: Galinski: „Damit haben wir nichts zu tun“
■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde distanziert sich vom Ostberliner Aufnahmeverfahren für jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion
Berlin. Das in der DDR momentan noch praktizierte Verfahren, daß aus der Sowjetunion in die DDR geflüchtete Juden eine von dem „Verband der Jüdischen Gemeinde“ ausgestellte jüdische Identitätsbescheinigung vorweisen müssen, um im „Zentralen Aufnahmelager des Ministeriums für Inneres“ in Ahrensfelde Unterkunft und Verpflegung zu bekommen, wurde vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Galinski, kritisiert. In einem Gespräch mit der taz betonte er, daß der in den sowjetischen Inlandspässen eingetragene Vermerk „Jude“ reichen müßte, um in der DDR generelles Bleiberecht und Eingliederungshilfe zu bekommen.
Entgegen der Darstellung von Dr. Peter Fischer, Generalsekretär des „Verbandes der Jüdischen Gemeinde in der DDR“, wurde das fragwürdige und umstrittene „Bescheinigungswesen“ (die taz berichtete) nicht mit der Jüdischen Gemeinde West abgesprochen. „Damit haben wir nichts zu tun und sind auch dagegen“, sagte Galinski. In West-Berlin überprüfe die Jüdische Gemeinde die jüdische Herkunft nur, wenn jemand Gemeindemitglied werden möchte. Die Gemeindemitgliedschaft werde aber, sagte er, strikt getrennt vom Aufnahmeverfahren. „Das ist eine staatliche beziehungsweise eine Länderregelung und keine konfessionelle Angelegenheit.“
Schwierigkeiten gebe es in West-Berlin aber auf einer ganz anderen Ebene, so Galinski. Die Ausländerpolizei erkenne zwar die Paßeintragung „Jude“ an und erteile erst eine Duldungs- und später eine Aufenthaltsgenehmigung. Um aber Sozialhilfe und einen Vertriebenenausweis zu bekommen, müssen die aus der UdSSR geflüchteten Juden laut Asylrecht der BRD nachweisen, daß sie zum „deutschen Kulturkreis“ gehören. „Das ist ein demütigendes Verfahren“, erklärte Galinski, „die von Deutschen verfolgten Juden müssen Deutschen nachweisen, daß sie immer noch Deutsche sind.“ In seiner Eigenschaft als Zentralratsvorsitzender der Juden in Deutschland setzt sich Galinski seit längerem dafür ein, daß das Außenministerium die Paßeintragung ohne Wenn und Aber akzeptiert. In allernächster Zeit werde er über den Themenkomplex „sowjetische Juden in der Bundesrepublik“ mit Außenminister Genscher konferieren, kündigte der Vorsitzende Galinski nun an.
Wie er weiter ausführte, wird der Exodus sowjetischer Juden nach Berlin in nächster Zeit zunehmen. Während der letzten acht Jahre sind rund 3.500 Juden aus der Sowjetunion nach West-Berlin gekommen, allein im letzten Jahr zwischen 40 bis 50 monatlich. Die Jüdische Gemeinde hat zwei Sachbearbeiterinnen eingestellt, die den Neuankömmlingen bei den Behördengängen und bei der Wohnraumbeschaffung helfen.
Mit dem Problem des Auszugs der Juden aus der Sowjetunion befaßte sich am Wochenende auch eine „Jüdische Gruppe West -Berlin“. Sie kritisierte in einer Erklärung den von bundesrepublikanischen jüdischen Organisationen verfaßten Aufruf „Exodus 90“, der „zur Unterstützung der Ansiedlung sowjetischer Juden aufgerufen habe, ohne die besetzten Gebiete davon auszunehmen“. Die Gruppe kritisierte weiter, daß die sowjetischen Juden von der Schamir-Regierung für eine „Groß-Israel-Politik“ mißbraucht würden.
aku
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