: Steffi Graf fährt Achterbahn
■ Sabatinis Trainerwechsel zeigt sich im variableren Spiel, bei den Männern bringen's die Youngster
New York (dpa) - Die US Open 1990 haben die Tennis-Welt in Unordnung gebracht. Die deutschen Titelverteidiger Steffi Graf und Boris Becker wurden entthront, Gabriela Sabatini hat sich endlich durchgesetzt, die US-Youngster Andre Agassi und Pete Sampras stehen im Rampenlicht und der 31 Jahre alte John McEnroe erinnerte bis zur 4:6/ 2:6/6:3/3:6-Halbfinal -Pleite gegen Sampras an alte Zeiten.
Und: Zum erstenmal seit 24 Jahren und erst zum drittenmal überhaupt gibt es bei den vier Grand Slam-Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York acht verschiedene Sieger.
Der 13. Tag der US Open wurde wie vom US-Sender CBS angekündigt zum „Super-Saturday“. Die Weltranglisten-Erste beendete eine verkorkste Saison mit einer 2:6/ 6:7 -Niederlage gegen ihre ehemalige Doppelpartnerin; Becker scheiterte am überragenden Andre Agassi 7:6, (12:10), 3:6, 2:6, 3:6. Und Gabriela Sabatini war nach ihrem ersten Grand Slam-Titel sprachlos. Sie hat bewiesen, daß sie mit 20 Jahren ihre Zukunft noch nicht hinter sich hat. Der Trainer -Wechsel nach den French Open von Angel Gimenez zum brasilianischen Hobby-Schlagzeuger Carlos Kirmayr hat sich bereits ausgezahlt. Gabriela Sabatini spielt taktisch variabler und ist konditionell stärker.
„Ich habe ein paar sehr gute Spiele gehabt in dieser Saison und ein paar schlechte“, sagte Steffi Graf, die sogar zwei Satzbälle nicht verwandeln konnte, „ich bin nicht mehr so konstant wie früher.“ Die Brühlerin war enttäuscht und unzufrieden mit sich selbst. Nach dem Sieg bei den Australian Open, ihrem einzigen Grand Slam-Titel in diesem Jahr, glich ihre Saison einer Achterbahnfahrt. „Ich habe viel gelernt in diesem Jahr“, sagte die 21jährige, „ich würde nichts anders machen.“ Gabriela Sabatini kassierte die 350.000 Dollar-Siegprämie, und Steffi Graf bekam vom Publikum nur tröstenden Beifall, der ihr aber unangenehm zu sein schien.
Becker lachte nach seinem Aus und traf sich mit Agassi zum liebevollen Tete-a-tete (obiges Gemälde). Er machte Witze, fand, daß er nichts falsch gemacht hatte, aber er stand mit dieser Meinung ziemlich allein da. Der 22jährige versuchte von der Grundlinie aus zu gewinnen, konnte aber nur im 71 Minuten langen, ersten Satz mit dem phantastisch spielenden Agassi mithalten. Danach dominierte der 20jährige aus Las Vegas. „Vielleicht glaubt die Welt jetzt, daß ich es schaffen kann“, sagte Agassi, der Ivan Lendl in der Weltrangliste auf Platz vier verdrängen wird. Nach dem verwandelten Matchball kniete er auf dem Boden des Louis -Armstrong-Stadions und verbeugte sich vor dem Publikum.
Er schrieb den Sieg seinem harten Konditionstraining zu. „Vor einem Jahr hätte ich den ersten Satz gewinnen müssen, um zu siegen“, so Agassi, von der US-Presse meist als Großmaul und Weichling bezeichnet, „aber man kann so einen verlorenen Satz von zwei Seiten betrachten. Man kann sagen, verdammt, ich habe ihn verloren oder der andere hat hart dafür arbeiten müssen.“
Becker rechnet Agassi nun auch zu den Konkurrenten um Platz eins. Er selbst hofft insgeheim, vielleicht noch in diesem Jahr an die Spitze zu kommen. „Die Entscheidung fällt wahrscheinlich erst beim Masters in Frankfurt“, sagte Becker, der eine große Chance vergeben hat, in der Weltrangliste weiter Boden gut zu machen auf den in der ersten Runde ausgeschiedenen Stefan Edberg.
Pete Sampras erfüllte dagegen bereits in Flushing Meadow sein Jahresziel: Der 19jährige wird zum ersten Mal in seiner Karriere in den Top Ten stehen. Der Kalifornier hatte die märchenhafte Rückkehr von John McEnroe mit kompromißlosem Angriffstennis beendet. Seine Eltern waren zur Zeit des Spiels im Kino. Vater Sam kann seinem Sohn vor Aufregung nicht zusehen. Bei Petes erstem Fernsehauftritt wusch er alle drei Autos der Familie. „Häufig geht er auch Joggen“, so Petes Bruder Gus, „dabei hat er schon 15 Pfund verloren.“
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