: Könige ohne Untertanen
Zehnkämpfer zwischen Mythos und Ignoranz ■ Hagen Boßdorf's Sportkolumne
Es war einmal ein König, der seinen Titel nicht mehr haben wollte. Die Krone warf er achtlos in die Ecke, pfiff sich ein Liedchen und mischte sich unters Volk, wo der Trubel am heftigsten tobte. Verdammte Herrschaft, dachte er sich, Eure Hoheit bleibt jetzt auf dem Teppich.
Keiner könnte diese Geschichte besser verstehen als die Zehnkämpfer der Leichtathletik. Aber als „Könige der Athleten“ leben sie fort in den Widersprüchen seiner Majestät. Den Titel bekamen sie einst von superlativ -freudigen Sportjournalisten verpaßt. Darauf pfeifen sie. Denn der Verdacht liegt nahe, daß der Königstitel zwar Hochachtung vor den Athleten ausdrücken, aber genauso das schlechte Gewissen der Reporter überspielen soll. Das Rampenlicht der Medien bestrahlt die Zehnkämpfer nämlich selten. Nach den strapaziösen Wettkämpfen großer Meisterschaften werden ihnen Loblieder gesungen, die ganze Plattenschränke füllen könnten. Aber schon kurz danach umgibt sie wieder die Totenstille medialer Interessenlosigkeit.
Auch das Publikum will sie nicht sehen. Unter den Zuschauern von Mehrkampf-Meatings dürfte der Anteil Verwandter und Bekannter der Athleten sehr hoch sein. Der eindeutige Sieger im spektakulären Zweikampf imponiert dem leichtathletischen Normalverbraucher eben mehr als ein Champion, der erst mit Punktetabelle und Taschenrechner ermittelt werden muß. Wer will ihnen das verübeln? Die Zehnkämpfer jedenfalls nicht. Sie ziehen in kleine Orte wie ins französische Tallencce oder das Mehrkampf-Mekka Götzel in Österreich. Dort wartet regelmäßig ein kleines, aber fachkundiges Publikum.
Wichtiger als volle Stadionränge und Medienrummel sind für die Zehnkämpfer sowieso ihr sportliches Abenteuer. Zehnmal der Lauf, Sprung oder Wurf ins Ungewisse. Achtmal die Schuhe wechseln. Zwei Tage aufeinander hocken mit Freund und Feind. Eine Atmosphäre, die fast familiären Zusammenhalt entstehen läßt. Und trotzdem die Ur-Typen hervorbringt, wie man sie seit Jahrzehnten wohl nur im Zehnkampf findet: der Kämpfer Kratschmer, der Tausendsassa Thompson oder der schlaue Schenk. Männer, für die ihr Sport mehr ist als die Bewegung von einem Punkt zum anderen.
Es war einmal ein gut gebauter Zeitgenosse, dem sagte man: Wenn du zehn Proben bestehst, kannst du König der Athleten werden. Da dachte er sich: Der Titel ist Quatsch, aber die Sache bringt's, und er machte eben mit - und kam nicht mehr vom Zehnkampf los.
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