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DDR, ahoi!

■ Ein „Segeltourenführer“ ins „freie Wasser“

WIR LASSEN LESEN

„Viel hat sich verändert seit der 89er Saison“, schreibt Süßwassermatrose Peter Wolter im Vorwort zu seinem Buch Und ostwärts liegt das freie Wasser. Grenzen sind durchlässiger geworden, Verleger gnädiger, so daß sich dieser Segeltourenführer ostwärts durch die DDR-Gewässer geradezu aufdrängt. „In dieser Lage“, bläst Autor Peter Wolter mit prall gefüllten Wangen in die Segel, „plant mancher Skipper seine Tour in Richtung Osten.“ Dorthin, wo einst der ostdeutsche Wassersozialismus bilaterale Törns versaute, treibt es die Windbeutel: in die Binnengewässer um Berlin, zur Mecklenburger Seenplatte oder Richtung polnisches Haff zwischen Trebiez und Wolin.

Ein überstürzter Stapellauf bringt nichts, rät Wolter bereits zu Beginn des Buches. Die langen Fahrten bedürfen einer sorgfältigen Vorbereitung, die der Schreiber akribisch auflistet. Kurioserweise befaßt er sich dabei ausführlich mit den Entsorgungsmodellen menschlicher Abfälle. Wollen die Skipper so viel Scheiße bauen? Möglich wäre es, da auch im östlichen Neuland Umweltschutzbestimmungen existieren. Doch noch immer hält sich in westlichen Bootshäusern das hartnäckige Gerücht, die DDR-Polizei dümpele gesetzesabwesend in Siesta-Haltung über die Wellen, ohne Schurken zu strafen.

Peter Wolter muß Segelsoziologe sein, derart logisch strukturiert sowie nach Methodik und Erkenntnisinteresse ausgerichtet ist sein weiteres Wasser-Werk. „Revierhinweise und Bestimmungen“ (Seekarten, Sprechfunk, Brandungstiefe etc.) müssen überquert werden, bis der geneigte Leser zum eigentlichen Sujet gelangt: Wie ist das mit dem „freien Wasser“?

Aber just, als es spannend wird, geht das Buch vor Anker. Die Kartenübersicht mit den reunierten Wasserwegen offeriert Mängel. So sind die Wasserstraßen von und nach Berlin sowie die Strecken zur Elbe und nach Mecklenburg mit dünnen Strichen handgezeichnet und zeigen keinen Maßstab.

Auch die restlichen Seekarten hätten eine freundlichere Aufmachung verdient. Überdies entbehrt die triste Bebilderung der passierten Uferlandschaften jede Ähnlichkeit mit der tatsächlich schönen Landschaftsarchitektur. Mehr Sorgfalt und höhere Qualitätsansprüche an diesen Wegweiser wären dem zeitgemäßen Thema gerechter geworden.

So aber bleibt der Segeltourenführer ein Insiderbuch für Freizeitkapitäne. Vielleicht sollte es genau das werden, denn die Konkurrenz schläft nicht und wird bald mit eigenen Orientierungsbojen aufwarten. Dennoch müssen auch Leseratten unter den Vorschotmännern und -frauen und Smutjes vorsichtig sein. Die Regeln im innerdeutschen Wassersport könen sich fast stündlich ändern. Einige Angaben, die Peter Wolter nach bestem Wissen bis Ende April zusammentrug, können mittlerweile bereits wieder baden gegangen sein. Vorsichtshalber sollte man sich bei der Wasserschutzpolizei über den Stand der Dinge informieren, um nicht von feindlichen Polizeibooten aufgebracht zu werden.

Jürgen Schulz

Peter Wolter: Und ostwärts liegt das freie Wasser..., Stadthaus Verlag, Körtingstr. 71b, 1000 Berlin 42, 1990. 61 Seiten. 15 Mark.

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