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„Die Fixer sollen im Rathaus schlafen“

■ Protest im Stephanie-Viertel gegen 15 Übernachtungsplätze für Drogenabhängige

„Rassistische Sprüche lasse ich mir nicht gefallen!“ Nachdem sie drei Stunden lang mit leerer Miene den nackten Zorn von Anwohnern des Stephanie-Viertels über sich zusammenschlagen ließ, stand die Sozialsenatorin Sabine Uhl am Donnerstag abend wortlos auf - und explodierte schließlich vor der Tür. Drinnen im Saal der Bremer Jugendherberge applaudierten sich rund 150 Stephanie-Nachbarn noch immer gegenseitig für ihre Forderung: Das Drogenschiff darf hier nicht her.

Anlaß des aufgeheizten Abends: Ab Mitte September soll am Kai des alten Weserbahnhofs, genau gegenüber dem Schulschiff „Deutschland“, die „Outlaw“ festmachen. Ehemalige Drogenabhängige haben das Segelschiff in monatelanger Arbeit renoviert und zum Schlafschiff für 15 Personen ausgebaut. Mit jährlich rund 250.000 Mark Sondermitteln des Bundes will der Verein „Drogenhilfe“ auf dem Schiff 15 betreute Schlafplätze für obdachlose Junkies anbieten. Außerdem wird in der ehemaligen Kapitänsmesse das Drogen-Notruftelefon 77777 untergebracht. Sozialsenatorin und Sozialdeputation haben das Projekt gebilligt und aus Eigenmitteln eine halbe Stelle für einen Sozialpädagogen beigesteuert, der insbesondere für Sorgen, Probleme und Fragen der

Nachbarn des „Drogenschiffes“ da sein soll.

Doch über das konkrete Projekt „Outlaw“ wollten die aufgebrachten Anwohner des Stephanie-Viertels gar nichts wissen. „Ich bin erschüttert, daß unsere Kinder hier in Gefahr gebracht werden sollen“, sagte der Elternsprecher der Grundschule Vor dem Stephanietor, Egon Siemers, unter lautem Applaus. „Die Fixer sollen doch alle im Rathaus untergebracht werden“, forderte ein Zwischenrufer. Und der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Utbremen, Rolf Schröder, sah aus „unserem Stephanieviertel“ ein „neues Steintor“ werden und rief in Richtung Sozialsenatorin: „Das halbwegs vernünftige Leben, das wir hier haben, muß erhalten bleiben.“

Da nützte es nichts, daß ein Sozialarbeiter der „Drogenhilfe“ von den konkreten Erfahrungen mit einem Wohnprojekt für Drogenabhänige in Kattenturm berichtete: „Dort trifft nicht eine einzige Ihrer Ängste zu, wir haben ein sehr gutes Nachbarschaftsverhältnis.“ Und auch die Bitte von Sozialsenatorin Uhl: „Sehen Sie den Drogenabhängigen doch als freundlichen, ganz normalen Menschen, den sie annehmen“, ging genauso im Hohngelächter unter wie der Einwurf einer FDP-Beirätin: „Kinder, die einen Säufer als Vater haben, sind

doch viel schlimmer dran als welche, die mal einen Fixer sehen.“

Kurze Stille nur, als der Pastor der Stephanie-Gemeinde, Louis von Zobeltitz, eine anwesende Nachbarin vorstellte, deren zwei Söhne an der Nadel gestorben sind. Doch schon das nächste Argument der Sozialsenatorin, „es könnten doch morgen auch Ihre Kinder drogenabhängig sein“, wollte die Mehrheit der Anwesenden nicht wahrhaben. Im Gegenteil: „Wenn mein Kind drogenabhängig wird, dann sind Sie schuld“, schleuderte ihr ein Vater entgegen.

Rund 1.500 Heroinabhängige gibt es in Bremen, 200 bis 300 davon sind obdachlos. Nur rund 50 Übernachtungsplätze gibt es für sie bisher in der Roonstraße, der Schmidtstraße und in Kattenturm. Auch das „Drogenschiff“ am Weserbahnhof wird das Problem nicht lösen. „Aber im nächsten Winter wird die Lage etwas weniger bedrohlich als im letzten, als es noch keinen einzigen Übernachtungsplatz gab“, hofft der Geschäftsführer der „Drogenhilfe“, Grotjan.

Deshalb will Sozialsenatorin Uhl auf jeden Fall an dem Drogenschiff-Projekt festhalten, auch wenn es von Nachbarn und Ortsamts-Beiräten abgelehnt wird und von Parteienvertretern der CDU, SPD und der Grünen für „unsinnig“ gehalten wird.

„Wenn Sie ein Haus wissen, das wir ebenfalls für ein Drogenhilfe-Projekt anmieten können, dann teilen Sie es mir bitte mit“, trat sie der Forderung entgegen, die Junkies doch nicht in „Karnickelställen unter Deck“, sondern in einem „ordentlichen Haus“ unterzubringen - aber natürlich nicht im Stephanie-Viertel.

Von ihrem Schock am Donnerstag abend hatte sich Sabine

Uhl gestern wieder erholt. Alle „interessierten Bürgerinnen und Bürger“ lädt sie jetzt zu einem neuen Gesprächskreis ein: „Zusammen mit den in der Drogenarbeit erfahrenen Fachleuten will ich ganz konkrete Hilfestellungen für den Umgang mit der Drogenproblematik geben“. Termin: 5. September, 18 Uhr, im Seemannsheim.

Ase

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