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Polen: Gerichtsvollzieher droht AKW

■ Nach dem Baustopp in Zarnowiec soll der Bauherr für langfristig vereinbarte Lieferungen bezahlen

Aus Warschau Klaus Bachmann

Demnächst wird in Polen wohl das einmalige Ereignis eintreten, daß ein Gerichtsvollzieher ein im Bau befindliches Atomkraftwerk beschlagnahmt. Geschickt wird er von der Warschauer Firma Megadex, dem Generalunternehmer des Kraftwerks Zarnowiec, berichtet die Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘. Der Kuckuck auf dem Atomkraftwerk ist das vorläufig letzte Kapital des „Zarnowiec-Kabaretts“.

Als Polens Regierung vor einem Dreivierteljahr beschloß, den Weiterbau des umstrittenen Kraftwerks Zarnowiec auszusetzen, da kappte sie der Direktion auch die Gelder. Vergessen hat man dabei allerdings, daß Megadex bis 1991 bereits zahlreiche Lieferverträge mit ausländischen Firmen abgeschlossen hatte. Das rächt sich jetzt: Während permanent Lieferungen in Polen ankommen, hat Zarnowiec kein Geld, Megadex dafür zu bezahlen. Stornieren geht nicht, denn das würde erstens zu horrenden Konventionalstrafen führen und zum zweiten das internationale Image von Megadex gefährden. Die Firma baut nämlich nicht nur in Polen, sondern auch in Jugoslawien, der Türkei, China und Ungarn Kraftwerke, ein Joint-venture mit einer westdeutschen Firma wird geplant. 200 Milliarden Zloty Schulden werden also bis Jahresende auflaufen, 330 Milliarden kommen 1991 für bereits bestellte Lieferungen noch dazu.

Megadex kann seine Lieferanten nicht bezahlen, weil Zarnowiec Megadex nicht bezahlt, weil die Regierung Zarnowiec die Mittel gestrichen hat. Doch selbst wenn der Gerichtsvollzieher seine Mission erfüllt, ist fraglich, ob das Megadex etwas hilft: Die Einzelteile des Atomkraftwerks zu verkaufen hieße zwar, der Regierung die peinliche Entscheidung abzunehmen, doch auch das braucht seine Zeit.

Zeit, die teuer ist, wie Berechnungen von Experten zeigen: 400 Millionen Dollar und 400 Millionen Rubel sind nötig, um das AKW zu Ende zu bauen. Die Summe in Rubel muß Polen allerdings in jeden Fall zahlen - die entsprechenden Verträge sind bereits unterzeichnet. Hinzu kommen noch 56 Millionen Dollar aus Megadex-Kontrakten und entsprechende Verzugszinsen.

Die Befürworter eines Ausbaus der Atomenergie in Polen argumentieren daher auch, es sei im Endeffekt billiger, das Projekt zu Ende zu bauen, als den Bau einzustellen. Im letzteren Fall wird Megadex dann wohl einfach versuchen, die Regierung zur Kasse zu bitten. Das Industrieministerium zieht sich einstweilen mit der Begründung aus der Affäre, Megadex sei ein unabhängiges Unternehmen. Die Selbständigkeit der Staatsbetriebe ist allerdings recht neuen Datums. 1982, als die Regierung den Bau von Zarnowiec beschloß, war davon noch keine Rede gewesen.

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