: „Wir sollten den Tenno öfters wechseln“
Die Bevölkerung der japanischen Hauptstadt nahm am Montag nur mäßigen Anteil an den Krönungsfeierlichkeiten/ Schon vor der Zeremonie demonstrierten wieder Tausende gegen die Verwendung öffentlicher Gelder für die Kaiserkrönung ■ Von C. Yamamoto und G. Blume
In einem U-Bahnschacht wacht ein einsatzbereiter Sicherheitsmann mit Schild und Knüppel. Unter ihm ist der Kellerzugang verschlossen. Oben wird jeden Augenblick der Kaiser erwartet. Der Sicherheitsmann aus Iwate im Norden Nippons rührt sich nicht. Unverändert hart bleibt seine Miene, als die Menge aufjohlt. Ein Schritt und er könnte den Kaiser erblicken. Doch der Mann verläßt seine Stufe nicht, von der aus er nur gegen Wände schaut.
Den blinden Gehorsam der Polizei lassen viele Japaner freilich vermissen, am Tag, an dem der neue Kaiser den Thron besteigt. Er werde sich an die Verfassung halten und an das gute Beispiel, das ihm sein Vater während der 62 Jahre seiner Kaiserzeit gegeben habe, verkündet Tenno Akihito vom Chrysanthementhron. „Wir wollen doch nicht hoffen, daß er die Fehler seines Vater wiederholt“, kommentieren ein paar junge Burschen, die immerhin mit japanischen Fähnchen schwenken.
Obwohl es 62 Jahre her ist, seit zum letzten Mal ein neuer Kaiser den Thron bestieg, kommt gestern in Tokio keine Feststimmung auf. Der Kaiserpalast erweckt den Eindruck einer schwer bewaffneten Burg. 40.000 Polizisten kontrollieren die Stadt. Schon in der U-Bahn beginnen die Durchsuchungen. Zwar melden die Sicherheitsbehörden am Abend 29 Zwischenfälle. Doch können die Beamten offenbar nur schwer unterscheiden, ob es sich bei den Vorfällen um Feuerwerksscherze oder Attentatsversuche handelt.
Bereits am frühen Morgen, als Kaiser und Kaiserin noch mit dem langwierigen Anlegen ihrer festlichen Kimonos beschäftigt sind, haben sich im Tokioter Stadtpark die Kritiker des kaiserlichen Brimboriums versammelt. „Schluß mit dem Gehorsam“, „Wir sind keine Untertanen“, „Gebt uns unsere Steuergelder zurück“ — so steht es handgemalt auf den kleinen Hütchen der Demonstranten, einer buntgemischten Menge. Unter ihnen steht ein älterer Herr mit ernsthaftem Blick. Oosima Koichi, Sprecher des Nationalen Kirchenrats in Japan, war zuvor Direktor an einer Tokioter Oberschule und wehrte sich jahrzehntelang gegen kaiserliche Erziehungsmethoden. Er stellt heute fest: „Ich traue dem friedlichen Kaiser-Zauber nicht. Heute setzt Japan seine Invasion als Wirtschaftmacht fort.“
Die Jugend des Landes gibt sich eher unverkrampft. „Bei uns gibt's null Identifikation mit dem Kaiserkram“, meint der Kapitän eines Basketballteams, der seine Mitspieler zur Party ins Tokioter Schickeria- Zentrum Shibuya ausführt. Als wir nach der angeblichen Göttlichkeit des Tennos fragen, da wird erfrischend herzhaft gelacht.
Ohne viel Anteilnahme lassen die meisten Japaner die Zeremonien verstreichen, die gegen Mittag live im Fernsehen übertragen werden. Viel gibt es auch nicht zu sehen, außer den wunderschönen Kostümen der Kaiserfamilie, die sonst nur noch im Kabuki-Theater zu bewundern sind. In großer Aufmachung verkünden die Boulevardzeitungen, wieviel jedes Kleidungsstück gekostet hat — angeblich sind des Kaisers Kleider zehn Millionen DM wert.
Ohne Tusch und Fanfaren betritt Akihito, gefolgt nur von seiner Gemahlin, die „Staatshalle“ des Kaiserpalastes. Geschmückt und kunstvoll gestaltet ist nur der Thron der Sonnengöttin Amaterasu. Von dort verliest Akihito seine Botschaft an Japan und die Welt, in der er sich selbst zum Tenno („Erhabener des Himmels“) erklärt. Doch erst als Premierminister Toshiki Kaifu dreimal vor dem Kaiser die Arme hebt und dazu den alten Kriegs- und Kaiserruf „Bansai“ (Es lebe der Kaiser, zehntausend Jahre lang!“) ertönen läßt, wird ein wenig von der alten, tief verwurzelten Tradition der Kaiserverehrung in Japan spürbar. Schließlich thront der Kaiser — ebenso wie im Parlament — immer noch über den gewählten Volksvertretern.
Doch Akihito will an seinem großen Tag nicht nur über dem Volk schweben. Er will es auch zu ebener Erde sehen. Eigentlich soll der Kaiserumzug am Nachmittag deshalb sogar zum Höhepunkt des Festes werden. Doch was stöhnen die Menschen, als sie sich zur Schau der Kaiserparade versammeln. Denn wahrlich! Hinter jedem Zuschauer steht ein Polizist. Niemand entkommt den umfangreichen Gepäckkontrollen. Als der schwarze Rolls Royce mit dem kaiserlichen Paar schließlich vorbeirollt, gibt es Applaus, aber wenig Begeisterung. „Soviel Polizei ist nicht gut für das Verhältnis zwischen Volk und Kaiser“, bemerkt sogar der Abgeordnete der Regierungspartei, Yoshio Yoshikawa.
Bewundernswert aber der Eifer der Sicherheitsbeamten, als die Kaiserkutsche außer Sicht ist. Plötzlich packen alle Polizisten an, und im Nu sind alle Sicherheitsgitter verschwunden, alle Kontrollen aufgelöst, und der Verkehr läuft weiter, als wäre der Kaiser nie dagewesen. „Viele sind ja nicht bei der Parade dabeigewesen“, urteilt ein Tokioter Elektriker. Der Elektriker gibt dem Kaiser deshalb einen Tip: „Er sollte nicht mehr so alt werden, wie zuvor sein Vater. Ja, man sollte eine schnellere Erbregelung einführen, die es uns erlaubt, den Kaiser schon vor seinem Tod zu wechseln. Dann würde sich das Volk auch wieder mehr für ihn interessieren.“
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