: Korallenriffe im Hungerstreik
■ Amerikanische Meeresbiologen spekulieren über die Ursachen des Korallensterbens Ist die Krankheit der erste biologische Beweis für die globale Klimaerwärmung?
Korallenriffe befinden sich weltweit im „Hungerstreik“ und schweben in Lebensgefahr. Das berichteten Wissenschaftler in der vorigen Woche während einer Anhörung des amerikanischen Kongresses. Betroffen von dem merkwürdigen Phänomen sind die in der Karibik, bei Hawaii und nahe der japanischen Insel Okinawa gelegenen Riffe.
Korallenriffe entstehen aus den Skelettüberresten winziger Tierchen, den Polypen, die in ihrem Innern buntgefärbte Algen, sogenannte Zooxanthellen, beherbergen. Zooxanthellen betreiben Photosynthese und ernähren auf diese Weise sich selbst und ihren Wirt. Außerdem verleihen sie den Riffen ihre charakteristische goldbraune und rötliche Färbung. Meeresbiologen haben wiederholt beobachtet, daß Korallenpolypen unter Streß Zooxanthellen ausspucken und sich damit ihrer Ernährungsquelle entledigen. Streßfaktoren für die empfindlichen Korallen sind beispielsweise Veränderungen im Salzgehalt des Wassers oder die Zunahme von Schwebepartikeln.
Schon erhöhte Erosion entlang der Küsten oder zunehmender Schiffsverkehr haben in der Vergangenheit „Hungerstreiks“ ausgelöst. Die betroffenen Korallen bekommen weiße Flecken und werden stark geschwächt, können sich jedoch unter günstigen Umständen wieder erholen.
Der Zustand der Korallen hat sich in den letzten Jahren verschlimmert, warnte Jack Zobel vom Center for Marine Conservation die Kongreßabgeordneten: „Anders als früher entdecken wir das typische Ausbleichen der Korallen in weiter Entfernung von offensichtlichem menschlichen Einfluß“.
Im Jahre 1987 beobachteten die Wissenschaftler erstmals einen weltweiten „Hungerstreik“ in den Korallenriffen. Bis zu dem Zeitpunkt hatte man das Phänomen „praktisch ignoriert“, erklärte auch Meeresbiologe Walter Jaap. Doch heute ist Jaap, Naturschutzbeauftragter für den Bundesstaat Florida, besorgt: „Wir sehen die Krankheit immer öfter. In vielen Fällen erholen sich die Korallen nicht mehr.“ Über die Ursachen des Korallensterbens gibt es vielerlei Vermutungen. Neben direktem menschlichen Einfluß, könnten biologische Veränderungen eine Rolle spielen. So hat man in den gefährdeten Riffen eine Abnahme der Seeigel- und eine Zunahme der Seesternpopulationen feststellen können. Seeigel schützen die Riffe, während Seesterne sie verspeisen. Diese Verschiebungen in der Riffbevölkerung könnten allerdings ebenfalls menschlichem Einfluß zu verdanken sein. Außerdem ist auffallend, daß das weitverbreitete Korallenleiden in der Karibik mit hohen Wassertemperaturen zusammenfällt. Fast die gesamte Nordküste Jamaikas und ein Großteil der Korallenriffe vor Florida sind seit letztem Jahr von der Krankheit erfaßt. Gleichzeitig wurden in der Karibik die höchsten je gemessenen Wassertemperaturen festgestellt. Ob dafür normale Klima- und Meeresströmungsschwankungen oder der durch den Menschen verursachte Treibhauseffekt verantwortlich ist, bleibt ungewiß. Ernest Williams, Biologe an der Universität Puerto Rico, will nicht ausschließen: „Die Korallenkrankheit könnte der erste biologische Beweis für die globale Klimaerwärmung sein.“
Daß die Korallen tatsächlich die aufkommende Klimakatastrophe signalisieren, läßt sich zum Zeitpunkt nicht beweisen. Doch sicher beeinträchtigen menschlich bedingte Umweltveränderungen die Riffbiotope und vermindern ihre Widerstandskräfte gegen zusätzlichen natürlichen Streß. Den Riffen muß jetzt geholfen werden, warnte Zobel: „Diese kostbaren ökologischen Systeme schwinden. Nehmen wir uns nicht in acht, dann verlieren wir sie, ohne je die Ursache ihres Schicksals erkannt zu haben.“ Silvia Sanides
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