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Männer in schwarz

■ Aufregung um die WM-Schiedsrichter

P R E S S - S C H L A G Die zur Zeit weltweit meistgescholtene Zunft ist eine, die es gar nicht gibt: jede Menge Lehrer, etliche Verwaltungsangestellte, mehrere Ingenieure, ein Buchprüfer (Fredriksson), ein Lehrlingsinspizient (Vautrot), ein Manager (Lostau), ein Klinik-Referent (Schmidhuber); allesamt Männer, denen es eine Art perverses Vergnügen bereitet, sich an jedem Wochenende beschimpfen, auslachen und bedrohen zu lassen. Mit einem Wort: Schiedsrichter.

Bei der Fußball-WM gerieten sie wie üblich schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Abgesehen von fragwürdigen Elfmeterentscheidungen, in erster Linie deshalb, weil sie die neue FIFA-Richtlinie, schärfer gegen Foulspiel vorzugehen - mehr Mut zum Platzverweis - recht unterschiedlich auslegten. Franz Beckenbauer mäkelte schon nach den ersten drei Spielen, daß man gar nicht mehr wisse, woran man sei. So stellte der Franzose Vautrot den Kameruner Kanan-Biyik wegen eines unabsichtlichen Fouls am Argentinier Caniggia vom Feld, während sein Landsmann Quiniou nicht einmal Freistoß gab, als der Brasilianer Mauro Galvao zu Beginn des Spieles gegen Argentinien dem meistgefoulten Spieler des Turniers, Diego Maradona, mit beiden gestreckten Beinen gegen die Schienbeine sprang. Danach hütete sich Maradona, in dem Bewußtsein, vom Schiedsrichter keine Hilfe erwarten zu können, die meiste Zeit wohlweislich, dem Ball zu nahe zu kommen.

Ausgerechnet der Deutsche Fußballbund (DFB), in dem sich besonders viele Juristen tummeln, wie FIFA-Sprecher Guido Tognoni süffisant bemerkte, war es, der schließlich einen veritablen Rechtsstreit vom Zaune brach. Jener DFB, der sich den unflexibelsten und antiquiertesten Chefankläger des Universums, Hans Kindermann, leistet, entdeckte mitten im WM -Turnier sein Herz fürs Moderne, propagierte eine Reform des Schiedsrichterwesens und plädierte für die Nutzung von Fernsehbildern zwecks Wahrheitsfindung. Kein Wunder, die eigenen Interessen waren bedroht, und da vergaß auch DFB -Präsident Hermann Neuberger flugs seine Funktion als FIFA -Vize und wurde zum puren Nationalisten. „Die Deutschen haben einen sehr direkten Draht zur FIFA. Das zielgerichtete, erfolgreiche Streben nach dem Sieg, das macht sie so stark“, merkte Tognoni ironisch an.

Es ging um die Affäre Völler-Rijkaard, die die Deutschen so aufbrachte, daß sie plötzlich alle Bedenken gegen die Verwendung von Fernsehbildern als altmodisch und dumm abtaten. Eine generelle Überprüfung von Schiedsrichter -Entscheidungen per TV kann schließlich kaum sinnvoll sein, denn sie würde eine Flut von Annullierungen, Spielwiederholungen und am grünen Tisch vergebenen Punkten bringen - was natürlich nicht dagegen spricht, die Bilder dort zu Rate zu ziehen, wo es sinnvoll ist.

Doch im inkriminierten Fall zeigen die Fernsehbilder zwar die Berechtigung der gelben Karte Rijkaards nach Foulspiel, bei der Verwarnung für Völler sind sie nutzlos, weil diese laut Schiedsrichter auf verbalen Verfehlungen beruhte. Die Bilder zeigen die Berechtigung der roten Karte für Rijkaard, der Völler grob am Ohr zog, und auch, daß der Deutsche in dieser Situation tatsächlich nichts gemacht hat. Völler wurde aber nicht wegen des Geplänkels mit Rijkaard vom Platz gestellt, sondern wegen „groben Spiels“, aufgrund seiner Attacke gegen Torwart van Breukelen also.

Hier zeigt die TV-Aufzeichnung, daß Völler einem Ball, den er unmöglich erreichen kann, wuchtig hinterhereilt, im letzten Moment einen Sprung nach links vollführt, sich um 180 Grad dreht und exakt an der Stelle landet, wo Sekundenbruchteile zuvor van Breukelen den Ball auffing. Hätte dieser sich danach nicht mit einem schnellen Sprung zur Seite geworfen, wäre er voll von Völlers Schulter oder Rücken erwischt worden. Ein solcher Angriff im Fünfmeterraum, wo der Torwart besonderen Schutz genießt, rechtfertigt allemal mindestens die gelbe Karte - nach vorheriger Verwarnung also Platzverweis.

Im Falle Matthäus zeigt die Aufzeichnung, was alle sowieso gesehen haben. Er spielte - beim Stande von 1:0 - nach Pfiff des Schiedsrichters weiter, eine der beliebtesten Methoden des Zeitschindens, deren besondere Verfolgung die FIFA den Referees ans Herz gelegt hat. Und daß er den Pfiff wirklich nicht gehört hat, kann er getrost seiner Großmutter erzählen. Viel Geschrei um nichts also, auch mit Fernsehen wäre das Urteil der Komission, alle Entscheidungen des Herrn Lostau zu bestätigen, kaum anders ausgefallen. Völler muß pausieren und Matthäus ein wenig vorsichtiger zu Werke gehen, um die zweite gelbe Karte, die ein Spiel Sperre bedeutet, zu vermeiden. Und das ist ja auch genau der Sinn dieser Regelung bei einer Fußball-WM, die bisher nach Meinung des Sportwissenschaftlers Gunter A. Pilz ohnehin nur einen Grundsatz bestätigt hat: Foul geht vor!

Matti Lieske

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