Der englische Türke Kevin Sparey grätschte in eine Flanke und verlängerte unhaltbar für Freund und Feind zum 1:1-Ausgleich. Aus und vorbei? Im Türkiyem-Fanblock setzte kaum jemand mehr einen Kebap auf die eigenen Jungs. Zu stark berannte der Gegner das Tor der Weiß-Blauen.

Doch plötzlich raffte sich Turkiyem völlig überraschend zum Endspurt auf. In der letzten Minute, niemand wollte es so richtig wahrhaben, flatterte die Lederkugel vor das Gehäuse der kleinen Herthaner. Dort fühlte sich Oliver Kieback zu recht unbeobachtet und köpfte das Objekt der Begierde zwischen die gegnerischen Stangen. Was dann folgte, war ein einziger Siegestaumel in weiß-blau. Der Rest ist Automobilsport.

Jürgen Schulz

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