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Bürgerclinch um die falschgeparkte heilige Kuh

Eine Dortmunder Bürgerinitiative zeigt zwei Wochen lang FalschparkerInnen im eigenen Wohnviertel an/ NachbarInnen geraten über Parkplatznot und die Anzeigenkampagne in Streit/ Selbstjustiz oder Notwehr? Wohin mit all dem Blech?  ■ Von Bettina Markmeyer

Dortmund (taz) — „Dat is Kaputtmache, wat ihr macht!“ Eben noch hat der Mann friedlich im „Pökelfaß“ gesessen, den Arm um seine Freundin auf dem Barhocker neben sich gelegt, ein Bier nach dem anderen bestellt und sich von einer Frau am anderen Ende des Tresens geschmeichelt mit „Schimanski“ anreden lassen. Doch jetzt ist er sauer, der gutgebaute, braungebrannte Mitvierziger, stinksauer. Zum wiederholten Male umrundet Mister Bodybuilding in der Dortmunder Arneckestraße einen dunkelroten Mitsubishi mit Bochumer Kennzeichen. „Wieso macht ihr das? Und dann noch abends?“, schnaubt er.

Astrid Siewert bleibt ruhig: „Wir zeigen auch tagsüber an.“ Der Mann deutet aufs Blech, dann aufs „Pökelfaß“, das er soeben verlassen hat: „Der will hier ‘n Bier trinken. Morgen früh muß der wieder malochen in Bochum. Dann isser wech hier.“ Wild gestikulierend baut er sich vor der Gruppe auf: „Ich kapier' dat nich. Wat soll denn dat Ziel sein? Ihr macht doch bloß unser Viertel 'runter.“ „Wenn hier was das Viertel kaputtmacht, dann sind das die Autos überall“, lautet die Antwort. Drei Frauen und fünf Männer von der „Aktion freie Wege“ bei ihrem ersten Probelauf. Zwei Wochen lang will die Initiative rigoros FalschparkerInnen in ihrem Viertel anzeigen. Doch nur solche, so ist es ausdrücklich verabredet, die mit ihrem Vehikel „schwächere Verkehrsteilnehmer direkt gefährden oder behindern“. „Eine abgelaufene Parkuhr oder Falschparker, die den Autoverkehr stören, interessieren uns nicht“, erklärt Astrid Siewert, Hausfrau und Mutter eines Sohnes, der in die nahegelegene Peter-Vischer-Grundschule geht. Weiter als hundert Meter sind die Mitglieder der Verkehrsintiative bei ihrem ersten Test nicht gekommen. Erst verwickelt ein Rentner sie ins Gespräch, dann schimpft ein Ehepaar vom Balkon herunter. Und nun Mister Bodybuilding. Er hat aus der Kneipe das Blitzlicht gesehen, mit dem Manfred Krüger die regelwidrig abgestellten Blechkisten fotografiert. Allein an der Kreuzung, wo Mister B. sie aufhält, müßten die Mitglieder der Verkehrsinitiative mindestens fünf Autos aufschreiben. Absenkungen, Bürgersteige, Pflanzungen: alles voller Blech. Zu überblicken ist die Kreuzung nur noch für Riesen.

Im Dortmunder Kreuzviertel ist nichts so knapp wie Parkplätze. Das Wohnquartier im Südwesten der Revierstadt gehört zu den besseren: Jahrhundertwendehäuser, große, helle Wohnungen, Geschäfte und Kneipen an jeder Ecke. Nach umfänglichen Sanierungen zogen hier Leute ein, die die vergleichsweise hohen Mieten bezahlen können, viele junge darunter. Und mit ihnen kamen die Autos. Zwar stellen auch FremdparkerInnen Bürgersteige und Kreuzungen zu — tagsüber vor allem die StudentInnen der Fachhochschule, abends Borussia-Fans oder KneipengängerInnen auf der Suche nach dem raren Flair des Viertels. Doch die Konflikte spitzen sich nun unter den BewohnerInnen des Kreuzviertels selbst zu. Hier die „Aktion freie Wege“, dort die AutofahrerInnen, gequält „vom schlechten Gewissen“ und der „tatsächlichen Notlage“, ihr Auto nicht loswerden zu können. Eine Anzeige, so der Mühlheimer Verkehrsberater Klaus-Peter Kalwitzky, „wirkt da wie ein Angriff“.

„Ich bin schon in der Kneipe angemacht worden: ,Du gehörst doch auch zu dieser Selbstjustizgruppe!‘“, erzählt Christel Mathes von der Initiative. „Selbstjustiz“, klärt Manfred Krüger trocken, „das ist, wenn ich 'ne Reihe Autos langgehe und alle Rückspiegel abbreche. Die Autofahrer üben Selbstjustiz, wenn sie die Gehwege zustellen. Was wir versuchen, ist eine politische Aktion.“ Aber auch Politik macht Ärger. Dabei hat die Initiative — sich der Gefahr nachbarschaftlicher Auseinandersetzungen durchaus bewußt — ganz vorsichtig angefangen. Bereits im Dezember vergangenen Jahres begann man — zunächst im Gespräch mit Stadtverwaltung und Polizei — der brisanten Verkehrslage im eigenen Viertel auf den Grund zu gehen. Das ganze Jahr über klemmten die Aktiven Handzettel hinter die Scheibenwischer falschparkender Autos, agitierten mit Aufklebern und schließlich mit der Warnung vor Anzeigen. Im Sommer zeigten sie mit „Spielaktionen“, wozu und für wen die vielfach als „verkehrsberuhigter Bereich“ ausgewiesenen Straßen auch da sein müssen. Den Anfang hatten Eltern und LehrerInnen der Peter-Vischer- Schule gemacht, denn für die Kinder ist der Schulweg durchs Kreuzviertel zum lebensgefährlichen Hindernislauf geworden. Welche Fallen faschparkende Autos aus Kinderperspektive sein können, zeigten ZweitklässlerInnen Anfang September in einem eigenen Videofilm.

Genützt haben all diese Anstrengungen nichts. Es wird weiter wild geparkt und zu schnell gefahren. Die Anzeigenaktion, an der sich nunmehr die Gemüter erhitzen, sei, so Manfred Krüger, nach den Erfahrungen dieses Jahres „nichts anderes als Notwehr“. „Die eigenen Nachbarn werden kriminalisiert“, ließ sich dagegen jüngst der CDU-Ortsvereinsvorsitzende vernehmen. „Selbstjustiz“ und „Unfriede“ zeterten auch die KollegInnen von der SPD. „Dabei wollen wir ja nur, daß die Rechtsordnung eingehalten wird“, verteidigt sich Astrid Siewert. Doch nur tagsüber, wenn Frauen und Kinder auf den Straßen sind, findet sie Unterstützung, wenn sie Falschparker aufschreibt. Die Stadt Dortmund rührt sich währenddessen nicht, das Straßenverkehrsamt hat schon jetzt nicht genügend Personal, FalschparkerInnen zu verfolgen. Ein städtisches Verkehrskonzept gegen den Autowahn gibt es nicht.

Aktionen wie die in Dortmund hat es schon öfter gegeben. Der Fußgängerschutzverein „Fuß e. V.“ in Berlin beobachtet seit Jahren Initiativen im ganzen Bundesgebiet. „Ärger“, so Bernd Herzog-Schlagk aus der Geschäftsstelle von Fuß e.V., „gibt es immer“. Der alternative Verkehrsclub Deutschlands (VCD), der die DortmunderInnen unterstützt, organisierte im vergangenen Jahr anläßlich einer Großveranstaltung eine Anzeigenaktion in Hannover. „Im Kreuzviertel“, so Hartmut Mittrich vom Dortmunder VCD, „würden schon Parklizenzen für Anwohner helfen, um den Fremdverkehr rauszuhalten.“ Doch am eigentlichen Problem ändere sich dadurch wenig. „Es gibt einfach zuviele Autos.“

Zum Beispiel die von Mister Bodybuilding. Drei Stück besitze er, hat er in der Kneipe durchblicken lassen. Doch die rechte Freude daran will nicht mehr aufkommen. „Immer dieser Streß, wenn man wegfahren will, dat man hier hinterher keinen Parkplatz mehr kriegt. Früher war et schöner hier im Viertel, viel ruhiger.“ „Ihr,“ regt er sich auf der abendlich ruhigen Straße auf, „ihr putscht das hier hoch. Ach, mit euch kann man ja nicht reden. Stasi!“ schimpft er noch über die Schulter zurück, bevor die Tür zum „Pökelfaß“ hinter ihm zuschlägt.

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