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Mehr als eine Protestwahl

■ Die Mazowiecki-Regierung in Polen war offenbar zu lange ohne Opposition KOMMENTARE

Das polnische Wahlergebnis ist Ausdruck einer tiefen Identitätskrise Polens. Es ist das äußere Zeichen weitverbreiteter Verunsicherung und Zeichen des Vertrauensverlustes gegenüber allen Repräsentanten polnischer Politik, gegenüber Mazowiecki und gegenüber Walesa. Die mit Mazowieckis Politik, mit seinem Wirtschaftsprogramm Unzufriedenen würden Walesa wählen, hatten alle angenommen. Nun zeigt sich, daß sie den Streit zwischen dem Danziger Elektriker und dem Warschauer Intellektuellen gar nicht ernst genommen haben, viele hielten es für ein abgekartetes Spiel. Zumal Walesa deutlich gemacht hatte, daß auch er an den Grundlinien des Balcerowicz-Plans festhalten würde. Anders als bei der Abstimmung gegen die Kommunisten letztes Jahr waren die Fronten nicht mehr klar: Auf beiden Seiten standen Leute, die der Solidarność-Bewegung entwachsen waren. Also wählten die Leute keinen von ihnen.

Doch der Erfolg des undurchsichtigen kanadischen Amateurpolitikers Tyminski, der bei den Polen in Kanada weit unter seinem polnischen Ergebnis blieb, ist mehr als nur eine Protestwahl. Tyminski verkauft einen Mythos: den Mythos des erfolgreich aus dem Ausland heimgekehrten „reichen Onkels aus Amerika“, den der Westen nicht „verdorben“ hat, der weiß, wie man es anstellen muß, schnell reich zu werden, ohne seine Würde zu verlieren. Ein Bursche wie aus einem der in Polen so beliebten amerikanischen Seifenopern, aber trotzdem ein Patriot, „einer von uns“. Ein Gefühl, das gerade die Landbevölkerung in Bezug auf Mazowiecki und seine Regierung schon längst verloren hatte. Nun rächt sich, daß diese Regierung zu lange ohne wirkliche Opposition war, daß es zu Mazowiecki so lange keine Alternative gab, wie die Regierung immer wieder stolz behauptete. Statt die Alternative zu wählen, flüchtet die Bevölkerung in blinden Protest: unkontrollierte Streiks vor den Wahlen, Abstinenz bei den Kommunalwahlen im Sommer, und jetzt eben Tyminski.

Für die anderen Staaten der Region, die CSFR, Ungarn oder Bulgarien, denen der Westen oft Polen als Beispiel vorgehalten hat, wird das eine Warnung mehr sein: Der schnelle Übergang zur Marktwirtschaft, die polnische Schocktherapie kann sich schnell gegen ihre Väter wenden. Wenn Walesa Präsident wird, so behaupteten nicht nur seine polnischen Gegner, werde Polen der Lächerlichkeit preisgegeben, ausländische Investoren würden sich hüten vor so einem Land. Jetzt werden die gleichen Leute wohl Walesa unterstützen müssen, damit dieses Szenario nicht wahr wird. Klaus Bachmann

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