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„Wir sind doch keine Zombies“

■ Das hessische Institut für Lehrerfortbildung und die Stiftung für Konfliktforschung legen Studie zu Horrorvideos vor

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

„Hast du gesehen, wie der Pauker auf der Kreissäge gelegen hat? Echt geil!“ oder „wie der Mutter die Brüste abgeschnitten wurden“, das sei doch auch „nicht von schlechten Eltern“ gewesen. Ein „Montagsgespräch“ unter SchülerInnen einer 9.Klasse. Lehrer Meyer hält sich die Ohren zu, will nicht hineingezogen werden in ihr Gespräch über herausquellende Därme, zerplatzende Köpfe und sadistische Quälereien insbesondere an Frauen. „Herr Meyer, kennen sie eigentlich Zombies?“ Der Lehrer verläßt unter dem Hohngelächter der SchülerInnen den Raum.

Die „Not der Lehrer, vor allem der Lehrerinnen“ hat den Ausschlag dafür gegeben, daß sich das hessische Institut für Lehrerfortbildung in Zusammenarbeit mit dem hessischen Institut für Friedens- und Konfliktforschung mit dem Thema Horror- und Gewaltvideos beschäftigt hat. Drei Jahre lang konfrontierten die ExpertInnen rund 500 LehrerInnen mit den Exzessen auf dem Bildschirm, damit sie - „ohne daß ihnen die Haare zu Berge stehen“ - kennenlernen, was ihre SchülerInnen sich so alles „reinziehen“, wie Projektmitarbeiter Wolf -Peter Betz erklärte. Ziel des Feldversuches: Den Ekel überwinden lernen, um so wieder einen Zugang zu den SchülerInnen zu finden, die sich diese furchtbaren Filme anschauen, mit ihrem „Wissen“ vor den KlassenkameradInnen protzen und LehrerInnen erschrecken. Die aber können oft „da nicht hingucken“, bekommen Schweißausbrüche bei den Vorführungen und träumen nachts schlecht, weil „all diese Dinge jenseits unseres kulturellen Erlebnisbereiches angesiedelt sind“, wie Eberhard Meyer vom Institut für Lehrerfortbildung weiß. Obgleich das Thema aus der öffentlichen Debatte wieder verschwunden ist, werden LehrerInnen im Unterricht permanent mit dem Schund konfrontiert - und das bereits in der Grundschule. Die Lehrerausbilderin Jutta Loesch erzählt von einer Schülerin, die eine „brutal-eklige Geschichte“ von menschlichen Körperteilen und Gedärmen zu Papier brachte. Loesch: „Ist der Scheißdreck nun mit einer Sechs zu bewerten? Oder gebe ich, weil Form und Rechtschreibung stimmen, eine Zwei?“

Doch konkrete Handlungsangebote für den harten pädagogischen Alltag hatten die SeminaristInnen in Kassel nicht parat. Man müsse die Thematik eben „aushalten lernen“, lautete ihr Credo. Das „Umgehenlernen mit dem Abscheu“ sollen die LehrerInnen, die in den drei Jahren des Großversuchs mit dem Forschungsprojekt konfrontiert wurden, nun ihren KollegInnen beibringen - etwa in Filmsessions mit anschließender Diskussion. Die so „seelisch aufgerüsteten“ LehrerInnen könnten sich dann auch dem familiären Umfeld der SchülerInnen nähern, um die Hintergründe für den Horror -Konsum ausloten zu können. Fünf Millionen Jugendliche schauen sich häufig solche Filme an. Für die PsychologInnen des Projekts wird das „Ketchupspektakel“ dann bedenklich, wenn sich der Dauerkonsum der Videos über die Pubertät hinaus fortsetzt. Ansonsten empfiehlt Psychologe Rogge „Gelassenheit“ - „auch wenn es nicht sein muß, daß Kleinkinder auf dem Topf sitzen und die Horrorvideos der Eltern mit anschauen“. Von Verboten halten die „Horrorexperten“ nichts, denn die Mittvierziger wissen aus eigener Erfahrung, daß das, was verboten ist, gerade scharf macht. Und ohnehin könnten LehrerInnen nicht alle Probleme dieser Welt lösen. Rogge: „Wir sind doch keine Zombies.“

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