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„Entweder die Delphine sterben - oder wir“

■ Italiens Leerfischer machen mobil / Blockaden gegen Touristenhäfen wegen Verbots der „Killernetze“ / Regierung verspricht Ausfallgelder, und die Fischer können sich neuen Fangmethoden widmen - mit Vorliebe im Staatssäckel

Vom Meer Werner Raith

Michele Mezza legt den Kopf schief, als ich von den Planken des Kais im kalabresischen Villa San Giovanni ausgerechnet auf seine „Ariane la dolce“ hüpfe, um an der „wichtigsten Aktion der Mittelmeerfischer seit Garibaldis Zug nach Palermo“ (so ein Manifest) teilzunehmen. „Dich kenn‘ ich doch“, ruft er, und seine Miene zeigt, daß er die letzte Begegnung mit dem taz-Korrespondenten vor fünf Jahren nicht allzu positiv in Erinnerung hat. Damals war in einigen Reportagen zur „Mattanza“ - dem Thunfischfang vor Trapani Despektierliches über das jährliche Hinschlachten von Tausenden jämmerlich in enge Buchten getriebene Thunfische zu lesen gewesen, und Mezza, dem einer der Berichte in die Hände gefallen war, hatte daraus entnommen, daß diese „deutschen Kacker im wesentlichen Grillen im Hirn haben, aber nicht an die Menschen denken“.

Diesmal geht es um anderes, und Michele sieht wohl deshalb von seiner früheren Absicht einiger Ruderschläge auf mein Hinterteil ab, weil er mich automatisch auf seiner Seite vermutet. Die Fischer müssen aufgrund verschiedener Gerichtsentscheidungen und internationaler Verträge ihre bisherigen Fanggeräte gegen neue, tierschutzgerechtere austauschen. Das wird zweifellos teuer, und Michele sieht sich - „seit ich die Mattanza aufgegeben habe, zum zweiten Mal vor dem Ruin“ - da muß man doch auf seiner Seite sein. Dann bekommt er unvermittelt einen Wutanfall: „Jetzt sind die auch schon wieder da, St. Petrus, steh‘ uns bei.“

Der Stoßseufzer gilt einer unerwünschten Eskorte: Ein Dutzend kleiner Boote mit den gelbgrünen Flaggen der Umweltschützer und Transparenten wie: „Laßt die Fische leben“ nähert sich den Kuttern, die sich mittlerweile durch Zustrom von den nahen Häfen zu einer ansehnlichen Flotte formiert haben, mit Protestfahnen und bösen Plakaten gegen die Regierung, die Gerichte und, natürlich, die Ökologen. Ziel: Die Blockade möglichst vieler Touristenhäfen, um auf ihre Misere aufmerksam zu machen. „Recht machen kann man es euch wirklich nie“, murrt Michele weiter, auch nachdem die Umweltschützer - aus Spritmangel - zurückblieben. Dann erzählt er, daß er die Mattanza vor allem aus ökologischen Motiven aufgegeben hat; tatsächlich stirbt die Fangmethode aber auch aus, weil die Schwärme derzeit schon auf hoher See von Japanern, Spaniern und Tunesiern leergefischt werden.

Nun hat sich Michele auf den Schwertfischfang spezialisiert. „Aber jetzt ist auch das wieder falsch“, murrt er. Die rund 3.500 Schwertfischfänger Italiens sind da genau derselben Meinung. Vor einigen Jahren haben die Mittelmeeranrainer und mit ihnen viele andere seefahrende Länder in Bern eine Konvention unterschrieben, die für alle Arten von Fischfang erlaubte und unerlaubte Mittel definiert. Verboten wurden dabei unter anderem auch die sogenannten „Spadare“, zehn, manchmal fünfzig Kilometer lange Netze, die bis in eine Tiefe von 40 Metern reichen, in Schlingenform ausgelegt werden und bei einer Lochgröße von 30 auf 30 Zentimeter, mitunter noch enger, kaum einem Speisefisch das Entkommen ermöglichen. Doch in den Maschen fangen sich nicht nur zur Jagd freigegebene Arten, sondern auch viele geschützte Tiere, Tümmler und Delphine zum Beispiel, und oft verwickeln sich auch viel zu kleinen Schwertfische und Jungthune einfach aus Panik in den für sie nicht wahrnehmbaren Fäden. Die Fische aus ihrer Vergarnung zu befreien, ist faktisch nur durch Zerschneiden des Netzes möglich - was aufwendige Reparaturen notwendig machen würde. „Und darum können wir nicht den Fisch aus dem Netz befreien, sondern müssen das Netz vom Fisch befreien“, bringt Giordano, ein Kollege Micheles, die Sache auf einen einfachen Nenner. Was verspeisbar ist, wird zerstückelt und mit in den Fang genommen; was, wie Delphine, besonders geschützt ist, wird mit Ballastsäcken versenkt oder einfach wieder ins Meer geworfen, nachdem man ihnen zur „Netzbefreiung“ die verhakten Flossen abgeschnitten hat. Tage danach werden die verendeten, oft verhungerten Tiere dann irgendwo an Land geschwemmt. „Die Rechnung ist ziemlich einfach“, erklärt Giordano, „entweder die Delphine sterben oder wir.“

Darum haben sich die Fischer auch zum Protest formiert: Gegen alle Prognosen nämlich hat Italien, sonst bei internationalen Konventionen nur verbal stark, bei der Realisierung aber sehr langsam, die Normen in einer Art Blitzaktion Anfang Juli in Kraft gesetzt. Das Verdienst gebührt dabei freilich weniger den Politikern, als vielmehr den Richtern des römischen Verwaltungsgerichts, das schon seit einigen Jahren einen umweltfreundlichen Kurs fährt und nun einer Kontrollklage von Umweltschützern stattgegeben hat. Wenige Tage danach hat auch der Marineminister die Entscheidung notgedrungen bestätigt und ab sofort den Fang mit den „Spadare“ verboten.

Den italienischen Fischern will dabei allerdings nicht in den Kopf, warum ihre spanischen Kollegen - mit mehr als 350 Spadarebooten nach Japan die zweitstärksten Fischräuber der Welt - weiter mit den „Killernetzen“ (Ökologenjargon) fischen dürfen, „während bei uns nur drei Dutzend damit arbeiten“. Doch dem Marineminister sitzt eine Erhebung seines eigenen Hauses mächtig im Nacken; während im westlichen Mittelmeer noch beträchtliche Schwärme herumziehen, ist das vor Italien gelegene zentrale Mittelmeer nahezu völlig leergefischt, deckt nicht einmal mehr die lokalen Märkte ab, geschweige denn den - einst zu 60 Prozent belieferten - Export.

Da schimpfen natürlich die Fischer mächtig - angeblich hat es ihnen bisher keiner gesagt, daß die Fische im Mittelmeer allmählich ausgehen. Wenn man genauer hinsieht, bemerkt man allerdings gar nicht so selten ein leichtes Augenzwinkern der angeblich ruinierten Petrusjünger. Und mit erstaunlicher Akrobatik jonglieren die mitunter kaum lese- und schreibkundigen Männer vielstellige Zahlen, Prozente, reden von Input und Output, um ihre desolate Lage auszuweisen und zaubern trotz des dutzendemale wiederholten: „Wie soll das alles weitergehen, beim Hl. Petrus“, unversehens gleich Dutzende von Lösungen aus dem Netz, wie man auch ohne „Spadare“ fischen kann. Bevorzugter Jagdgrund ist dabei offenbar das Staatssäckel...

Solche Sirenengesänge sind nun bis ins ferne Rom gedrungen. Als wir vor Capri ankern, ist die frohe Kunde bereits angekommen: Das Marineministerium hat einen „vollen Ausgleich der Verluste bei Glaubhaftmachung anderer Fangmethoden“ sowie die „großzügige Finanzierung anderweitiger Ausrüstungen“ versprochen. Michele reibt sich die Hände. „Daß wir den alten Kram noch einmal so toll konvertieren können“, sagt er unter Verwendung eines Neuzuganges in seinem Sprachschatz, „hätte ich nicht erwartet.“ Da hat Petrus, wie es scheint, wieder mal geholfen.

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