„Fast hätte ich nicht duschen müssen“

Der Spanier Juan Aguilera schoß einen hilflosen Becker im Hamburger Turnierfinale 6:1, 6:0 und 7:6 vom Platz und vermasselte ihm den langersehnten ersten Turniersieg auf Sand / Beckers Urteil: perfektes Tennis  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

Harry Valerien irrte. Die vom ZDF ausgemusterte Sportplaudertasche der Nation sah die guten Sitten auf dem Tennisplatz in Gefahr. Als nämlich Boris Becker auch im zweiten Satz des Finales der Internationalen Tennismeisterschaften von Deutschland am Hamburger Rothenbaum gegen den 28jährigen Spanier Juan Aguilera nach allen Regeln der Aschenplatzkunst vorgeführt wurde, meinte Valerien: „Jetzt gibt's gleich a großes Geschrei.“

Doch der 22jährige Leimener, der als Profispieler noch kein Sandplatzturnier gewinnen konnte, enttäuschte die Erwartungen seiner Fans. Nur gelegentlich, wenn ihn der Spanier mal wieder mit einem lässig eingestreuten Stop, einem bananenkrummen Vorhand-Topspin ärgerte oder mit enervierenden Rückhand-Sliceduellen zur Ungeduld trieb, drosch Becker sein Racket auf den Sand, als wollte er aus ihm seinen bevorzugten Rasenuntergrund zaubern.

1:6 endete der erste Satz aus der Sicht des deutschen Weltbürgers, 0:6 - die Höchststrafe - sogar der zweite. Aguilera machte bis dahin überhaupt keinen Fehler, traf millimetergenau die Linien, ließ Becker laufen und bemerkte später: „Wenn das Spiel dann schon beendet gewesen wäre, hätte ich wohl nicht duschen müssen.“

Doch nach gut einer Stunde bescherte ein heftiger Regenschauer dem Publikum und den Finalisten eine verdiente Ruhepause. Becker: „Dann hab‘ ich mit meinem Trainer überlegt, was ich machen kann.“ Resultat der Grübeleien: Boris B. spielte im dritten Durchgang wie sein Gegner, traute sich beim Stand von 4:5 bei Aufschlag Aguilera sogar einige Risikoschläge zu.

Tie-break - Becker parierte einen Matchball, vergab zwei Satzbälle. Und verschlug schließlich einen Ball etwa 13 Millimeter hinter die Grundlinie. 160.000 Dollar nahm der Spieler, der bereits vor sechs Jahren das Hamburger Turnier gewinnen konnte, entgegen. 70.000 D-Mark als Trostpflaster trug Becker zu seiner Bank. Eine teuere Lehrstunde in Sachen Sandplatztennis. Doch der Hafenstraßenfreund wirkte nach dem Spiel keineswegs enttäuscht. „Gegen sein perfektes Tennis konnte ich nichts machen. Ich glaube, heute hätte ihn niemand bezwingen können.“ Ob er denn irritiert worden sei durch die bunte Prozession vermeindlicher HafenstraßensympathisantInnen, die in Ermangelung einer Endspielkarten, lärmend um das Gelände flanierten und die „Wiedervereinigung von Karen und Boris“ forderten? „Nein. Obwohl ich sie gehört habe.“ Geärgert hat ihn nur ein Zuschauer aus einer der Sponsorenboxen unmittelbar am Rande des Courts. Der erinnerte Becker mit einem Zuruf an seine letzte Sandplatzfinalniederlage in Monte Carlo 1989. Was er dabei gedacht habe? „Du Sau.“

Aguilera selbst konnte sein Glück kaum fassen. - Immerhin, räumte er ein, habe er in den letzten beiden Sätzen das beste Tennis seines Lebens gezeigt. Sein Erfolg erstaunt: Nur durch die Absage des formschwachen Stefan Edberg rutschte Aguilera ins Hauptfeld, mußte nicht in die kraftraubende Qualifikation. Denn bis vor wenigen Wochen rangierte der drahtige Mann aus Barcelona noch auf Platz 151 der Weltrangliste - zu schlecht zum Rothenbaum-Meldeschluß, um automatisch bei den Besten mitspielen zu dürfen.

Erst durch seine jüngsten Erfolge in Monte Carlo (Halbfinale) und Nizza (Sieg) gelangte er auf den 26. Rang. Durch seinen Hamburger Turniersieg ist gewiß, daß Aguilera bei den French Open Ende Mai in Paris sogar gesetzt wird also nicht gleich in der ersten Runde auf Becker trifft. Der Wahlmonegasse hingegen wird beim französischen Grand-Slam an Nummer eins gesetzt, wegen Lendls Abwesenheit und weil er in der Rangliste Stefan Edberg wieder überholt hat.

Trotz des deutlich verpaßten ersten Turniersiegs eines Deutschen seit 1964 (Wilhelm Bungert) sind die Rothenbaumbetreiber höchst zufrieden. Knapp 100.000 ZuschauerInnen an acht Tagen, ein geschätzter Reingewinn von 1,5 Millionen D-Mark und die Aussicht auf noch viel bessere Zeiten - Heinz Brenners Mundwinkel deuten bisweilen sogar ein Lächeln an. Denn der Hauptsponsor, ein bayerisches Autowerk, ist wieder aus dem Rennen. Statt deren drei Millionen Mark in drei Jahren bot ein japanisches Elektronikunternehmen die dreifache Summe. „Da konnte man nicht ablehnen. Schade nur, daß es kein deutsches Unternehmen ist.“