piwik no script img

Prima Endlager — Erich Honecker sei Dank

■ In Morsleben (Ex-DDR) besitzt die Bundesrepublik Deutschland endlich ihr erstes betriebsfähiges Atomklo/ Vollmachen, Deckel drauf, ab in die Grube

Was die bundesdeutsche Atomgemeinde in zwei Jahrzehnten wilder Entsorgungsodysseen nie geschafft hat, ist ihr am 3. Oktober wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen. Seit diesem Tag gibt es in der Bundesrepublik Deutschland plötzlich ein betriebsbereites Endlager für radioaktive Abfälle. Es steht in Morsleben in der ehemaligen DDR. „Mit dem Wirksamwerden der Vereinigung“, teilte das Bonner Umweltministerium am 10. Oktober mit, „betreibt das Bundesamt für Strahlenschutz das in Sachsen-Anhalt gelegene Endlager Morsleben weiter.“

Was die Atomfans hüben und drüben besonders freuen wird, stand gleich im nächsten Satz der Erklärung: „Die von der ehemaligen DDR erteilten atomrechtlichen Genehmigungen und Zustimmungen für das Endlager Morsleben gelten 10 Jahre lang fort.“ Auf deutsch: Das Lager kann ohne Unterbrechung weiterbetrieben werden. Es kann nicht nur, es wird weiter genutzt. Leicht und mittelaktive Abfälle aus den maroden Meilern von Greifswald werden in fester und flüssiger Form weiterhin eingelagert, ganz wie zu alten SED- Zeiten.

Umweltminister Töpfer konnte sich bis heute nicht zu einer Einschränkung des Betriebs entschließen. Der Bonner Atomaufseher verweist lediglich auf eine schon im August dieses Jahres angeordnete Sicherheitsüberprüfung des Endlagers. Deren Ergebnisse sollen aber erst Anfang 1991 vorliegen. Bis dahin wird weitergewurschtelt wie bisher. Daß das Morslebener Endlager in seinem heutigen Zustand nach BRD-Recht niemals genehmigt worden wäre, daß auch sein aktueller Betrieb unübersehbar und fortwährend gegen die bundesdeutschen Sicherheitsregeln verstößt, wird von Töpfer geflissentlich ausgeblendet.

Wie gravierend die Sicherheitsdefizite in Morsleben sind, hat jetzt der Chemie-Ingenieur Gerhard Schmidt vom Darmstädter Öko-Institut in einer Fleißarbeit zusammengetragen. Sein Fazit: Die Einlagerung von Atommüll in Morsleben müsse sofort gestoppt werden. Die bisher in den Salzstock verfrachteten Abfälle müßten wieder herausgeholt und neu konditioniert werden.

Schmidt hatte das Endlager schon im Frühjahr inspiziert und die Arbeiten der Einlagerung beobachtet. Seine Mängelliste, die er im Vergleich mit bundesdeutschen Vorschriften aufstellte, ist nur noch mit dem Sündenregister von Greifswald vergleichbar.

Der schwerste Sicherheitsverstoß ist die Einlagerung von Flüssigabfällen. Dazu wird Braunkohle-Asche verstreut und anschließend der Flüssigabfall (Verdampferkonzentrate aus den Atomkraftwerken) darüber gesprüht. In der Theorie soll die Asche die strahlende Flüssigkeit aufsaugen. In der Praxis wird die Flüssigkeit aber keinesfalls komplett gebunden. Schmidt: Bei dem Verfahren wandere die Flüssigkeit unkonkrolliert in den Salzstock. Nach bundesdeutschen Richtlinien ist jedes Einbringen von Flüssigkeiten in den Salzstock verboten. In Morsleben wurden dagegen schon 8.000 Kubikmeter radioaktive Flüssigabfälle auf diese abenteuerliche Art und Weise entsorgt.

Doch bei festem Atomschrott sieht es nicht besser aus. Der Großteil aller festen Stoffe wird nämlich ohne jede Verpackung einfach in die Endlagerkaverne abgekippt. Ein geringer Teil der Abfälle wird zwar in Metallfässern eingelagert, aber die sind Marke Billigheimer. Nach den Feststellungen des Öko-Instituts bestehen sie aus „wenig korrosionsbeständigem Aluminium“ und viele Fässer sind „bereits zum Zeitpunkt der Einlagerung durch Sturz oder mechanische Beanspruchung beschädigt. Innen drin sieht es nicht besser aus. Eine geeignete Konditionierung durch Zementieren oder Bitumieren der Abfälle ist unbekannt. Vollmachen, Deckel drauf, ab in die Grube, lautete bislang die Devise.

Auf diese Art und Weise wurden nach einer Bilanz des Ex-DDR- Strahlenschutz-Amtes SAAS bis zum Jahresende 1989 13.528 Kubikmeter feste und flüssige Abfälle ohne Behältnis sowie 5.824 „umschlossene Strahlenquellen“ (Abfälle im Faß) abgekippt. Platz für weitere Einlagerungen ist noch ausreichend vorhanden, denn die Abmessungen der Anlage sind gigantisch. Insgesamt besitzt das Endlager ein Hohlvolumen von fünf Millionen Kubikmetern. Mit der ersten Baustufe wurde eine Grubenkapazität von insgesamt 300.000 Kubikmetern angegangen, wovon bislang etwa 75.000 Kubikmeter technologisch erschlossen sind.

Aber auch der Salzstock selbst ist für die Endlagerung, die den strahlenden Müll für Jahrtausende von der Biosphäre abschotten soll, kaum geeignet. Das Darmstädter Institut weist vor allem auf zwei Schwachstellen hin:

— Das Endlager sei durch schwere Wassereinbrüche gefährdet. Schon über den Hauptschacht laufe aus dem Deckgebirge ständig Wasser zu. Aus dem Neben- und Fluchtschacht „Marie“ ströme es sogar massiv ein. Schmidt: „Unterhalb der vierten Sole steht der Nebenschacht voll unter Wasser.“ Durch ständiges Abpumpen werde der Wassereinbruch mühsam in Grenzen gehalten.

— Durch den Salzbergbau seien große Hohlräume entstanden, die zum Teil eingestürzt seien. Auch oberirdisch könne man mit dem bloßen Auge die Einstürze sehen. In der Folge sei es zu deutlichen Verwerfungen gekommen. Insgesamt zeige sich alles andere als eine stabile Gebirgsformation.

Für das Darmstädter Institut reichen die insgesamt festgestellten schweren Mängel aus, um sofort Konsequenzen zu ziehen. Einlagerungsstopp und Bestandsaufnahme von Inventar, Geologie und Hydrologie verlangen die Wissenschaftler von Umweltminister Töpfer. Anschließend müßten die verfrachteten Abfälle geborgen und neu aufbereitet werden. Die Wissenschaftler können Töpfer beim Wort nehmen. „Auch für das Endlager Morsleben“, so hatte der Bonner Reaktorminister noch letzte Woche vollmundig gefunkt, „wird es keinen Sicherheitsrabatt geben.“ Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen