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In Pastelltönen das Grauen

■ Die Filme von Susan Sontag im Kino

Die Kunst der Gegenwart, so formulierte Susan Sontag vor drei Jahrzehnten in einem Essay über die neue Sensibilität, sei ein Instrument „zur Modifizierung des Bewußtseins und zur Entwicklung neuer Formen von Sensibilität“. Kunst ist für sie kein abgesonderter Bereich in der Gesellschaft, sondern das, was unser Leben durchkreuzt. Gleichzeitig dient sie der Erziehung der Lust, der feinsinnigen Ausbildung der Sinne. Unter diesem Aspekt steht für sie auch die Filmkunst.

Zur Zeit für einige Monate als Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin, erhielt Susan Sontag die Gelegenheit, im Kino der Deutschen Kinemathek ihre Lieblingsfilme vorzuführen. So etwa Dames du Bois de Boulogne von Robert Bresson (1944/45), Später Frühling von Yasujiro Ozu (1949), oder Mélo von Alain Resnais (1986). Gemeinsam mit Susan Sontag kann man die Filme in dem Kino sehen, das ihr „auf dem ganzen Planeten das liebste ist“ und in dem sie in der zweiten oder dritten Reihe in ihrem Sitz versinkt.

Aber zu sehen sind nicht nur die Filme, die sie ausgewählt hat, sondern auch die, die sie selbst gedreht hat. Etwa Duett für Kannibalen von 1969. Harte Schläge aus dem Off begleiten den Vorspann, erst allmählich wird sichtbar, daß es nur darum geht, ein Poster an die Wand zu nageln. Es ist die Zeit, in der man gegen den Vietnamkrieg kämpft, Ho Chi Minh liest und in der U-Bahn die ersten Graffiti entziffert. Der Film wurde in Schweden produziert; die U-Bahn von Stockholm war bereits in den 50er Jahren, lange vor New York, die Geburtsstätte der Graffiti gewesen. Schläge prägen den Film, bis am Ende ein Sarg gezimmert wird für einen, der sich mit dem Sterben schwertut.

Man befindet sich in der schwarz- weißen Welt der 60er Jahre. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die das Glashaus wütend zerbricht, in das die Männer sie setzen. Schließlich schließt sie sich selbst in einem Auto ein. Da sitzt sie nun, kühl und schön und mit großen schwarzen Augen, hilflos die Männer: Francesca, die Italienerin. Sie lebt in ihrer eigenen, erotischen Welt, sie stellt den Vollzug ihrer erotischen Existenz gegen die Welt der wichtigen Geschäfte, die Welt der Männer. Der ruhigen Kameraführung entspricht die allmähliche Entfaltung der Erzählung, allmählich, aber nachhaltig. Susan Sontag ist die Meisterin der unscheinbaren und doch akzentuierten Geste, durch die sie in der sich anbahnenden Ménage á trois die einzelnen Figuren charakterisiert.

Die Sache kompliziert sich: Noch eine weitere Frau ist im Spiel. Zweifellos assistiert man bei der Geburt der Beziehungskiste, deren Varianten hier durchgespielt werden — sie sind, wie man heute weiß, sehr begrenzt. Es geht jedoch auch um das Durchbrechen einer gegebenen Ordnung durch die Verfremdung, durch Witz, Ironie und Parodie — nicht von ungefähr taucht der Name Brechts im Film mehrmals auf. Es sind diese absurden und surrealistischen Einlagen, die, ganz und gar postmodern, die im Grunde gewöhnliche Geschichte ständig aus den Angeln heben. Nicht von ungefähr war Susan Sontag, als sie diesen Film drehte, längst eine der wichtigsten TheoretikerInnen der Postmoderne. Ihr Klassiker Kunst und Antikunst war bereits erschienen. Und mit einem schüchternen Versuch wird im Film auch die These aus „Kunst und Antikunst“ illustriert, die Grenze zwischen Kunst und Pornographie sei allmählich verwischt: Betont genüßlich wird vor laufender Kamera gefickt.

Die Identität der Figuren bricht auf. Das prägt auch den zweiten Film Susan Sontags, Bruder Karl. Diesmal ist es der Wecker, der eingangs hämmert, und in den verschiedensten Varianten durchzieht das Klopfgeräusch den ganzen Film: Es durchbricht auf brutale Weise die Stille und strukturiert sie herrisch und gewalsam — tyrannische Zeit. Aber Susan Sontag läßt sich erneut unendlich viel Zeit damit, die Struktur der Geschichte überhaupt sichtbar werden zu lassen — um sie dann umso eindringlicher zu etablieren. Der Film besteht aus einem Set aneinadergereihter Szenen, die zwischen einem nervigen Kind und einer problematischen Beziehungskiste, die die Liebe endgültig als eine unheilbare bürgerliche Krankheit enthüllt, oszillieren. Zwei Männer, zwei Frauen, ein weiterer Mann stößt dazu, der schweigsame Bruder Karl, die Figur des Fremden schlechthin, eine starke Gestalt.

Der Film lebt von der Spannung zwischen Lärm und Stille, Bewegung und Ruhe, Innen und Außen, Naturlandschaft und Seelenlandschaft, sinnloser Gewalt und sinnlicher Zärtlichkeit, offenem Gespräch und abweisender Stummheit. Und von der Ästhetik seiner Bilder. Susan Sontags ganzes Bemühen inmitten der ästhetischen Fassade gilt dem Durchbrechen der festgefügten bürgerlichen Konzepte von Normalität, Identität, Realität.

Ganz anders Das verheißene Land von 1974, Sontags stärkster Film. Ein Film über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern — kein Spielfilm, ein Dokumentarfilm, ein Essay über die Trauer und das Leid, ein Schock. Ihren dritten Film wollte Susan Sontag ursprünglich in Vietnam drehen, das sie 1968 kennengelernt hatte und wo sie das amerikanische Bombardement erlebte. Dann aber kam es im Oktober 1973 in Israel zum Yom-Kippur-Krieg, der sie noch mehr aufwühlte. Sie reiste mit einem Touristenvisum ein und drehte ohne Dreherlaubnis. Das Hämmern, das auch diesen Film durchzieht, stammt von Maschinengewehren und die Schläge zu Beginn sind Glockenschläge. Ein Film in Pastelltönen, vor deren Hintergrund sich das Grauen umso deutlicher abhebt. Was sichtbar wird, ist nicht der Krieg, sondern das Danach: die Stiefel auf dem Schlachtfeld, die verbrannten Leichen, die gespenstische Stille, die Grabsteine, über denen das Leben der Unbeteiligten lärmt. „Wir müssen kämpfen“, sagt ein Soldat, „denn wir können nicht verlieren.“ Auf einem Grabstein die letzte Botschaft eines anderen: „Für mich gibt es keine Kriege mehr.“

Susan Sontag geht es nicht darum, Partei zu ergreifen; sie will nur das, was geschehen ist, realisieren. Sie zeigt das malerisch wirkende Leben der arabischen Bevölkerung; sie zeigt den ebenso traditionalistischen wie modernen Way of Life der jüdischen Bevölkerung. Sie rückt das historische Recht beider ins Bild. Das hat den Film für viele zum Ärgernis gemacht. Es gibt keine Helden, keine Gewinner. Da der Film sich jeden Urteils enthält, konnten die einen ihm vorwerfen, er sei zionistisch, die andern, er sei pro-arabisch. So geriet er zwischen die Fronten. Genau da hat er seinen Platz. Wilhelm Schmid

Bis 15. November im „Arsenal“:

Das Kino der Susan Sontag

Berlin, Welserstr. 25, Telefon: 030/246848.

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