: Von Bier- und anderen Spritpreisen
■ Das Bundeskartellamt setzt eine Senkung des Benzinpreises durch GASTKOMMENTAR
Es gab Zeiten, da wackelte der Thron des Königs, wenn die Brauereien in Bayern am Bierpreis drehten. Aufläufe, Arbeitsverweigerung und Krawalle zeigten den Monarchen und den Großkopfeten in den Direktionsstuben eines ganz klar: Der Bierpreis ist der sensibelste aller Preise, auf den das Volk achtet. Und was haben wir heute davon? Nirgendwo sonst in Deutschland ist das Bier so billig, wird so viel gehoben wie in Bayern. Nicht nur böse Zungen behaupten, daß es da einen Zusammenhang mit der politischen Struktur des Freistaates gebe.
Wer sich heute über die einstigen Bieraufstände in Bayern amüsiert, darf sich schon jetzt Gedanken darüber machen, wie man wohl nach weiteren hundert Jahren, im postautomobilen Zeitalter, rückschauend urteilen wird: Medien und Volkesmund nehmen hypersensibel jeden Pfennig zur Kenntnis, um den der Spritpreis angehoben wird. Und das nur, weil an einer individuellen Mobilität gekratzt wird, deren Tage über kurz oder lang ohnehin gezählt sind, die in ihrem Suchtcharakter dem Bierkonsum kaum nachsteht und obendrein noch gefährlich ist. Dabei kostet der Liter heute gerade mal soviel wie vor fünf Jahren, Autofahren ist so billig wie noch nie, vor allem auch im internationalen Vergleich. Gleichzeitig explodieren andere Preise wie beispielsweise die Wohnungsmieten. Doch wenn die Ölmultis jetzt fünf oder zehn Pfennig aufschlagen, geht eine Empörung durchs Land, die fast die ganze Wiedervereinigungsfreude neutralisiert.
Das Kartellamt kann sich mithin des allumfassenden Beifalls sicher sein, wenn es den heutigen Großkopfeten in den Vorstandsetagen der Ölkonzerne eine Spritpreissenkung aufdrückt. Schließlich geht es auch noch den bösen Multis an den Kragen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Unerträglich ist die jetzige Debatte deshalb, weil sie nur zaghaft von Überlegungen über andere Wege zur Spritpreisanhebung, wie etwa einem unumgänglichen Mineralölsteueraufschlag, begleitet wird.
Das entscheidende am Benzinpreis darf heute nicht mehr die Frage sein, inwieweit er zur Umverteilung aus dem Portemonnaie der Proletarier in die Kassen der Konzerne beiträgt, sondern inwieweit er eine Abkehr von der Automobilgesellschaft erzwingt. Ob Herr Waigel oder Herr Aral abkassieren, ist erstmal zweitrangig. Ulli Kulke (Bayern)
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