: „Was gut ist für Fiat, ist auch gut für Italien“
■ Giovanni Agnelli ist mit seiner „Fabbrica Italiana automobili Torino“ den unternehmerischen Mitbewerbern immer eine Autolänge voraus - auch in Osteuropa / Fiat-Polski seit 1935 / Nächstes Ziel des Imperiums: „Wirtschaftsdemokratie“
Aus Rom Werner Raith
Vom derzeitigen Familienoberhaupt und Herrscher über fast 300.000 Arbeiter, Gianni Agnelli, 69, behaupten böse Zungen, daß er bei seinen Freundinnen und unehelichen Kindern irgendwann mal aufgehört hat, mitzuzählen - und daß dasselbe inzwischen auch bei den zahllosen Firmen des seit 1967 von ihm persönlich geleiteten, 1899 gegründeten Superkonzerns mit umgerechnet gut 80 Milliarden DM Umsatz passiert sei. Seinem jüngeren Bruder Umberto (56), Vizepräsident der Fiat -Internationale, sagen Journalisten Gefühle zwischen Alleshinschmeißenwollen und Mordgelüsten am „fratello maggiore“ nach, weil dieser - 13 Jahre älter als er - ihn zwar gerne als seinen Nachfolger präsentiert, bei wichtigen Entscheidungen aber immer den Rat von Generalmanager Cesare Romiti (67) vorzieht.
Schwester Susanna, 68, schreibt gerne Bücher und engagiert sich auch sozial, etwa für Obdachlose und Drogenabhängige. Doch auch sie mag die Schalthebel der Macht nicht ungern seit nunmehr fast acht Jahren sitzt sie als Außenamts -Staatssekretärin zum Aufpassen am Regierungstisch und knüpft gleichzeitig just jene Beziehungen, die dem Fiat -Imperium immer wieder entscheidene Startvorsprünge verschafft. Getreu dem Motto, das die Agnellis immer ausstreuen, wenn der Staat den Turiner Auto-, Traktoren-, Flugzeug- und Autobauern Vorteile verschaffen soll: „Was gut ist für Fiat, ist auch gut für Italien.“
So sehen sich speziell bundesdeutsche, französische, englische Firmen beim Wettlauf um gute Aufträge zumeist an die Geschichte mit Hase und Igel erinnert - immer war vor ihnen schon einer von der „Fabbrica Italiana automobili Torino“ da. Neuerdings passiert das häufig im Osten, den zu kolonisieren die Italiener lange vor allen anderen begonnen hatten. Der erste internationale Großvertrag stammt aus dem Jahr 1935 - mit Polen, wo seinerzeit „Fiat Polski“ entstand; im Westen kamen die Turiner um einiges später, 1950 mit Seat in Barcelona, zu ihrem ersten großen Außensitz, 1954 begann die Produktion in Argentinien. Gleichzeitig ging's wieder nach Osten, diesmal nach Jugoslawien. 1966 dann der seinerzeit spekatulärste Ost-Happen, den Deutschen direkt vor der Nase weg: die schon seit den 30er Jahren bestehenden (wegen der stalinistischen Autarkiebestrebungen jedoch noch halblegalen) Verbindungen wurden formal in einen Kooperationsvertrag umgewandelt, zwei riesige Auto- und Traktorfabriken entstanden in der Sowjetunion.
So hatten die Fiat-Herrscher denn wenig Mühe, schon von Beginn der Perestroika in nahezu allen Ostblockländern vor allen anderen präsent zu sein und beim Aufbau der „Wirtschaftsdemokratie“ (Agnellis Lieblings-Schlagwort) mit Rat und Tat zu helfen; Konkurrenz-Manager vermuten dabei allerdings, daß die „Demokratisierungshilfen“ bis heute nicht nur im Investieren, sondern ab und an eher im Fernehalten unliebsamer Wettbewerber aus dem Westen bestanden. Vor wenigen Wochen erst sprang Fiat in Warschau ein, nachdem ein geplantes Joint-venture der polnischen Autofabrik FSO Zeran mit Daihatsu in die Binsen gegangen war.
Giovanni Agnelli hat für die nächsten Jahre seinen Rückzug auf den Part des „Familienpatriarchen und Großvaters“ angekündigt; ob dann Bruder Umberto oder einer der mittlerweile in die 40er kommenden Sprößlinge der derzeitigen Clanherrscher zum Zug kommt, ist noch ungewiß.
Wie dem auch sei: der Abgang käme vielleicht gerade rechtzeitig, um den angestrebten Platz als erfolgreichster Privatunternehmer Europas für die Nachwelt zu sichern. Zwar sieht der Jahresbericht für 1990 eine erneute Steigerung (um ca. sechs Prozent) voraus; doch in mindestens zwei Haupteinnahmebereichen zeichnen sich schwere Unbillen ab: im Autosektor, der derzeit noch mehr als die Hälfte der Umsätze ausmacht und bei dem die Ost-Expansion mangels dort vorhandener Reichtümer die Sättigung im Westen kaum wettmachen dürfte; und beim Waffenbau, der etwa ein Fünftel der Jahresproduktion ausmacht und der sowohl durch die Abrüstung wie auch durch die Armut der Drittweltländer keine großen Steigerungsraten verspricht. „Wollen hoffen, daß die internationale Gemeinschaft nicht nur in erfolgreichen Jahren Beifall klatscht“, orakelt Gianni Agnelli, „sondern notfalls auch mit Einschränkungen fertig wird.“
Die Fiat-Fürsten bereiten, so scheint es, mittlerweile nicht nur Italien, sondern größere Einheiten aufs Aushelfen für den Fall größerer Unwetter vor - nach dem erweiterten Motto: Was gut ist für Fiat, ist auch gut für Europa.
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