: Die Stadt, das Geld und die Demokratie
■ Der Streit um den Potsdamer Platz, Teil 1: Daimler und die heilige Grünschneise
Dieter Hoffmann-Axthelm
Es ist eine Art höherer Gerechtigkeit, daß das Ende der Teilung Berlins mit einem handfesten Bauskandal eingeleitet wird. Es geht um die 64.000 Quadratmeter-Option von Daimler -Benz am Potsdamer Platz. Diese Option ist gewiß ein Skandal, aber zugleich der Paravent, hinter dem sich viel bedeutendere Dinge verbergen. Der Potsdamer Platz, bis dato eine Wüstenei an der Mauer, ist das historische Scharnier zwischen historischem Zentrum und neuen Westen. In den zwanziger Jahren war er das Herz der Stadt. In dieser Zeit wird entschieden werden, wie und in welchem Geist das neue, geeinte Berlin entsteht. Keine Metropole der Welt hat oder hatte eine derartige Chance zu einem Neuanfang. Zugleich aber muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß potente Investoren, erpreßbare Politiker und engstirnige Ökologen alsbald den gemeinsamen Weg zu einem Jahrhundertirrtum beschreiten.
Der bekannte Städtebaukritiker und Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm behandelt in einer Serie die grundsätzlichen Fragen, die im Streit um die Bebauung des Platzes jetzt entschieden werden sollen. Zugleich versucht er Regeln zu entwickeln, nach denen das geteilte Berlin wieder zusammengefügt werden sollte. Der erste Teil ist eine Polemik gegen das asoziale und stadtfeindliche Grün. Im zweiten Teil werden die baupolitischen Aporien der Sozialdemokratie erörtert. Dann folgt ein Plädoyer für den städtebaulichen Rang der Parzelle. Im vierten Teil analysiert Hoffman-Axthelm die Fragwürdigkeit städtebaulicher Wettbewerbe, um mit einem Vorschlag zur Wiederherstellung des alten Stadstgrundrisses abzuschließen. Die Pointe dieses Vorschlags: der Abriß eines Teils der Staatsbibliothek von Scharoun.
Klaus Hartung
So mancher im Senat wird jetzt die Eile verwünschen, in der man seinerzeit dem Mercedes-Konzern die Option auf jene 64.000 Quadratmeter Wüste am Potsdamer Platz versprach. Inzwischen ist diese innerstädtische Brachfläche zum Medienereignis geworden. Aber es geht nicht um neue Anekdoten der anekdotenreichen Berliner Baugeschichte, sondern um die Politik, die sich darin verbirgt. Es wäre naiv, in der Daimler-Option einen bloßen Fehlgriff zu sehen. Ob man nun die Wirtschafts-, die Bau- oder die Stadtplanungs - und Umweltverwaltung anspricht, jeweils paßt die Sache viel zu gut zu dem fatalen Überhang an Vergangenheit, an Berliner deja-vu, die diesen ersten rot-grünen Senat kennzeichnen. Eine Leidensgeschichte, auch für Außenstehende.
Das Gerangel am und um den Potsdamer Platz beleuchtet einen allgemeinen Zustand. Sobald der Daimler-Zugriff öffentlich wurde, reagierten zwar alle spontan darauf; als handle es sich um eine zwar unverständliche bis törichte, aber immerhin stadtplanerische Entscheidung. In Wahrheit ist aber alles viel einfacher: Irgendjemand hatte aus dem geltenden Flächennutzungsplan herausgesucht, welche Flächen denn die von Mercedes beabsichtigten Quadratmeter Nutzfläche überhaupt aufnehmen könnten, und da blieb wohl nur das Gelände am Potsdamer Platz. Städtebauliche Überlegungen spielten offenbar überhaupt keine Rolle, denn sonst hätte man ja zumindest gesehen, daß das Gelände bestenfalls im Sinne des Flächennutzungsplans existiert. In der real existierenden Stadt aber ist diese Nutzfläche ein städtebauliches Schlachtfeld. Historischer Zustand und neue Planungsansätze überschneiden sich willkürlich, Straßen durchlaufen das Areal oder enden unmotiviert an dieser oder jener Mauer, Grundstücksblöcke liegen, oft vom ständigen Improvisieren längs der Mauer angeschnitten, im Gelände ein Gewirr, aus dem überhaupt erst wieder so etwas wie Stadtraum werden muß. Ohne die Nachricht vom Zugriff des Großkonzerns wäre niemand auf den abenteuerlichen Gedanken gekommen, darin ein Gelände zu sehen, das man einem gefräßigen Investor umstandslos und inclusive verkaufen könnte.
Um Stadtplanung ging es also gar nicht. Es ging darum, wie immer, dem richtigen Investor die richtige Fläche anzupassen. Dafür spart man ja im Wirtschaftsenat seit Jahrzehnten Fläche. Weiter haben die Verantwortlichen, fassungslos muß man es sich inzwischen zugeben, im Senat nicht gedacht. Diese nach tiefster Vergangenheit riechende Buchhaltungsebene verband sich allerdings sofort, im Kurzschluß gewissermaßen, mit der gesamtbürgermeisterlichen Hauptstadteuphorie: Besetzung des Übergangspunktes zwischen Ost und West mit einer symbolischen Investition oder, wie sich der Wirtschaftsenator ausdrückte, einem „Signal“. Das Signal fiel in der Tat mit den 64.000 Quadratmetern nur etwas dick aus.
Einem ethnologischen Blick offenbaren sich auch noch weitere Eigenheiten des Verfahrens: Da ist das versammelte Maulen der Berliner Stadtplaner. Leidenschaftlich werden städtebauliche Wettbewerbe gefordert. Doch Wettbewerbe sind genau das Mittel, das der Senat zwischen sich und die aufgebrachte Fachöffentlichkeit zu schieben vorhat. Aber um den Senat gegenüber den Aufgebrachtheiten der wohlmeinenden Städteplaner in Schutz zu nehmen - das Spiel heißt eben: Flächennachweis für potente Investoren.
Für diesen deutlichen Wink sollten die Stadtplaner zuerst einmal dankbar sein. Es ist schlicht eine Irreführung, wenn jetzt mit Verkehrs-, Grün- und Citykonzepten und was sonst noch auf den städteplanerischen Wunschzetteln steht, herumgefuchtelt wird. Solche Konzepte für den Potsdamer Platz gibt es nicht. Und: Zunächst einmal gilt es, städtebaulichen Entscheidungen in der krudesten Form aufzufangen. Aber über diese Aufgabe wird beileibe nicht im Klartext geredet. Vielmehr tut man so, als gäbe es städtebauliche Konzepte für das Areal. Mit der Fiktion eines existierenden Städtebaulichen Konzepts arbeitet der Senatsdoppelbeschluß: Erstens ist entschieden worden, daß es einen städtebaulichen Wettbewerb geben soll, der für einen in der Flächenausnutzung (nicht in der Grundfläche) ein wenig gestutzten Daimler den Rahmen entwirft. Zweitens gibt es den Beschluß für die berühmte „Grüntangente“, das Lieblingskind der Senatorin Schreyer. Es ist das Zugeständnis der SPD an die AL. Vis-a-vis vom künftigen Dienstleistungszentrum von Daimler-Benz soll das Gelände des Potsdamer Bahnhofs begrünt werden. Kapital versus Grünfläche, ist das die rot-grüne Alternative mitten im Herzen Stadt?
Selbst wenn die AL-Basis jetzt mit den Zähnen knirscht diese Entscheidung ist ein für die AL typischer Koalitionskompromiß geworden. Die SPD bekommt ihren Daimler, die AL ihren Park. Jeder hat, getreu seinen bisherigen Fixierungen, seine Projektionsfläche erhalten. Die SPD zum Bauen, die AL zum Nichtbauen. Daß das in die heutige Situation noch weniger paßt als vor Jahren, als es noch die Stobbe-SPD gab und eine ihren Namen verdienende alternative Bewegung, fällt gar nicht mehr auf.
Der Generalirrtum der gereizten Debatte um den Potsdamer Platz liegt also in der Vorstellung, daß es hier um die Daimler-Benz-Ansiedlung gehe. Es geht nicht um Daimler, und schon gar nicht prinzipiell gegen Daimler, sondern um den Potsdamer Platz selbst und seinen Wiederaufbau im Zusammenhang mit dem Leipziger Platz. Verlassen wir also für einen Augenblick die 64.000 umstrittenen Quadratmeter und reden wir von dem etwa gleichgroßen Park, der nebenan entstehen soll. Ich denke, man kann sich über diese 66.000 qm Park - es betrifft nicht nur das ehemalige Bahnhofsgelände, sondern auch seine ehemalige Wohn- und Gewerbeumbauung an Köthener und Linkstraße - fast genauso die Haare raufen wie über die Vergabe der Potsdamer Straße an Daimler. Gegen Mercedes/AEG/Messerschmidtbölkowblohm usw. (28% Deutsche Bank) sind Affekte bequem zu haben. Eine so harmlos und sympathisch scheinende Sache wie ein Park ist für den Blick aufs Ganze sehr viel günstiger. Aber welche Stadtidee liegt denn dem heißen Wunsch nach mehr Grün zugrunde?
Beginnen wir mit der städtebaulichen Funktion des Geländes: Es müßte doch wohl begründet werden, warum ausgerechnet dort ein Park entstehen, wo heute der Krempel-und Polenmarkt ist. Muß man nicht viel eher in der Linie der heutigen Nutzung weiterdenken? Davon abgesehen, fragt es sich natürlich, was der Park an dieser Stelle eigentlich soll. Er ist nur wenige hundert Meter vom Großen Tiergarten entfernt, ein auch auf lange Sicht nur mäßig bzw. nur am Rande bewohntes Gebiet. Bislang hat jedenfalls noch niemand versucht, der Sache eine besondere Dringlichkeit für die Bevölkerung nachzusagen. Es handelt sich offensichtlich um einen prinzipiellen Park.
Leistet er dann wenigstens etwas für den Stadtraum am Potsdamer Platz? Auch da kann ich keinen Bedarf entdecken. Wir haben zwar ein politisches Interesse daran, die Flächen der Reichskanzlei und des Volksgerichtshof unbebaut zu lassen und als verbrannte Erde einem wieder neu zu verdichtenden Stadtort zuzumuten. Aber gerade das setzt eine Überlagerung von Stadträumlichkeit und Geschichtswahrnehmung voraus. Eine Grünfläche, die den Stadtraum zusätzlich nach Süden öffnet, gewissermaßen gleich wieder auflöst, kann da nur schaden. Und falls die Stadtästhetik auch eine Rolle spielen soll: die Parkidee ist nicht einmal schön. Dieser Park ließe von vornherein aus dem neuen Stadtraum am Potsdamer Platz, den man rekonstruieren will, gleich wieder die Luft raus.
Allerdings gibt es eine viel weiträumigere Konzeption, in deren Namen der ehemalige Potsdamer Bahnhof begrünt werden soll: die sogenannte „Grüntangente“. Diese „Grüntangente“ soll ein zusammenhängender Teppich von Grünflächen sein, der, ausgehend vom Tiergarten, in Nord-Süd-Richtung die alte und künftige Berliner Innenstadt durchzieht. Bei dem Namen friert es mich! Die Westtangente als Autobahnschneise haben vor Jahren viele gemeinsam bekämpft, und der gleichnamigen Bürgerintiative, die oft recht allein dastand, bin ich dankbar. Die Fortsetzung allerdings, das Umkippen einer Autobahn in einen Grünzug hat mich schon bei der Südtangente in der Friedrichstadt empört. Provinzieller Grünwahn hat da unter irrsinnigen Kosten und Auseinandersetzungen eine Schneise durch das ohnehin fast bis zur Unkenntlichkeit von Krieg, Abrissen und Straßenbau zerstörte historische Viertel gezwängt - als wollte man für alle Zeiten die Wiederkehr von Stadtleben verhindern. Ich habe damals auch mit Erstaunen gelernt, wie leicht gerade die Beton-SPD von Straße auf Grün umschwenken konnte. Ein Grund mehr zum Mißtrauen. Ich habe damals gelernt, daß die klimatechnischen Begründungen bestimmter Naturwissenschaftler nicht mit Stadtökologie verwechselt werden dürfen. Selbst wenn die Tugend der Kaltluftschneisen beweisbarer wäre als sie offenbar ist, würde ich mich weigern, die Stadt unter Prinzipien technischer Belüftung und Seuchenbekämpfung zu betrachten. Da stimmen einfach die Relationen von Zweck und Mittel nicht.
Es gibt keinen wirklichen Grund, die Westtangente gegen eine Grüntangente bzw. tangentiale Kaltluftschneise einzutauschen - erst recht nicht heute, wo Berlin wieder zusammenwächst und das Tangieren sich erst einmal am Tangierten, der alten Innenstadt, messen sollte. Die ganze Idee ist falsch. Man kann mit Grünschneisen genauso wenig Städtebau machen wie mit Autobahnschneisen. In solchen Vorstellungen drückt sich eine atemberaubende Gleichgültigkeit für den konkreten Stadtraum aus. Die Idee, das Lennedreieck und die Blöcke zwischen ehemaligem Bahnhofsgelände und der Staatsbibliothek in einen Wald zu verwandeln, wird als Stadtökologie verkauft. Aber wie sieht dann die ökologische Stadt aus? Wenn man den Grüntangentenplan auf ganz Berlin bezieht, kommt man genau zu dem unsäglichen Stadt-Umland-Konzept, das die Umweltverwaltung vor einigen Monaten vorstellte: eine Stadt, die entlang der Nahverkehrslinien ins Umland hineinwuchert. Zwischen diesen Wachstumsfingern sollen dann Grünkeile die Frischluft ins Stadtinnere bringen.
Die Hygieneplanung wurde erstmals 1909 für Berlin theoretisiert im Rahmen jenes berühmten städtebaulichen Wettbewerbs, der alle heutigen Themen des zentralen Bereichs zwischen Lehrter und Anhalter Bahnhof zum ersten Male formulierte. Seitdem haben viele Stadtentwicklungspläne sich diese Theorie zueigen gemacht, nicht zuletzt die Ostberliner Stadtplanung. Heute diesen funktionalistischen Scheinsinn, der ja nur die naturwüchsige Entwicklung der Stadt entlang der Verkehrswege spiegelt, auf West-Berlin zu übertragen, wäre verhängnisvoll. Jetzt wäre es vielmehr der Augenblick, damit grundsätzlich zu brechen.
Stadtökologie fängt damit an, daß die Stadt aufhört, ihr Umland zu zerstören. Daher: Kein Bauen außerhalb der Grenzen von 1920. Die einzige Alternative zur Umlandzerstörung ist doch die Verdichtung nach innen. Wie man das macht und gleichzeitig die Lebensbedingungen verbessert und den ungeheuren Schadstoffausstoß der Stadt am Verursachungsort selber kleinarbeitet, ohne alles immer wieder nach außen zu wälzen - das sind die Aufgaben der Stadt- bzw. Innenstadtökologie. Mit Grün hat das wenig zu tun.
In einer solchen Perspektive sind die Flächen am Potsdamer Platz viel zu kostbar, um sie nicht intensiv zu nutzen. Sie zu nutzen, heißt nicht, sie geschlossen Mercedes oder der Deutschen Bank, was ja fast dasselbe ist, zu übergeben. Sondern für sie einen Katalog von Zielen abzuarbeiten, der sich aus den politischen, ökologischen, planerischen und ästhetischen Forderungen ergibt, die im öffentlichen Diskussionsprozeß überzeugt haben. Ein Park auf dem Potsdamer Platz ist nicht nur kein relevantes Ziel. Er verhinderte auch Wichtigeres: zum Beispiel eine große Halle auf dem ehemaligen Bahnhofsbauplatz, die als überdachter Markt für den osteuropäischen Kleinhandel, als Wintergarten, Versammlungsort, Begegnungszentrum ein konkretes Stück sozialer und politischer Vermittlungsarbeit an diesem Ort leisten könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen