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Ab in die Netto-Ligen: Geeinter Fußball in Berlin

■ Die Reformpläne des Deutschen Fußball-Bundes lösen einen Erdrutsch im Berliner Amateurfußball aus: Wo genau endet Fußball-Berlin?

Grunewald. Reiner Gentz kennt seine Pappenheimer. „Einige Vereine werden sich bestimmt nicht freuen“, erahnt der Geschäftsführer des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) die Unruhe in den Amteurklubs. Schuld an dieser nervösen Grundstimmung hat der Beschluß des weltmeisterlichen Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sein Leben nach der Hochzeit mit dem Deutschen Fußball-Verband der DDR (DFV) grundlegend zu ändern.

Ab der Saison 1991/92, so beschlossen die Freier aus Frankfurt am Main, wird die Bundesliga mit zwei DDR-Teams angereichert. Dahinter lauern, aufgeteilt in zwei Staffeln, 24 Zweitligisten auf ihre Aufstiegschance - inklusive sechs Teams aus der zukünftigen Ex-DDR.

Wie es aber im Berliner Amateurfußball weitergehen soll, weiß derzeit niemand. „Das ist eine ganz neue Situation für uns“, stöhnt BFV-Geschäftsführer Gentz. Der Verdrängungskampf ist bereits in vollem Gange. Daß nichts mehr so sein wird, wie es einmal war, zeigt ein einfaches Rechenspiel: Von gegenwärtig 46 Profiklubs in der DDR werden im nächsten Jahr 38 den bezahlten Fußball nur noch vom Hörensagen kennen. Der Rest verschwindet in den „Netto -Ligen“, wie die finanziell lukrativen Amateurklassen steuertechnisch genannt werden.

Ohne Chance auf einen Broterwerb durch geschicktes Dribbeln sind schon jetzt Mannschaften, die im DFV-Bereich nur in der zweitklassigen Liga spielen. Das sind im Berliner Lager der traditionsreiche 1.FC Union, Rotation sowie Bergmann-Borsig. Wenn Oberligist FC Berlin, durch zahlreiche Abgänge von leistungsträgern ohnehin geschwächt, sich nicht unter den besten acht seines Verbandes qualifizieren kann, spielt auch er nächstes Jahr gegen Reinickendorf oder Rapide Wedding. „Von der sportlichen Seite kann der Berliner Amteurfußball nur profitieren“, erhellt sich das Gesicht von Gentz.

Bislang stand der Berliner Amateurkick in keinem guten Ruf. Das klägliche Abschneiden der Reinickendorfer Füchse in der letzten Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga bewies es: An der Spree herrscht die Masse, nicht die Klasse. Damit ist es nun wohl endgültig vorbei. Wie kein zweiter Verband in Deutschland profitiert die städtische Balltreterei von der Fusion zwischen DFB und DFV. „Wir wollen unter allen Umständen selbständig bleiben“, wagt BFV-Gentz ein ungewohnt couragiertes Solo. Sein Verband möchte, gemeinsam mit dem Ost-Berliner FVB (Fußball-Verband Berlin), eine eigenständige DFB-Filiale im zukünftigen Regionalverband Nord-Ost bilden.

Dies muß jedoch nicht heißen, daß nur Berliner Vereine in einer wiedererstarkten „Stadtliga“ antreten dürfen. Die Demarkationslinie für den Expansionsdrang von BVF und FVB bildet der zweite S-Bahn-Ring um die Stadt. „Es wird derzeit überlegt, ob man auch noch Klubs innerhalb dieses Bereichs miteinbeziehen kann“, so Gentz. Dann könnten selbst die jetzigen DDR-Ligisten Henningsdorf oder Velten, aber auch starke Teams aus Potsdam, Königs Wusterhausen oder Bernau mitmischen.

Möglich wäre es, denn noch hat sich kein Fußballverband Brandenburg konstituiert (voraussichtlicher Termin: 28. Juli); Berlins „Umlandliga“ wäre in der Tat der lachende dritte Stand. Ein lukratives Einzugsgebiet mit mehreren Kohorten Fußballfans und eine nie enden wollende Phalanx von Lokalderbys lassen diese Konstruktion wesentlich attraktiver erscheinen als manches Zufallsprodukt einer zweigeteilten Zweiten Liga. In einem Geheimpapier vom April wollte der DFB partout Eisenhüttenstadt und den SC Freiburg spielerisch einander näherbringen. Ein Schelm, wer Gutes dabei denkt!

Die Verlierer im Berliner Lager sind zweifellos die Klubs, die sich noch nicht in der Amateuroberliga festsetzen konnten. Ihnen droht jetzt wegen der Neuzugänge aus dem DFV ein dauerhafter Abstieg in tiefere Regionen. Ein Strohhalm bleibt den designierten Underdogs der Fußballunion allemal: die wirtschaftlichen Untiefen der D-Mark Brandenburg. Niemand kann exakt voraussagen, in welcher Form die DDR -Vereine weiterleben oder ob der eine oder andere nicht doch die Kickerschuhe an den Nagel hängen muß. So geschehen beim DDR-Ligisten KWO-Berlin, der für die kommende Spielzeit keine Lizenz mehr erhalten hat.

Jürgen Schulz

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