: Aus einem Totenhaus
■ Götz Friedrich und die Deutsche Oper Berlin - Über die Hintergründe eines permanenten Skandals
Stephan Reimertz
Es geht das Gerücht, die großen Werke der Oper seien nicht totzukriegen. Doch sie sind es. Götz Friedrich jedenfalls, seit er im Jahr 1981 mit einer Inszenierung von Janaceks Aus einem Totenhaus sein Amt als Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg antrat, bewirkte mit seiner Art der Traditionspflege vor allem eine monumentale Mortifizierung der Gattung. Nach neun Jahren ist es kaum zu früh, solche Bilanz zu ziehen. Noch 1988 unter dem Kultursenator Hassemer ist Friedrichs Vertrag bis 1996 verlängert worden. Aber nach einer damals nicht vorhersehbaren politischen Vereinheitlichung der Stadt stehen ja doch die Aufgaben der drei Opernhäuser und damit die Intendanzen neu zur Disposition.
Die Kultursenatorin hat es demonstriert: auch Intendanten können vor Ablauf ihres Vertrags von ihren Pflichten entbunden werden. Doch war ihre erste Entbindung nicht von Glück und Verstand gesegnet; denn so reich an Theaterpersönlichkeiten ist Berlin nicht, daß man einen Hans Neuenfels gehen lassen kann. Und was ist schon seine Million zu viel im Vergleich zu den gigantischen Ausständen (Gesamtfehlbetrag etwa 75 Millionen) der Deutschen Oper?
Zwar ist die Subvention die Seele deutschen Musik- und Theaterbetriebs, aber sie verliert ihren Sinn, wenn die damit gegebene Chance und Verpflichtung zur außerkommerziellen Kulturpflege nicht auch wahrgenommen wird. Wer zu seiner Unterhaltung aufwendige Belanglosigkeiten bevorzugt, hat noch nicht das Recht, ihnen aus der Tasche der Allgemeinheit zu fressen zu geben. Die Deutsche Oper als hochsubventionierte res publica und ihr sich offenbar nur einer sehr beschränkten Allgemeinheit verpflichtet fühlender Generalintendant müssen es sich schon gefallen lassen, wenn öffentlich über ihre Vergangenheit und vor allem: über ihre Zukunft nachgedacht wird.
Zurück zur Kultursenatorin: Sozialdemokraten sehen leider, wenn sie sich plötzlich in Regierungsverantwortung wiederfinden, manches plötzlich ganz anders als vorher: nämlich päpstlicher als der Papst. Dennoch sollten auch in beamtetem Zustand der Musikologin Dr. Anke Martiny, die ja nicht ganz dumm sein kann, in der Deutschen Oper drei Dinge aufgefallen sein: der - nennen wir es waghalsige Umgang mit Geschichte, wie er im Friedenstag-Skandal sichtbar wurde, die lohengrinhafte Gottesgnadentümlichkeit des Intendanten, die in der Sinopoli-Affäre zutage tritt, die eigentlich eine Friedrich-Affäre ist. Und schließlich der Mangel an über greifender dramaturgischer Konzeption insgesamt, die ganze verfehlte Personal- und Kulturpolitik von Jahren, die sich in solchen Skandalen und Affären dann plötzlich weithin zeigt.
Ob die Senatorin da über eine Fristenlösung nachdenkt? Richard Strauss und die Seinen
In einem Brief vom 17.6.1935 an Stefan Zweig wehrt sich der Komponist der Schweigsamen Frau gegen Vorwürfe seines Librettisten. Zweig hatte ihm verübelt, im Jahre '33 ein Konzert des damals davongejagten, weil jüdischen Dirigenten Bruno Walter übernommen zu haben. Strauss schreibt: „Weil ich für den ... Bruno Walter ein Concert dirigiert habe?“ So jedenfalls lautet der Satz in dem von Willi Schuh herausgegebenen Schriftwechsel zwischen Strauss und Zweig.
Was aber verbirgt sich hinter den drei Pünktchen der herausgeberischen Auslassung? „den lieben Collegen Bruno Walther“? „den armen verjagten Bruno Walter“? Nichts dergleichen, aber Strauss‘ lebenslanger ordinärer Antisemitismus läßt Böses ahnen.
„Weil ich für den schmierigen Lauselumpen Bruno Walter ein Concert dirigiert habe?“, so steht es geschrieben und so zeigt es einen großen Komponisten und seine Mannen, die sich immer wieder gern zu serviler Geschichtsklitterung herbeilassen (über die Hintergründe siehe Weiteres bei Hartmut Zelinsky, Das erschreckende Erwachen, in: 'Neue Zeitschrift für Musik‘, 9, 1983). Richard Strauss wurde zum ehrwürdigen Musikweisen umgefälscht, zum vornehmen Repräsentanten bayerisch-österreichischer Musikkultur. Die restaurative Nachkriegsgesellschaft von Berlin bis Wien wollte ihn so und bekam ihn so. Richard Strauss - dieser ohne Frage bedeutende Komponist markiert einen jener neuralgischen Punkte im Gebiet der Kunst, eines der verminten Gebiete, die nur verantwortungsbewußt und umsichtig betreten werden sollten.
Der Teufel muß doch den Götz Friedrich geritten haben, als er zum 40. Todestag des Komponisten und 50. Jahrestag des Kriegsbeginns Anfang September 1989 ausgerechnet Straussens Friedenstag aufführen ließ, ein Festspiel, das der Alte im Auftrag der Nazis komponiert hatte. Präsident von Weizsäcker erteilte dieser Wiederaufführung in Berlin mit seiner Anwesenheit die Absolution.
Friedrich kann sich nicht auf harmlose Absichten des Komponisten zurückziehen: das Werk diente eindeutig Beschwichtigungs- und Ablenkungszwecken kurz vor Hitlers Eröffnung des Angriffskrieges. Es war Begleitmusik zu den verbalen Friedensbekundungen des „Führers“ und sollte die auf Hochtouren rasende Rüstungsindustrie für einen Moment noch übertönen. So bezweckten es Hitler und Goebbels, die dem Spektakel mehrere Male beiwohnten. Dem Werk selbst wies Carl Dahlhaus eine dem Faschismus nahe Ästhetik nach. Und so fand denn auch „das militärische Milieu, der Begriff der soldatischen Ehre, die Idee des Heldentums“ in Friedenstag in der Nazipresse, die Strauss‘ Werke sonst lau beurteilte, begeisterte Aufnahme.
„Das Werk hat seine Schuldigkeit getan“, resümierte der Straßburger Musikologe Fred K. Prieberg in der taz vom 6. September 1989 anläßlich der Berliner Wiederaufführung, „Geschichte? Ach was, wozu lernen? Schwamm über die Geschichte, die Musikfreunde merken es sowieso nicht!“
Es besteht aller Anlaß, dem Generalintendanten den Vorwurf gezielter Rehabilitation eines verstrickten Komponisten zu machen. Für seine Wiederbelebung eines Nazi-Festspiels, das er, weil Richard Strauss es komponiert hat, schon für salonfähig hält, muß man ihm schon eine gewisse politische und künstlerische Infamie bescheinigen. Nicht einmal die Wagner- und Strauss-Hardliner von München, Sawallisch und Everding, haben es unumgänglich gefunden, eine solche Leiche aus dem Opernkeller mit vorgehaltener Hand und unter gespieltem Wegsehen im Sonntagsstaat dem allesfressenden Opernpublikum zu servieren. Das früher für seine Kritikfähigkeit so gefürchtete Berliner Publikum, auch die Presse, nahm das Skandalon kaum wahr. Man befand sich damals, zur Zeit der großen Ausreisewelle von DDR-Bürgern über Ungarn, bereits auf nationalem Crashkurs. Doch wer von sich behauptet, musikalisch zu sein, sollte eigentlich auch unter größtem Opernlärm das Gras wachsen hören. Besonders, wenn aus immer noch fruchtbarem Boden Furchtbares wieder aufkeimt. Friedrichs Entscheidung, den Friedenstag zu geben, ist als Demonstration nur vergleichbar den aus Chuzpe, Ahnungslosigkeit, Geltungsbedürfnis und mangelnder Rechenschaft über die eigenen Verdrängungen verschuldeten Auslassungen des Bundestagspräsidenten Jenninger. Der arme Mann aber hat aus seinem Verhalten unmittelbar Konsequenz gezogen. Zu Friedrichs Entlastung hingegen kann nur daran erinnert werden, daß Öffentlichkeit und Presse dem ambitiösen Festredner im Bundestag sofort die verdiente Abfuhr erteilt hatten. Nicht so im Fall der lautstarken Opern-Entgleisung. Der Mann der Muse wird, was immer er vorbringt, bejubelt. Und so merkt ein unschuldiger Orpheus, Geist und Sinne dem Höheren geweiht, wie zum Beispiel dem wertbeständigen deutschen Geistesriesen Richard Strauss, gar nicht, auf welch blutigem Grund er tritt.
Die Geschichte des politischen Engagements bedeutender Musiker ist die erschreckende Geschichte naiver Ruchlosigkeit. Götz Friedrich, ein musikalischer Laie, gibt sich dennoch - ganz dieser Tradition gemäß - gewaltsam unbefangen. Deutlich in der Beschäftigung auch mit Richard Wagner und seinem in jedem Wort und jeder Note zwiespältigen und gefährlichen Werk. Vorbei an der Kunst,
vorbei am Leben
Friedrichs vielgerühmte Ring-Inszenierung darf als Höhepunkt und vollkommenster Ausdruck seiner Tätigkeit als Chefinszenierer der Deutschen Oper angesehen werden. Sie basiert auf einer kongenialen Idee: der Ring wird als um sich selbst kreisender U-Bahn-Schacht vorgestellt. Doch auch eine solche Idee ist zuwenig für eine Oper, geschweige denn für die vier Opern (pardon: „Musikdramen“), aus denen der Ring des Nibelungen besteht. Die lokale und zeitliche ewige Wiederkehr des Gleichen aber, der sich um sich selbst drehende U-Bahn-Schacht als Ring-Rad: es gibt keine bessere Symbolisierung der Hoffnungslosigkeit und Gleichgültigkeit eines Opernalltags, dessen einziges übergreifendes dramaturgisches Konzept das Wiederkäuen ist. Bei der gelegentlich eingestreuten Alibi-Moderne bevorzugt der Opernprofessor die glatte Literaturvertonung, wie sie zuletzt in Henzes Mishima-Stück Das verratene Meer selbst der 'FAZ‘ zuwenig „innovativ“ erschien. Maurice Bejarts Wagner-Aufbereitung Ring um den Ring jedoch, die Friedrich zur Uraufführung nach Berlin lud, zeigte außer den olympiareifen athletischen Fähigkeiten seines einmal sogenannten „Balletts des Zwanzigsten Jahrhunderts“ eigentlich nur, daß dem glücklichen Choreographen des Bolero die geistige Welt Wagners völlig unbekannt ist. Götz Friedrich fühlt sich kollegial angesprochen und läß die Übung vom Ballett der Deutschen Oper nachtanzen.
Überhaupt, das Ballett der Deutschen Oper! In jahrelanger Arbeit ist es gelungen, einen choreographischen Stil herauszubilden, der nicht nur keine Maßstäbe setzt, sondern auch allen heute möglichen Maßstäben im Mindestabstand von 30 Jahren hinterherhinkt. Einem kleineren Haus wie der städtischen Oper Frankfurt gelang es unterdessen, mit dem genialen William Forsythe und seinem aus einer Reihe sehr individueller Künstler bestehenden Ensemble an die Spitze zeitgenössischer Ballettkunst zu treten. Sinopoli
Friedrichs autoritärer Führungs- und sein gelangweilt langweilender Regiestil haben im Laufe der jahre zu einem Gesamtzustand des Hauses geführt, bei dem die Knallbonbons eines großen Krachs auf den Fluren und Gängen schon ausgestreut waren. Es krachte dann auch gleich, als sich die erste bedeutende Künstlerpersönlichkeit auch nur am Horizont blicken ließ. Giuseppe Sinopoli, der am 15. August 1990 die Stelle eines Chefdirigenten antreten soll - er verzichtete auf die Position des Generalmusikdirektors -, fühlte sich schon im Vorfeld gemeinsamen Wirkens von Friedrich unzureichend informiert und mangelhaft in die musikalischen Verfügungen einbezogen. Es kam zu jenem Primadonnenstreit, der uns seit Wochen unterhält und der seit langem als die erste Neuheit auf dem Gebiet der Oper angesehen werden kann. Eigentlich ist es ganz folgerichtig, daß einer der nun wirklich kompetent ist mit dem Berliner Götzen Friedrich sofort in Kompetenzstreitigkeiten fallen muß.
Friedrich soll in seiner Jugend einer der begabtesten Schüler Walter Felsensteins und eine der großen Hoffnungen der Opernregie gewesen sein. Wenn man vergleicht, was Kollegen aus derselben Generation - wie etwa Ruth Berghaus heute leisten, muß man zu dem Ergebnis kommen: Friedrich blieb hinter den Erwartungen zurück.
Die Deutsche Oper zu Berlin-Charlottenburg ist heute eine Berlin unwürdige Mottenkiste. Wenig ändern an diesem Zustand Inszenierungen von Regisseuren, die etwas zu sagen haben, wie Neuenfels oder Johannes Schaaf: Solche Abende sind zu spärlich. Star-Stimmen wie die Lucia Alibertis mögen den Melomanen befriedigen. Sie lassen den kalt, der an einem umfassenden glaubwürdigen Musiktheater interessiert ist. Doch dieses Haus ist an keinerlei zeitgenössischen Diskurs angeschlossen. Es dreht sich ausschließlich um sich selbst, wie der Ring seines Intendanten. Selbst Kritikern kann es nicht zu mehr Originalität verhelfen. Der Musikrezensent ergießt sich „wunderbar“, „großartig“, „überwältigend“. Den, der eine authentische Moderne einfordert, verleiten immer wieder die selben abgedroschenen Spektakel zu immer wieder denselben abgedroschenen Argumenten. Intellektuelle wurden nach und nach von den Aufführungen weggeekelt. Gerngesehen ist ein unkritisches Publikum, das nur aufschreit, wenn Neuenfels Krüppel über die Bühne rollen läßt - eine der wenigen dialektisch gelungenen Szenen der letzten neun Jahre. Die professorale Selbstgefälligkeit, wie Götz Friedrich sie in seinen public relations an den Tag legt so im glücklicherweise eingestellten Rias-Opernstammtisch dürfte inzwischen nur noch maiglöckchenduftenden Wilmersdorfer Offizierswitwen imponieren. Götzendämmerung
Was in Berlin bisher niemand auszusprechen wagte, stellte 'Le Monde‘ am 15. Juni durchaus zur Diskussion: Daniel Barenboim wird 1992 zum 250. Jahrestag der Staatsoper Unter den Linden den Parsifal dirigieren; die Direktion wünscht ein dauerhaftes Engagement des prestigeträchtigen Dirigenten - die Staatsoper könnte ihm, so 'Le Monde‘, die Chancen bieten, die er in Paris nach dem Streit in der Bastille-Oper nicht wahrnehmen konnte.
Zugleich wird gefeilscht. In der vergangenen Woche traffen sich die Bosse der Staatsoper, der Deutschen Oper und der Komischen Oper mit Kultursenatorin Martiny, um ihre Reviere neu abzugrenzen. Wie immer war Frau Martiny von ihren Herren ganz und gar überzeugt. Alle drei Opernhäuser, so sagte sie nach dem Treffen, seien „unverzichtbar“. Für die Subventionen - mit 150 Millionen Mark im Jahr darf man wohl rechnen - müsse allerdings die künftige Bundesrepublik verstärkt aufkommen. Fraglich, ob die mitmacht. Eines der Häuser muß wohl geschlossen oder umgewidmet werden. Ich schlage vor: die Deutsche Oper.
Aber wie könnte ein künftiges Musiktheater in Berlin aussehen? Ein großes Stagione-Theater wäre zunächst denkbar, wie man es in London mit guter Erfahrung betreibt. Diese Aufgabe würde der Staatsoper zufallen. Die Komische Oper könnte ihrer Bestimmung gemäß dixhuitieme und Kammeroper als kritische Form pflegen. Vielleicht darf dann auch Mozart statt in sächsischer in italienischer Sprache gesungen werden. Dringend erforderlich und für das kulturelle Selbstverständnis Berlins eigentlich notwendig wäre außerdem ein Forum, in dem alle Formen neuer Musik entwickelt werden, wie es in Boulez‘ IRCAM in Paris schon lange geschieht. Angesichts einer solchen Musik-Theater-Landschaft ist die heutige Deutsche Oper nur noch ein tönendes Mausoleum.
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