: Teufelskreis: HIV und Heroin im Knast
■ „Abseits - Aids-Kranke hinter Gittern“ / Die Aids-Hilfe zeigt Plakatentwürfe von Gefangenen
Wilmersdorf. Gefangen im Teufelskreis: Die besondere Problematik von Menschen mit HIV oder Aids im Strafvollzug war Thema eines Plakatwettbewerbs, den die Deutsche Aids -Hilfe 1989 in bundesdeutschen und Berliner Gefängnissen veranstaltete. „Abseits - Aids-Kranke hinter Gittern“ ist der Titel einer Ausstellung, die jetzt in den Räumen der Aids-Hilfe in der Meinekestraße 12 zu sehen sind.
Auf 50 Plakaten, von der kindlich-naiven Strichzeichnung bis hin zum professionellen Mehrfarbendruck, vermitteln die betroffenen Gefangenen ein bedrückendes Gesamtbild ihrer Situation: Isolation, Diskriminierung schwuler Insassen, mangelnde medizinische Versorgung, das nervenzermürbende Warten auf den Ausbruch der Krankheit in der Enge einer 8 -Quadratmeter-Zelle. Der Betrachter der Entwürfe kann erahnen, daß sich all dies oft nur im Drogenrausch ertragen läßt.
Heroin ist in den Knästen inzwischen die Droge Nummer eins. Unter den 2.000 Gefangenen im geschlossenen Vollzug der großen Westberliner Justizvollzugsanstalten (JVAs) gibt es nach Schätzungen der Berliner Aids-Hilfe mittlerweile 300 bis 350 Fixer.
Lag der Knastpreis für das Gramm Heroin noch vor einigen Jahren bei 800 DM, wird es gegenwärtig für nur noch 300 DM gehandelt. Die Konsequenz: Die Zahl der Heroinabhängigen steigt rapide. Bis zu 15 Gefangene hängen an einer „Stationspumpe“, also einer Injektionsspritze, schildert Gert Wüst, Aids-Berater in den JVAs. An den Reibeflächen von Streichholzschachteln schärfen sich die Gefangenen die verschmutzte Nadel für den nächsten Schuß.
Anstatt endlich Spritzenautomaten aufzustellen, setzen die Verantwortlichen nach wie vor auf die praktisch unmögliche Verhinderung des Drogenkonsums. Die Folge dieser Augen-zu -Politik: Fast jeder Fixer im Gefängnis ist mittlerweile infiziert.
Immerhin wurden mittlerweile sowohl in Bremen als auch in Berlin Senatskommissionen gebildet, die die Möglichkeit der Vergabe steriler Spritzbestecke in den JVAs untersuchen. Doch der Berliner Aids-Hilfe geht es um mehr: Sie fordert außerdem die Verbesserung der medizinischen Betreuung gegebenenfalls auch außerhalb der Anstalt -, die Bereitstellung von geeigneten Desinfektionsutensilien und den ungehinderten und unbeobachteten Zugang der Häftlinge zu Kondomen. Die Justizbehörden hätten endlich zu akzeptieren, „daß Sexualität und Drogenkonsum zur Realität des Gefängnisalltags gehören“.
Die Ausstellung „Abseits - Aids-Kranke hinter Gittern“ läuft noch bis zum 7. September in den Räumen der Berliner Aids-Hilfe, Meinekestraße 12, 4. OG. Öffnungszeiten: werktags 10-18, mittwochs: 15-18 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Marc Fest
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