: Vorwand und Anlaß
■ Die Grünen sind sich alles andere als grün GASTKOMMENTARE
Nach dem Dortmunder Parteitag ging es den Grünen eigentlich recht gut. Der Streit war verraucht, die Altparteien demonstrierten mit ihrer faktischen großen Koalition und der Beteiligung der SPD an der Wahlrechtsmanipulation nachdrücklich, warum es der Grünen bedarf. Der Bundesvorstand agierte insgesamt gesehen klug in der Frage des Wahlbündnisses mit den DDR-Grünen und der Bürgerbewegung. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ein schwieriger und entscheidender Wahlkampf konnte also in Ruhe und geschlossen angegangen werden — aber denkste! Wenn es den Eseln zu wohl wird, zieht es sie aufs Eis, vor allem in Bonn und wenn die Historie winkt: „Deutschland als Weltmacht“, „Weltpolizei“ und „Wir (wir!) Deutsche sind nach 1968 im Westen und 1989 im Osten wieder völlig normal geworden“, verkündeten hochmögende Mitglieder und Mitarbeiter in Bundestag und taz.
Ich vermag nicht zu erkennen, welchen Sinn es für die Republik ergeben soll, wenn die Grünen eine Weltmachtdiskussion aufmachen, von der die CDU/CSU insgeheim nur heftig zu träumen wagt; und schon gar nicht begreife ich, warum wir angesichts von „Deutschland, einig Vaterland“ jetzt die historische Entsorgung von Auschwitz im Stile der Gnade der allerspätesten Geburt betreiben sollen. So ziemlich das genaue Gegenteil würde für die Grünen politischen Sinn machen. Allerdings ist mir in pragmatischer Schlichtheit eines gewiß: die Grünen als Partei bräuchte es nicht, wenn solche Ideen auch nur den Hauch einer Chance der Mehrheitsfähigkeit in der Partei hätten, und genau deshalb haben sie diese Chance auch nicht.
Andere sehen darin nun eine gelungene Steilvorlage, einen Vorwand, um einen ganz anders begründeten Anlaß endlich wahrzunehmen. Gysi und seine PDS locken mit dem Versprechen auf Linkssozialismus pur und Penunzen im traditionssozialistischen Flügel der Grünen und werden fündig. Was Jürgen Reents bereits im März letzten Jahres öffentlich angekündigt und dann heftig dementiert hat, wird jetzt vollzogen: die Grünen werden von einigen Linken zugunsten der PDS aufgegeben. Begründet wird dies wider besseres Wissen mit einer angeblichen „Rechtsentwicklung“ wg. Weltmacht und Weltpolizei. Welch ein dünnbehaarter Vorwand! Nach Hagen und Dortmund und angesichts der Beschluß- und Programmlage von einer Rechtsentwicklung der Grünen zu sprechen, ist schlicht albern. Wer eine linkssozialistische Partei bevorzugt, der sollte das tun (und wird bei der PDS sein blaues Wunder erleben). Wer aber beim Verlassen der Partei diese noch mit einer angeblichen „Rechtsentwicklung“ in die Pfanne zu hauen versucht, der verdient schärfsten Widerspruch, ja Widerstand. Auch vom Bundesvorstand.
Was jetzt ansteht, ist kein Spaltungsgeschrei, kein Anbiedern an die Traditionssozialisten, aber auch kein Nachtreten. Bis zum 2. Dezember geht es allein darum, die Fraktion Die Grünen/Bündnis 90 im Deutschen Bundestag möglichst stark zu machen. Alles andere bitte später oder vielleicht auch besser gar nicht. Zudem: Wir sollten uns auf die Konkurrenz der PDS freuen. Immerhin hat sie es in Gestalt der SED in Deutschland mit ihrer dollen Opposition so weit gebracht, daß selbst aus einem Helmut Kohl eine historische Figur zu werden droht, und ein CDU-Minister endlich, endlich mit dem Atomausstieg ernst machen will. Eine Konkurrenz ist das, echt zum Fürchten... Joschka Fischer
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