: Wenn die Freiheit kommt
■ Das südafrikanische Musical »Sarafina« im Theater des Westens
Zwei Jahre sind sie nun schon auf Tournee, das Ensemble des südafrikanischen Musicals »Sarafina«, und die lange Reise um die Welt hat noch kein Ende. Das Stück des südafrikanischen Autors Mbongeni Ngema handelt vom Aufstand der Schüler in Soweto 1976 — die Kids spielen ihre eigene Geschichte.
Von Andrea Seibel
Aus manchen Kindergesichtern wurden die von Erwachsenen, so wie die Zeit in Südafrika auch einen gewaltigen Sprung in die Zukunft tat. »Wir werden solange weitermachen, wie es das Publikum will«, sagt mir später Nozipho Nguse, eine der 17 LaienschauspielerInnen, lakonisch. Keine Müdigkeit, kein Heimweh? »Wir waren gerade fünf Wochen zu Hause.« Sie will, wenn sie in ihr Land zurückkehrt, Geld für Schulen stiften und — etwa Lehrerin? — »nein, nein, Schauspielerin« werden.
Maxwell Ngcobo, einen anderen Darsteller, zieht es unbedingt noch mal auf die Schulbank, um dann Musik zu studieren. Mit das erste, was Mandela nach seiner Freilassung im Februar gesagt hatte, war: »Kinder, geht zurück zur Schule.« Viele Jugendliche waren in den Achtzigern dem Unterricht ferngeblieben, weil sie sich an das revolutionäre Motto: »first liberation, then education« (zuerst Befreiung, dann Ausbildung), hielten und die Apartheid auch im Bildungsbereich boykottieren wollten.
Südafrika heute ist der historische Handschlag zwischen Mandela und de Klerk. Doch das Land produziert immer noch eine Reihe nicht enden wollender Bilder, Bilder von Polizisten, Militärs, Toten, Beerdigungen. Doch dieses seltsame »Kap der guten Hoffnung«, dessen Rassentrennungspolitik die ganze Welt in Rage bringt, verkörpert auch dies: einen ungeheuren Reichtum an Kultur, der in den Jahren der Zensur noch wuchs. Noch ist der Film in den Kinderschuhen, Theater und Musik hingegen blühen.
Momentan findet in Südafrika eine vom ANC-Verfassungsexperten Albie Sachs angezettelte Kulturdebatte statt, in deren Kontext auch Stücke des Sarafina-Autors Mbongeni Ngema eine große Rolle spielen. Sachs klagt die Freiheit der Kunst und des Autors ein. Die Zeit der Unterordnung unter Interessen des politischen Kampfes müsse zu Ende sein, Pluralismus, Experimente und das Recht auf Unterhaltung seien angesagt. Dem widersprechen Gewerkschafts- und Kulturpolitiker. Ngemas letztes Stück Township Fever, auch ein Musical, das den Eisenbahnerstreik 1987 thematisiert, wurde von ihnen kritisch aufgenommen. Es sei zu »verharmlosend«, zu leicht. Tod und Gewalt könne man nicht singen.
Sarafina, 1984 geschrieben, ist auch eher ein Geschenk Ngemas und des berühmten Komponisten Hugh Masekela an die Welt: die grausamen Bilder von Gewalt und Unterdrückung neu gemalt und komponiert, Entertainment statt Agitprop, Theater des Westens statt Township-Theater.
Erfunden? Nichts. Ein Staat, so bläst die Trompete zu Beginn des Stücks, führt Krieg gegen die Kinder, aber die Kinder auch gegen ihn. Das ist die ganze Wahrheit und Geschichte. 1976 wehrten sich Kinder und Jugendliche in Soweto gegen die minderwertige Schulbildung und dagegen, im Unterricht Afrikaans, die Sprache der Buren, zu sprechen. Polizei und Militär schossen auf Zehntausende DemonstrantInnen. Bis zum Jahresende kamen in anderen Teilen des Landes Hunderte Kinder bei ähnlichen Protesten ums Leben.
Sarafina erzählt. Sie steht im Mittelpunkt und dann doch nicht, ebenso wie Colgate (weil seine Zähne so weiß sind), einer ihrer Mitschüler, der als Erzähler fungiert, dann aber in der Gruppe mehr und mehr aufgeht, der Gruppe aus Crocodile, Teaspoon, Stimela Sase-Zola, Silent und wie sie alle heißen.
Hinter dem Schulhof, auf dem sich die Kids tummeln und dem Unterricht ihrer Lehrerin »Mistress-isn't-it- a-pity« — »es ist eine Schande«, sagt sie ständig — lauschen, ist nur ein Zaun, darüber Stacheldraht, dahinter ein lauernder Panzer. Das Bühnenbild bleibt immer gleich. A world apart. Auf dem Panzer die uniformierte(!) Band.
Die Stationen sind absehbar: Kritik, Knast, Widerstand, Tod. Sarafina weiß, daß es eine eigene Geschichte hinter der der Weißen gibt. Dem Sohn der Leute, bei denen ihre Mutter in Johannesburg Hausmädchen ist, hat sie davon erzählt, »von der Geschichte, die nicht in den Büchern steht«. Und sie singt, wie könnte es anders sein, von »Mandela, dem Helden«, und daß Afrikaans Scheiße ist und diese Regierung auch. Dafür wird sie inhaftiert und erst zwei Monate später entlassen. Diese bleierne Zeit wird mit Schweigen, abgeblendetem Licht und der von Colgate geflüsterten Erzählung über Folter, Todesangst und Irrsinn begleitet. Als Sarafina zurückkommt, zeigt sie, langsam, dem Publikum abgewandt, den anderen ihre Folternarben. »Sie kam stärker zurück«, flüstert Colgate uns zu.
Die Soldaten platzen in den Unterricht, wie sie Kirchen oder Beerdigungsfeiern stürmen. Sie lauern überall. Kein Raum ist ihnen heilig. Auch nicht das Leben. »Gaddafi« oder »Libyen«, schreit der Soldat die Lehrerin an, dürfe man nicht sagen, das sei »fucking communism«. Als das Maschinengewehr rattert, klacken auch die Kameras der Journalisten auf den Pressebänken wie wild. Double-bind? »Gott hat's gegeben, und die Polizei hat's genommen«, wird der Pfarrer auf der Beerdigung der Kinder sagen. Später sieht man ihn mit wehender Soutane tanzen und sich dabei bekreuzigen. Tod als »way of life«.
Zwei Szenen rauben den Atem: wie drei Särge langsam in die Erde gelassen werden, das Grab ein rechteckiger — weißer — Lichtschein. »Das Weiße« ist präsent, auch wenn alle AkteurInnen Schwarze sind. Und wie Sarafina eine Vergewaltigung spielt, den rülpsenden — weißen — Vergewaltiger, das Opfer und den Akt der Vergewaltigung selbst, wie sie Vergewaltigung ist. Da schimmert jenes »arme Theater« durch, mit dem Autor Ngema schon in seinem Stück Woza Alberti brillierte.
Doch mit Beginn des zweiten Aktes fühlt man sich wie amputiert. Es ist, als ob ein schlechter Zauberer das Stück mitten entzwei brach oder besser: als ob jemand es durchschüttelte und sich die Elemente ungleich verteilten. Ist es umgeschrieben worden für das westliche Publikum? War der erste Akt eine gelungene Komposition aus Text, Gesang, dem einzelnen und den anderen, dominieren im zweiten die Lieder und Tänze aller bis hin zu folkloristischer Schwere, die jedoch beim Publikum auf Zustimmung stößt. Es wird kräftig mitgeklatscht bei Freedom is coming tomorrow. Standing ovations wie schon überall bei den Auftritten. Sarafina, die auf der Abschlußfeier der Schule — der Entlassung ins Leben — Mandela mimt, verspricht da zuviel der Heilslehre vom Erlöser, welcher Mandela schon lange nicht mehr ist.
Heute ist Mandela frei, doch die Befreiung steht noch aus. Die Bildungsfrage wird neben der Landfrage für ein neues Südafrika von zentraler Bedeutung sein, das wissen die jungen DarstellerInnen zwischen 15 und 25 genau. Das Publikum wahrscheinlich nicht. Dafür haben sie ein ziemlich gutes Musical gesehen.
Bis 30. Oktober im Theater des Westens.
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