: „Man hätte die Katastrophe vermeiden können“
■ Nicht nur die kuwaitische Regierung, auch die Opposition wurde durch die Invasion der irakischen Armee ins Exil getrieben/ Hätten demokratische Verhältnisse in Kuwait zu einer Verhinderung der Golfkrise beitragen können?/ Ein Gespräch mit dem kuwaitischen Oppositionspolitiker Al-Qatamy
Jassem Al-Qatamy ist Vorsitzender der „Nationalen Sammlungsbewegung“, einer nasseristischen kuwaitischen Oppositionspartei. Qatamy gilt als einer der Väter der kuwaitischen Demokratiebewegung. Er ist in der ganzen arabischen Welt als Verfechter der arabischen Einheit und als Politiker der panarabischen Bewegung bekannt.
Er hat an der Ausarbeitung der kuwaitischen Verfassung von 1962 mitgewirkt und war seit der Unabhängigkeit Kuwaits Abgeordneter des wiederholt aufgelösten Parlaments.
Al-Qatamy lebt zur Zeit im Exil. Das Gespräch wurde in Kairo geführt, wo er sich im Oktober auf Einladung der „arabischen Menschenrechtskommission“ aufhielt.
taz: Sie waren einer der Vorkämpfer für die arabische Einheit. Wie steht die „arabische Welt“ nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait da?
Jassem Al-Qatamy: Das schlimmste ist, daß die arabische Welt heute weiter gespalten ist als je zuvor, nicht nur die arabische Liga, sondern auch die arabische Intelligenz.
Wir haben unseren Kindern beigebracht, daß der andere Araber ein Bruder ist, der dich in Schutz nimmt. Aber „unser Bruder“ hat uns mißhandelt und vertrieben. Er hat unsere Frauen vergewaltigt, uns ausgeraubt und die Ärzte aus dem Land getrieben. Unter dem Vorwand der Einheit hat Saddam Hussein unser Land besetzt. Heute sagen viele Leute: Ein Glück, daß die Amerikaner hier sind, laßt uns mit dem Gerede von der Einheit bloß in Ruhe, von den anderen Arabern wollen wir nichts mehr wissen. Saddam Hussein hat uns in unserem Kampf um die arabische Einheit Jahrzehnte zurückgeworfen.
Saddam Hussein fordert die Umverteilung des Erdölreichtums zwischen armen und reichen arabischen Staaten. Hat er damit nicht recht?
Das sind doch alles nur Vorwände! Natürlich findet Saddam Hussein damit Unterstützung bei vielen Arabern, die unter dem Existenzminimum leben. Nur: Er selber hat das doch nie praktiziert. Dabei ist der Irak eines der reichsten arabischen Länder. Kuwait hat im Gegensatz zu Irak jährlich Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe an andere arabische Länder gezahlt, und wir sind in den letzten beiden Monaten zu dem Schluß gekomen, daß das nicht genug ist. Wir fordern einen arabischen Entwicklungshilfefond, in den alle Erdölexporteure 20, 30, meinetwegen 50 Prozent ihrer Erdöleinnahmen einzahlen.
Es ist nicht neu, daß Saddam Hussein ein Diktator ist. Trotzdem haben die Kuwaitis ihn bis vor kurzem noch als arabischen Volkshelden gefeiert.
Wir haben Saddam Hussein nicht als Baathisten unterstützt. Als arabische Nationalisten hatten wir immer große Differenzen zur Baath-Partei. Saddam hat die Bewegung im Irak zerschlagen. Die meisten arabischen Nationalisten im Irak sind tot, im Gefängnis oder im Exil. Aber während des iranisch-irakischen Krieges haben wir unsere Differenzen hintangestellt. Außerdem heißt unser Hauptproblem als Araber: Israel. Wir hofften, daß sich der Irak als arabische Militärmacht den israelischen Plänen in den Weg stellen würde.
Was hätten die Kuwaitis tun können, um die Krise zu vermeiden?
Zur Zeit geht es nicht darum, unsere Rechnungen mit dem Emir (Sheikh Jaber al-Ahmad) zu begleichen. Andererseits glaube ich, daß die Katastrophe hätte vermieden werden können, wenn die Verhandlungen mit dem Irak anders geführt worden wären. Uns war klar, daß Saddam Hussein keinen Augenblick zögern würde, uns zu überfallen.
Saddam hat einen Berg Schulden. Er braucht Geld, und wir haben Geld. Er hat eine Million Soldaten, und unsere Kräfte hätten nicht einmal ausgereicht, das Land auch nur für zwei Stunden zu verteidigen. Laß ihn 10 Mrd. Dollar fordern, wir hätten ihm 20 Mrd. Dollar gegeben — schon als eine Art Lebensversicherung. Wenn es ein Parlament gegeben hätte und einen Auschuß für auswärtige Angelegenheiten — ich selber war früher Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten —, hätten wir als Oppositon Einfluß auf die Verhandlungsführung gehabt. Das Nichtvorhandensein demokratischer Strukturen hat sicherlich auch zur Krise beigetragen.
Im Frühjahr dieses Jahres fanden doch Parlamentswahlen in Kuwait statt. Warum hat sich die Opposition denn an diesen Wahlen nicht beteiligt?
Das letzte Parlament wurde 1985 gewählt. In ihm waren alle politischen Strömungen des Landes vertreten. Es hat eine wichtige Rolle im politischen Leben Kuwaits gespielt und den Spielraum der Regierung (die nach der Verfassung von 1962 vom Emir ernannt wird, d.Red.) erheblich eingeschränkt. Deswegen hat der Emir das Parlament entgegen den Bestimmungen der Verfassung im Juni 1986 aufgelöst.
Wir haben das natürlich nicht hingenommen und eine breite Volksbewegung für die Wiedereinsetzung des Parlaments und für die Einhaltung der Verfassung ins Leben gerufen. Schließlich mußte auch der Emir einlenken. Er rief zur Wahl eines Nationalrates auf. Aber dieser Nationalrat war eine Art Scheinparlament ohne verfassungsmäßige Vollmachten. Deswegen haben wir die Wahlen boykottiert.
Was halten Sie von den Bemühungen Frankreichs, der Sowjetunion und einiger arabischer Staaten um eine friedliche Beilegung des Konfliktes?
Wir unterstützen alle Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konfliktes, denn wir kennen die großen Gefahren für die ganze Region, die eine militärische Auseinandersetzung nach sich ziehen würde. Aber wenn die friedlichen Bemühungen zu nichts führen, wird uns nur die militärische Option bleiben.
Sind die Kuwaitis zu territorialen Zugeständnissen bereit, wie sie beispielsweise der jordanisch-palästinensische Vorschlag vorsieht?
Vor der Besetzung unseres Landes gehörten wir zu denjenigen, die zu Zugeständnissen bereit gewesen wären. Aber nach all dem Terror und den Zerstörungen sind die Wunden zu tief. Heute ist kein Kuwaiti mehr bereit, auch nur auf einen Quadratmeter kuwaitischen Bodens zu verzichten. Man muß den Verbrecher nicht auch noch für sein Verbrechen belohnen. Bevor sich der Irak nicht entsprechend der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates zurückgezogen hat, sind wir zu keinerlei Verhandlungen über die bilateralen Beziehungen bereit.
Die andere Option würde doch bedeuten, sich mit einer dauerhaften amerikanischen Truppenpräsenz am Golf abzufinden.
Aber wer hat uns in diese Lage gebracht? Saddam Hussein. Er hat die internationale Lage falsch eingeschätzt. Die Amerikaner haben doch schon lange auf einen Vorwand gewartet, um die ganze Region neu zu ordnen, den Irak in einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitischen Teilstaat zu zerstückeln und das Öl nach ihrem Gutdünken und zu möglichst niedrigen Preisen fließen zu lassen. Saddam hat ihnen den Vorwand geliefert. Wir sind gegen die ausländischen Truppen und fordern, daß sie durch arabische Truppen ersetzt werden.
Wie stellen Sie sich die politische Ordnung Kuwaits nach der Krise vor?
Auf dem kuwaitischen Volkskongreß, der vom 13. bis 16. Oktober in Dschidda stattfand, versprach Kronprinz Saad Abdallah, daß das zukünftige Kuwait ein demokratischer Staat mit gewähltem Parlament, Presse-, Versammlungs- und Gewerkschaftsfreiheit sein werde.
Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Ehrlich gesagt, wir waren vor dem Volkskongreß sehr pessimistisch, denn wir hatten aus den Reihen der königlichen Familie Kommentare gehört, wie: „Wenn wir zurückkehren, werden wir die Opposition mit harter Hand anfassen.“ Wir haben sogar zeitweise überlegt, den Volkskongreß zu boykottieren. Aber dann beschlossen wir, doch nach Dschidda zu gehen, um den Volkskongreß in unserem Sinne zu beeinflussen.
Und es gelang uns schließlich auch, die kuwaitische Führung dahin zu bringen, vor der Weltöffentlichkeit und 1.500 Delegierten, die alle Schichten unseres Volkes repräsentieren, zu erklären, daß sie die demokratischen Freiheiten respektieren werden.
Als Gegenleistung werden wir die politische Führung des Landes respektieren. Denn zur Zeit ist die Befreiung unseres Landes das wichtigste. Danach werden wir genug Zeit haben, das kuwaitische Haus in Ordnung zu bringen. Dabei wird einer der Punkte die Gleichberechtigung der Frau sein.
Selbst die Repräsentanten der Herrscherfamilie haben in Dschidda unserem Antrag zugestimmt, daß die kuwaitische Frau in Zukunft das aktive und passive Wahlrecht erhalten soll und auf allen Ebenen dem Mann gleichgestellt sein wird. Eine andere Forderung von uns ist, daß wir allen Arabern, die in Kuwait arbeiten und leben und die das Land aufgebaut haben, die Möglichkeit anbieten, kuwaitische Staatsbürger zu werden. Denn wir Kuwaitis sind in unserem eigenen Land zu einer Minderheit geworden, und das bietet auf Dauer gefährlichen sozialen Sprengstoff.
Kuwait hat sich nicht selbst verteidigen können, und auch der Golfkooperationsrat konnte die Kuwaitis nicht schützen, obwohl die Golfländer zu den größten Waffenimporteuren der Welt gehören. Was für ein Sicherheitssystem kann Ihrer Meinung nach in Zukunft die Stabilität der Region garantieren?
Die USA würden sich gerne an einem Militärbündnis unter Einschluß Ägyptens, Saudi-Arabiens und der Golfländer beteiligen, die Europäer befürworten eine nahöstliche Version der KSZE unter Einschluß der nichtarabischen Staaten der Region, inklusive Israel.
Das erste wäre eine Art Neuauflage des Bagdad-Paktes. Das haben wir schon in den 50er Jahren abgelehnt. Ich glaube, das einzige, was für die arabischen Völker akzeptabel ist, wäre eine arabische Sicherheitsordnung, ohne Türkei und Israel. Selbst wenn die politische Einheit jetzt in weite Ferne gerückt ist, so gilt es doch, ein System der arabischen Solidarität und Sicherheit zu finden, das sowohl militärische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit umfaßt.
Früher haben wir in den Diskussionen um arabische Einheit immer die Frage der wirtschaftlichen Kooperation vernachlässigt. Aber heute sind wir den Ansicht, daß wir mit einer Art arabischem Marshallplan beginnen müssen. Nur als starke Wirtschaftsmacht wird die arabische Welt auch zu einem politischen Faktor. Das ist der wichtigste Garant für unsere Sicherheit.
Interview: Ivesa Lübben
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