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Anwälte der Demokratie

■ Für die Grünen besteht kein Grund, mit der PDS zu fraternisieren

DOKUMENTATION

Auf dem Weg zu unseren Freunden in der Volkskammer in Ost -Berlin, an der Ecke Friedrichstraße/Leipziger, ist an einer Hauswand ein großes Plakat - eine halbe Seite mit Gregor Gysis Bild, die andere Hälfte in Riesenlettern: Ein Anwalt der Demokratie! Ich denke, mich trifft der Schlag, ich werde ganz klein - von 1945 bis 1968 (Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei) bin ich KPD-Mitglied, auch der Illegalen, gewesen. Mit der Rede Chrustschows zur Enthüllung von Stalins Verbrechen hat meine Verunsicherung begonnen. 12 Jahre habe ich gebraucht, bis ich zu der inneren Sicherheit gekommen bin, daß ich ein Anwalt der Demokratie sein will. Dazwischen eine lange Zeit des sich Quälens, mein Hin- und Hergerissensein, bis die Freunde im Betrieb, in der Friedensbewegung mich in dieser Rolle ohne Mißtrauen akzeptierten.

Sie lassen die demokratischen Chancen nicht an sich heran

Auf einem Forum der grünen Bundestagsfraktion und der Fraktion des Bündnis 90 aus der Volkskammer, auch in Ost -Berlin, erklärte vor kurzem ein Sprecher von Ostberliner Basisinitiativen: „Wir hier in der DDR hatten noch nie sowenig Demokratie wie jetzt!“ Wieder hat es mir die Sprache verschlagen. Gregor Gysi und diesen Ostberliner verbindet ein opportunistisches und oberflächliches Verhältnis zu ihrer Vergangenheit sowie eine intuitive Abwehr und tiefe Zweifel gegenüber unseren demokratischen Standards in der Politik. Sie stecken offensichtlich mehr im alten, als daß sie die demokratischen, humanistischen und solidarischen Chancen, die sich mit dem Zusammenbruch ihres Systems und der Einheit in der Republik Deutschland bieten, an sich heranlassen wollen.

Mit solchen Leuten werden wir es noch jahrelang zu tun haben. Sie dominieren die Bürokratien in der alten DDR ebenso wie in den neuen fünf Bundesländern. Sie haben den Staatsvertrag ausgehandelt, sie sind und bleiben wahrscheinlich auch durch diesen 2.Staatsvertrag Lehrer und Richter, rücken sogar in den Beamtenstatus ein.

Also sie bleiben oben, für sie kommt die Normalität, die Angleichung an unsere bundesrepublikanisch gewöhnten Lebensverhältnisse am allerschnellsten. Ihre Fähigkeit, ihren Hals besonders elegant und schnell zu wenden, macht sich offensichtlich bezahlt. Die PDS ist die Partei der alten DDR, die diese Leute vertritt. Gregor Gysi als Anwalt der Demokratie? Demokratie ist für ihn nicht mehr als der Schild, den er vor sich herträgt, mit dem er für die alten Mächtigen in der DDR auch in der neuen Republik Deutschland wieder Privilegien, Macht und Einfluß erstreitet. Ohne Gregor Gysi wären diese Leute gar nichts oder sähen sehr schlecht aus.

Anders die Arbeiter aus den Fabriken, die Arbeiterinnen, die trotz ihrer Qualifikation ihre Arbeitsplätze verlieren werden. Die Verkäuferinnen, Krankenschwestern, die Bäuerinnen und alle anderen Handarbeiterinnen und Handarbeiter haben am 18.März die DM gewählt und sind hier bei uns dafür als Bananenfetischisten kritisiert worden. Sicherlich wußten sie es sogar, daß die damit ein für sie persönlich großes Risiko eingehen würden. Dennoch waren die meisten von ihnen mit sich selbst und ihrer Entscheidung im reinen, sie hatten mit dem SED-Regime nichts am Hut. Ihre Antennen standen immer schon auf Westempfang - oft genug wurden sie dafür ja auch bestraft. Ihre Entscheidung hatte neben allen Konsumbedürfnissen eben wahrscheinlich viel mit dem Wunsch nach Demokratie, nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung zu tun. Sie werden jetzt diejenigen sein, die am längsten an den Kosten zu tragen haben. Sie müssen, bevor ihre Löhne steigen können durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sich diese Löhne erst noch verdienen. Während also ihre früheren SED-Werkleiter in ihren alten oder neuen Sesseln schon längst im Mercedes vorfahren, werden sie immer noch ihre Trabis oder die von ihnen gekauften Gebrauchtwagen aus dem Westen reparieren.

DDR-Menschen müssen jetzt Bürokratien abbauen

Es ist nachzuvollziehen, warum die Verkaufspreise für Westwaren in der DDR im Augenblick höher sind: Aus dem Verkaufsertrag muß die doppelte Zahl von Verkäufern und die darüber gelagerte Bürokratie bezahlt werden. Na klar, können Rewe und Aldi wegen der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der DDR-Läden unter diesen Bedingungen Extraprofite einfahren. Aber wenn die DDR-Menschen schon die DM-Marktwirtschaft gewählt haben, dann müssen sie jetzt auch selbst den Abbau der Bürokratien, das Umschulen und Neubeginnen vieler Menschen in Angriff nehmen. Andernfalls machen die DDR -Firmen und Läden eben einfach Pleite. Wer A sagt, muß auch B sagen.

Diese Gedanken kamen mir, als ich von dem dreieinhalbstündigen Gespräch von Christian Ströbele und dem Bundesvorstand mit Gregor Gysi diese Woche erfuhr. Der Vorstand erklärte dazu, daß dieses Gespräch für die zukünftige Zusammenarbeit keinerlei Bedeutung gehabt hatte. Einziger Sinn sei gewesen, die „Kontaktsperre über die PDS“ aufzuheben. Aber eine Kontaktsperre zur SED beziehungsweise heute zur PDS hat es nie gegeben - zu Zeiten Honeckers nicht, zu Zeiten Modrows nicht und erst recht heute nicht. In allen Akademien und Talkshows aller Fernsehanstalten kann das jeder gut beobachten.

Kontaktsperre zur SED-PDS gab es nie

Und im Gegenteil: Schäuble kontaktiert und betreibt mit den alten, neuen Bürokraten der DDR die Einheit. Deren politische Organisation, ihr öffentlicher Ausdruck ist Gregor Gysi und die PDS. Nicht zufällig hat die PDS bei den Wahlen am 18.März in Ost-Berlin und Umgebung, wo alle diese Bürokratien zentralisiert gelebt haben, 34 Prozent der Stimmen geholt.

Der grüne Bundesvorstand stilisiert mit seinem hoch offiziellen Gespräch Gregor Gysi und die PDS und dem im übrigen völlig falschen Vergleich, dem Bild der Kontaktsperre, zu Märtyrern und politisch Verfolgten. Das ist das altbekannte Lied der Linken, die ihre Existenzberechtigung nicht aus der Überzeugungskraft ihrer Ideen, sondern allein aus der Tatsache ihrer Verfolgung schöpft.

Zu dieser Haltung paßt, daß Mitglieder der Grünen vom linksdogmatischen Flügel der Bundestagsfraktion (Beispiel Siggi Fries‘ Kolumne in der Wochenendausgabe vom 'ND‘) larmoryante Kommentare verfassen. Sie verlieren kein Wort darüber, daß die Übergangsprobleme, die die DDR-Menschen jetzt ertragen, ursächlich von denen verantwortet werden müssen, die das 'Neue Deutschland‘ herausgeben. Statt dessen aber hauen sie jetzt mit der PDS auf die soziale Pauke, angeblich zum Schutz der Arbeitslosen und sozial Schwachen, in Wahrheit aber benutzen sie die Not dieser Menschen für ihr politisches Überleben. Für uns Grüne besteht überhaupt kein Grund, mit der PDS zu verhandeln.

Willi Hoss

Der Autor ist Bundestagsabgeordneter der Grünen im Bundestag und einer ihrer Fraktionsvorstandssprecher.

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