: Im Merkle-Prozeß geht's noch mal rund
■ Staatsanwaltschaft lehnt Einstellung ab / CDU-Präsidiumsprotokolle zur Klärung
Aus Stuttgart Erwin Single
Der Stuttgarter Parteispendenprozeß geht in eine neue Runde. Die Verteidiger des angeklagten früheren Bosch-Managers Hans Merkle beantragten gestern, alle Protokolle der Präsidiumssitzungen der baden-württembergischen CDU im Prozeß öffentlich zu verlesen und dazu weitere namhafte Spitzenpolitiker, darunter die amtierenden Minister Schlee und Weiser als Zeugen zu vernehmen. Damit soll geklärt werden, was CDU-Präsidiumsmitglieder über die verdeckte Parteispendenpraxis wußten, denn auf diesen Sitzungen sei darüber ausführlich gesprochen worden. Auch die Staatsanwaltschaft hatte nach Presseberichten der vergangenen Woche das Gericht aufgefordert, die Präsidiumsprotokolle beschlagnahmen zu lassen. Wird den Beweisanträgen stattgegeben, rücken noch einmal die Politiker ins Prozeßlicht, die eigentlich mit Merkle die Anklagebank drücken müßten. Und es wird sich zeigen, wie es um die Wahrheitsliebe der Ministerpräsidenten Späth und Filbinger steht, die von Details nicht gewußt haben wollten.
Die Staatsanwaltschaft begründete noch einmal ihre Ablehnung des vom Gericht eingebrachten Einstellungsvorschlags. Das Verfahren mit einen Bußgeld gegen Merkle in Höhe von einer Million DM zu beenden, würde den „Anschein eines Freikaufs erwecken“ und das „Gleichheitsgebot verletzen“. Staatsanwalt Schmid wies die Merkle von der Kammer attestierte geringe Schuld zurück. Merkle habe als Mitbegründer und Vorständler der als Berufsverband getarnten „Fördergesellschaft“ in der Parteienfinanzierung eine „dominierende Rolle“. Zu ihrer aufmüpfigen Haltung mögen die Staatsanwaltschaft aber auch andere Gedanken bewogen haben. Wäre das Verfahren eingestellt worden, hätte dies einen politischer Skandal bedeutet, in dem nicht Merkle, sondern die Ankläger mit dem Schwarzen Peter sitzengeblieben wären. Obwohl mit massiven Vorwürfen traktiert, gegen die politischen Anstifter nicht beherzt ermittelt zu haben, bleibt die Staatanwaltschaft hartnäckig bei ihrer Version, gegen die Politiker liege nichts Beweislastiges vor. Daß die Tatsachen aber anders liegen und Politiker mehr gewußt als zugegeben hatten, will die Verteidigung mit ihren neuen Beweisanträgen unterfüttern. Sie warf der Staatsanwaltschaft vor, die Auffassung der Strafkammer der im Prozeß zu Tage geförderte Beteiligung politischer Mandats- und Amtsträger als „Legendenbildung“ diskreditieren zu wollen. Und sie wartete mit 33 Sitzungsprotokollen des CDU-Präsidiums auf, um die die Ermittlungsbehörde sich „nie bemüht“ hätte. Dabei bergen diese Papiere einigen Sprengstoff: Auf einer Sondersitzung im Frühjahr 1973, soll sich der Vorstand mit den von Schatzmeister Neuhaus entwickelten Neuverteilung der Finanzen beschäftigt haben.
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