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Ein europäisches Parlament der Roma

Drei Tage lang debattierten in Mülheim an der Ruhr Roma-Delegierte aus 13 Ländern/ Sie wollen eine eigene starke Organisation/ Pilotprojekt für eine neue Flüchtlingspolitik stieß auf heftige Ablehnung/ Hilfsgelder kommen nicht an  ■ Von Bettina Markmeyer

Mühlheim (taz) — Ein europäisches Parlament der Roma, genannt „Eurom“, soll sich künftig als politische, durch Wahlen legitimierte Interessenvertretung aller europäischen Roma für ihre Menschen- und Minderheitenrechte einsetzen. Dies präsentierte Rudko Kawczynski, Vorsitzender der deutschen Rom & Cinti Union (RCU), als wichtigstes Ergebnis eines dreitägigen Roma-Kongresses am Wochenende in der Evangelischen Akademie in Mülheim. Delegierte aus 13 vorwiegend osteuropäischen Ländern hatten zum Abschluß der Tagung eine Resolution verabschiedet.

Auf der Basis von rechtlicher Gleichstellung und Minderheitenschutzgesetzen fordern sie darin unter anderem, Eurom an den KSZE- Verhandlungen zu beteiligen, mit einer Quotenregelung die Aufnahme von Roma-VertreterInnen in nationale und internationale Parlamente zu sichern, Sanktionen gegen Staaten, die die Menschenrechte der Roma verletzen, Entwicklungshilfeprojekte für besonders verarmte Rom-Gruppen zu starten und sie von Eurom verwalten zu lassen. Außerdem seien alle „gadschikane Organisationen, Stiftungen und Vereinigungen“ aufzulösen, die Roma vertreten wollen, „in deren Gremien jedoch legitimierte Roma nicht angemessen repräsentiert sind“. Ein provisorisches Präsidium, in das fünf Mitglieder aus Ungarn, Bulgarien, den Niederlanden und der Bundesrepublik gewählt wurden, soll bis Mai nächsten Jahres, wenn sich das Parlament in Budapest konstituieren will, Wahlen vorbereiten und Statuten erarbeiten.

Welchen Rückhalt das in Mülheim ins Leben gerufene Projekt Eurom unter den europäischen Roma haben wird, ist kaum abzuschätzen. In den meisten Ländern arbeiten viele unterschiedliche Rom-Organisationen nebeneinander, teilweise auch gegeneinander. Sie haben damit zu kämpfen, daß Regierungen sie entweder gegeneinander ausspielen oder sie gar nicht erst als Verhandlungspartner akzeptieren. Eurom böte hier eine Chance, jedoch nur, wenn möglichst viele Rom-Organisationen der Idee eines neuen europäischen Gremiums folgen könnten.

Bis in die frühen Morgenstunden hatten die Debatten um die neue europäische Roma-Vertretung gedauert. Jörn-Erik Gutheil, Landeskirchenrat der evangelischen Kirche im Rheinland, die mit der Heinrich- Böll-Stiftung und der RCU die Roma-Tagung der Mülheimer Akademie ermöglicht hat, ist erfreut, daß die politische Selbstverständigung der Roma im Rahmen des Kongresses vorangekommen sei. „Doch die Probleme bleiben“, konstatierte Gutheil mit Blick auf die Auseinandersetzungen um ein Bleiberecht für nordrhein-westfälische Roma.

Am ersten Tagungsnachmittag hatte der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Innenministerium, Wolfgang Riotte, erklärt, die Landesregierung verhandle derzeit mit der jugoslawischen Zentralregierung und der makedonischen Landesregierung, um Voraussetzungen für eine „geordnete Reintegration“ für ein- bis zweitausend derzeit in NRW lebende Roma in der Gegend von Skopje zu schaffen. Nach ihrem Bettelmarsch im Januar hatte Innenminister Herbert Schnoor (SPD) den Roma dagegen zugesagt, eine Bleiberechtsregelung für sie zu entwickeln, konnte sich damit im Sommer aber im Kabinett nicht mehr durchsetzen.

Erstaunlich offen formulierte Riotte die „wirtschaftlichen Überlegungen“ zugunsten des Projekts: „Mit derselben Menge Geld kann ich in Jugoslawien mehr Menschen glücklich machen als bei uns.“ Er forderte die Roma-VertreterInnen in Mülheim auf, sich an diesem „Pilotprojekt“ für eine „neue Flüchtlingspolitik“ zu beteiligen — und stieß auf heftige Ablehnung.

„Wie stellen Sie sich das vor, daß man unsere Menschen an andere Länder verkauft mit der Auflage, sie nicht wieder herauszugeben,“ formulierte ein polnischer Delegierter. Wo denn dann im vielzitierten gemeinsamen Haus Europa die Zimmer für die Roma eingerichtet würden? Ein Vertreter des Kölner Rom- Vereins wollte wissen, wieso die NRW-Regierung glaube, in Jugoslawien durchsetzen zu können, was sie im eigenen Land nicht schaffe, nämlich den Roma dauerhafte Wohnungen und menschenwürdige Lebensbedingungen zu sichern? „Die Deutschen wollen die Roma loswerden, und die Jugoslawen brauchen Geld.“ So ein „Geschäft“ möge ein gutes Geschäft für die Deutschen sein, konstatierte der ungarische Lyriker Bela Osztojkán, doch es werfe „ein schlechtes Licht auf die deutsche Demokratie“.

Neben Eurom- und Bleiberechtsdebatte zogen sich als dritter roter Faden Gespräche über das Verhältnis zwischen Roma und „Gadsche“ (alle Nicht-Rom) durch die Tagung. Reimar Gilsenbach, Schriftsteller aus der ehemaligen DDR, sprach in einem anschaulichen Vortrag darüber, daß das Bild der Gadsche von den Roma wesentlich festgefügter sei als umgekehrt. Er konnte für seinen Vortag auf seine über 30jährige Beschäftigung mit dem Leben der wenigen Sinti in der Ex-DDR zurückgreifen und auf die Erfahrungen persönlicher Freundschaften.

Michel Lang aus Berlin, streitbarer jüdischer Publizist, warnte vor jeder Assimilation und zog Parallelen zwischen dem Schicksal seines Volkes und dem der Roma. Das jüdische Volk, spitzte er seine Argumentation zu, habe mehr Menschen durch Missionierung als durch Verfolgung und Vernichtung verloren. Agnes Daròczi, die sich als Kulturwissenschaftlerin in Ungarn mit der Geschichte der Roma beschäftigt, entgegnete Lang, niemand dürfe einen Rom verurteilen, weil es ihm zu schwer geworden sei, Rom zu sein. Es sei „fundamentales Menschenrecht für jeden, zu wählen, ob er sich integrieren will oder nicht. Doch muß der Staat objektiv die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir überhaupt wählen können.“ Dafür müßten die Roma kämpfen und sich jetzt organisieren. Denn längst hätten die Organisationen der Gadsche damit begonnen, sich am Roma- Problem zu profilieren.

Hartmann aus Köln setzte Daròczis Gedanken fort: „Wir machen den Fehler, daß wir schon selbst vom 'Roma-Problem‘ reden. Wir reden wie die Gadsche.“ So könnten die Roma ihre legitimen Interessen nicht vertreten. „Wir lassen immer nur die Gadsche davon sprechen, welche Probleme sie mit den Roma haben, anstatt endlich anzufangen davon zu sprechen, welche Probleme WIR mit den Gadsche haben.“

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