: „Wir machen die radikalste Wirtschaftsreform
■ Eugen Dijmarescu gilt im rumänischen Kabinett als der zweite Mann hinter Ministerpräsident Roman undist als „Beauftragter für Wirtschaftsorientierung“ für die Wirtschaftsreform zuständig. Die Preiserhöhungen, die er Anfang November durchsetzte, löste Proteste aus.
taz: Herr Dijmarescu, macht Ihnen Ihr Job angesichts der Proteste gegenüber Ihrer Politik noch Spaß?
Eugen Dijmarescu: Es ist ein Job, der alles abverlangt.
Gerade jetzt müßte es Ihnen doch einige schlaflose Nächte bereiten, wie Sie die Wirtschaftsreform voranbringen wollen. Außer Preissteigerungen ist da ja bisher nicht viel gewesen.
Mal langsam. Wir haben keine Preissteigerungen vorgenommen, sondern eine Preisliberalisierung. Das bedeutet nämlich sowohl eine Steigerung wie auch eine Senkung der Preise. Im Juni verabschiedete das Parlament das Gesetz zur Umwandlung der Staatsbetriebe in selbständige („regie autonoma“) und private Betriebe, das am 8.September in Kraft getreten ist. Wenn selbständige Betriebe und Handelsgesellschaften („societat comerciale“) entstehen, müssen diese auch Marktpreise einführen dürfen. Bislang wurden 140 Handelsgesellschaften und zwölf selbständige Betriebe gegründet. Wir wollen die Wirtschaft effizienter machen. Das setzt freie Preisgestaltung und die Entscheidungsfreiheit der Betriebe voraus.
Der Staat hat an einer einzigen Stelle eingegriffen. Für bestimmte Importwaren müssen die Betriebe Weltmarktpreise bezahlen. 56 Prozent aller von unserer Industrie benutzten Rohstoffe und Energien stammen aus dem Import. Bisher wurden diese Waren vom Staat subventioniert, zum Beispiel das Erdöl, das zur Zeit 240 Dollar pro Tonne kostet, wobei die Staatsbetriebe dieses Erdöl für ein Drittel des Weltmarktpreises kaufen konnten. Das bedeutet aber ein überaus ungesundes Wirtschaften.
Der Bevölkerung geht es aber um die Preise für Waren des täglichen Bedarfs.
Es gibt mehrere Kategorien von Waren und Dienstleistungen, die nach wie vor subventioniert werden.
Also doch...
...wenigstens noch ein Jahr lang. Das betrifft vor allem die elektrische Energie, den Warmwasserverbrauch, Brennholz, Kohle, Petroleum, Erdgas, die Mieten, die Flußschiffahrt im Donau-Delta, Dauerfahrkarten für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Die Grundnahrungsmittel gehören einer anderen Kategorie an. Die Landwirtschaft muß ein Interesse entwickeln, mehr zu produzieren. Die Subventionen für die Nahrungsmittelindustrie wurden gestoppt. Der Preis eines Brotes ist jetzt noch niedriger als der des Weizens. Das geht nicht mehr so weiter. Das betrifft auch die Milch und die Milchprodukte. Die Regierung macht nun folgende Preispolitik: Die Produzenten können die Preise festlegen, damit mehr produziert wird. Die Subventionen, die bisher die Nahrungsmittelindustrie bekommen hat, soll jetzt den Konsumenten direkt zugute kommen, nämlich in Form von Lohnzulagen, die an die Preisentwicklung gekoppelt sind. Es handelt sich um insgesamt 29 Erzeugnisse, für die die Bevölkerung eine Kompensation erhält. Die Gehälter werden also an die Preissteigerungen angeglichen.
Na ja, das klingt ja ganz gut, aber es gibt schon einige Erfahrungen mit dieser Politik in Ländern des ehemaligen Ostblocks. In anderen Ländern ist der Lebensstandard der Bevölkerung gesunken. Die Marktmechanismen funktionierten nicht besonders gut. Wie wollen Sie diese Probleme vermeiden?
Als wir diese Gesetze ausarbeiteten, haben wir die Situation in der Sowjetunion, Polen, Ungarn und Jugoslawien studiert. Der Übergang von einer kommunistischen zu einer kapitalistischen Wirtschaft ist nicht durchführbar, indem die Schalthebel der zentralistischen Wirtschaft beibehalten werden. Wir können nicht weiterhin die unrentablen Betriebe subventionieren und erhalten. Wir wollen sehr viel schneller als die genannten Länder vorgehen. Dieses Volk darf nicht noch jahrelang leiden.
Da türmen sich doch ein paar Probleme auf, zum Beispiel die der Großindustrie, die Produkte herstellt, die niemand brauchen kann. Und wie soll die Landwirtschaft auf Vordermann gebracht werden?
Wir haben der Landwirtschaft 35 Milliarden Lei gegeben, um sie sofort rentabel zu machen. Doch ihr Problem ist eng verknüpft mit der Eigentumsform. Der Bauer möchte selbstverständlich wissen, ob der Boden ihm gehört oder nicht. Wir haben schon im Juni, als diese Regierung gebildet wurde, gesagt, daß wir für eine Rückgabe des Bodens an die Bauern sind. Wir haben im Parlament eine Gesetzesvorlage zur Bodenreform eingebracht, die aber noch nicht vom Parlament verabschiedet worden ist. Wenn die LPGs weiterbestehen wollen, ist das auch möglich.
Die Industrie wird einem schwierigeren Prozeß unterworfen, einem Umstrukturierungs- und Anpassungsprozeß. Dort, wo es Monopole gibt, werden sie aufgelöst, damit Konkurrenz entstehen kann und die Konkurrenz ihrerseits den Umstrukturierungsprozeß ankurbelt. Die Regierung wird nicht mit administrativen Mitteln einschreiten, sondern nur mit finanzieller Steuerung durch die Banken, um die Umstrukturierung damit zu stimulieren. Auch durch Zinsen und Kredite und durch Staatsaufträge.
Die neuralgischen Punkte sind die Chemie und die Maschinenbauindustrie.
Genauer: die Industrie für chemische Grunderzeugnisse und gewisse Sektoren der Schwermaschinenbauindustrie. Vor allem auf diese Betriebe bezieht sich vorerst unsere Umstrukturierungsstrategie. Denn sie konsumieren einen Großteil der Energie und stellen eine Umweltbelastung dar. Wir wollen eine umweltfreundliche und energiesparende Politik machen.
Wenn Betriebe zumachen, werden aber auch Arbeitskräfte freigesetzt, so wie in anderen ostmitteleuropäischen Ländern auch. Haben Sie an irgendeine Form der sozialen Absicherung gedacht?
Es gibt ein dem Parlament vorgelegtes Gesetz, die Arbeitslosigkeit betreffend, das eine bestimmte Absicherung vorsieht. Was aber noch wichtiger ist, ist ein Gesetz, das die Leute betrifft, die mehrere Jobs gleichzeitig ausfüllen wollen. Andererseits muß die Infrastruktur verbessert werden, die öffentlichen Arbeiten werden Arbeitskräfte absorbieren. Auch die mittlere und Kleinindustrie soll entwickelt werden, was weitere Arbeitsplätze schaffen wird.
Sie haben ja wirklich viele Pläne und neue Gesetze. In Polen und in anderen Ländern hat man gesehen, daß Leute aus dem alten Apparat sehr kräftig bei der Privatisierung mitprofitiert haben. Wie wollen Sie diese Art von Absahnen hier vermeiden?
Grundsätzlich lehnt die rumänische Gesellschaft die Anhänger der alten Nomenklatura ab. Nicht diese alten Verwalter dürfen die Betriebe leiten, sondern gute Manager sollen es sein.
Hoffentlich finden Sie die. Werden auch Arbeiter Beteiligungsmöglichkeiten haben?
In den Verwaltungsräten, die aus den Aktionären bestehen, haben die Arbeiter nichts zu suchen. Arbeiter können nur dann darin vertreten sein, wenn sie Mitaktionäre sind. Sie werden dann in diesem Verwaltungsrat als Aktienbesitzer und nicht als Arbeiter oder Gewerkschafter verteten sein. Wir haben von den westlichen Ländern, daß auf einer Seite die Geschäftsführung und auf der anderen Seite die Arbeitnehmer stehen.
Wie steht es denn mit den Gewerkschaften in diesem System?
Freie Gewerkschaften wurden bereits ohne gesetzliche Grundlage gegründet. Es existiert eine Gesetzesvorlage, Rechte, Pflichten und die Arbeitsweise der Gewerkschaften betreffend, die mit den einzelnen Gewerkschaften abgesprochen worden ist und dem Parlament vorgelegt wurde.
Wie sieht denn die Akzeptanz dieses Reformwerkes in der Bevölkerung aus? Der Stalinismus hat eine bestimmte Haltung hervorgebracht: Jeder will vom Staat alles und dafür nichts geben. Wie sehen Sie diese Akzeptanz in der Bevölkerung, und was wollen Sie gegen diese Mentalität unternehmen?
Es ist eines der schwierigsten Probleme, das Sie hier ansprechen. Die Bevölkerung muß erzogen werden, sie muß den Prozeß in seiner Gesamtheit begreifen lernen. Deshalb ist eine Fernseh- und Pressekampagne vonnöten, die in den letzten Tagen schon begonnen hat. Leider hat ein Großteil der rumänischen Presse, die Preisliberalisierung nach Gutdünken interpretiert, nur aufgrund von Gerüchten geurteilt.
Immerhin gibt es ja noch Mißtrauen gegenüber der jetzigen Regierung. Auch gegenüber der „Front zur Nationalen Rettung“. Man identifiziert den alten Apparat mit dem neuen. Die politische Brisanz liegt doch gerade darin, daß die Bevölkerung sich gegen die Reformen wehrt und die Opposition der Regierung undemokratisches Verhalten vorwirft, obwohl die Oppositionsparteien eigentlich für die Reformen sind. Würden Sie auf die Oppositionsparteien zugehen, um das Programm gemeinsam durchzusetzen?
Ich möchte Ihnen in erster Linie sagen, daß alle 23 Mitglieder der jetzigen Regierung nie vor der Revolution in diesem Gebäude des ehemaligen Ministerrats waren. Und auch nie im Zentralkomitee. Sie haben nichts mit der Nomenklatura zu tun. Der Ministerialapparat wurde um die Hälfte reduziert. Gleichzeitgig mit der Umstrukturierung der Wirtschaft werden verschiedene Abteilungen im Apparat abgeschafft, wie zum Beispiel die Abteilung für Elektroenergie oder die Abteilung für Bodenverbesserung. Dieser Abbau der Bürokratie muß im Gleichschritt mit der Wirtschaftsreform vor sich gehen. Aber wie der Premierminister in seinem Bericht am 18.Oktober gesagt hat, sind wir bereit, den Kampf bis zum Ende zu führen. Wir brauchen neue Leute, die kompetent sind. Das ist das einzige Kriterium. Es interessiert uns weder ihr Alter noch ihre politische Couleur. Das haben wir mehrmals auch mit der Oppostion besprochen und sind zu denselben Schlußfolgerungen gelangt. Egal, um welche Regierung es sich handelt, das sagt auch die Opposition, die Probleme bleiben sich gleich. Das Ziel ist dasselbe.
Im Ausland will man an Ihren Willen, mit dem alten System aufzuräumen, noch nicht so recht glauben. Wie sieht es denn mit den Verträgen mit der EG aus. Da ist ja wenig in der rumänischen Presse erschienen.
Die rumänische Industrie hat eine Grundausstattung, die modernisiert werden muß. Sie muß aber nicht total ausgewechselt werden. Die Arbeitskräfte sind qualifiziert. Deshalb glaube ich an die Chancen der rumänischen Wirtschaft. Das wird auch ausländisches Kapital anlocken, was wir begrüßen, weil ja auch damit Konkurrenz entsteht. Aber auch wir wollen die Autarkiepolitik Rumäniens überwinden und unsere Betriebe ermutigen, im Ausland aufzutreten. Zwischen Rumänien und der EG ist im Oktober ein Abkommen unterzeichnet worden. Wir hoffen, daß Rumänien in die Gruppe der 24 aufgenommen wird. Ich möchte Ihnen noch etwas ganz Einfaches sagen. Wenn die Gruppe der 24 und die EG einverstanden sind, Rumänien zu unterstützen und auch unsere Politik der Öffnung und der Reformen des politischen und wirtschaftlichen Systems, dann wird der Fortschritt in unserem Land beschleunigt. Wenn nicht, dann wird der Weg länger sein.
Sie erscheinen enttäuscht über die Reaktionen aus der EG.
Eigentlich nicht, ich bin aber enttäuscht über die Reaktion der Gruppe der 24. Europa hat noch nicht ganz verstanden, daß diese Regierung sich entschlossen hat, im Vergleich zu anderen Ländern eine schnellere Reform durchzuführen. Der Außenhandel wurde schon vor Monaten entmonopolisiert. Wir haben angekündigt, die Konvertibilität der Währung Anfang 1991 herzustellen.
Alle osteuropäischen Länder sind berechtigt, unterstützt zu werden bei den Reformen durch die Gruppe der 24. Es wurde behauptet, Rumänien sei noch nicht soweit. Das ist eine Haltung, die wahrscheinlich die Realitäten hier nicht kennt. Wir stehen am Anfang eines Weges zur Marktwirtschaft und wünschen nicht, noch einmal umzukehren. Wir hoffen, daß auch Europa und die Gruppe der 24 dies versteht. Jedwede Spekulation, daß diese Regierung eine kommunistische Regierung sei, die eine Art „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zum Ziel hat, ist absolut unrichtig. Das Programm der Regierung wird sogar von der Opposition in Rumänien als ihr eigenes ausgegeben.
Das liegt vielleicht daran, daß Ihre Regierung mit dem alten System gleichgesetzt wird.
Die Mentalität der Menschen kann sich doch nicht in 24 Stunden ändern. In diesen vierzig Jahren wurden die Menschen daran gewöhnt, einen festgesetzten Lohn und gesicherte Arbeitsplätze zu haben. Wer jetzt demonstriert, will seinen Arbeitsplatz verteidigen. Aber sie verstehen nicht, daß das Gehalt nur wachsen kann, wenn mehr gearbeitet wird.
Sie weichen jetzt aber aus. Schließlich gab es ja eine Bergarbeiteraktion. So etwas hat doch nichts mit Demokratie zu tun. Das war doch die offensichtlich zur Schau gestellte Rechtsunsicherheit. Ist eine Garantie da, daß es zu so etwas niemals mehr kommt?
Diese Regierung ist erst zwei Wochen nach den Ereignissen im Juni gebildet worden, hat also nichts mit der Bergarbeiteraktion zu tun. Ich glaube nicht, daß es ein freies Land gibt, in dem eine Regierung garantieren könnte, daß es keine Streiks, Demonstrationen und andere soziale Unruhen gibt. Nur ein Polizeiregime kann das garantieren. Die Demonstrationen vor dem Universitätsplatz wären auf dem Trafalgar Square nicht möglich gewesen. Frau Thatcher hätte die Polizei eingesetzt.
Im Falle der Bergarbeiter war das aber etwas anderes. Die sind ja offensichtlich von oben gelenkt worden, sie haben systematisch oppositionelle Gruppen und Einzelpersonen einzuschüchtern versucht und sind losgegangen auf Passanten, während die Polizisten daneben standen. Übrigens war der jetzige Premier auch damals Regierungschef.
Ich wiederhole, seit diese Regierung an der Macht ist, sind keine Bergarbeiter gekommen. Das Ausland sollte die jetzige Regierung zur Verantwortung ziehen, wenn so etwas passiert. Die damalige Regierung hatte nicht die Legitimität wie die jetzige. So hat die jetzige Regierung auch keine Möglichkeiten...
Doch, sie hat. Sie hat die Möglichkeit, alles aufzuklären, Licht in das Dunkel der Vorgänge zu bringen und damit auch die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Ich sage sehr klar: Ich erlaube niemandem, das so zu interpretieren. Erstens hat sich die Regierung von dieser Aktion distanziert und fordert eine juristische Untersuchung. Die jetzige Regierung hat eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt, die bald ihre Ergebnisse veröffentlichen wird. Einige Ergebnisse sind veröffentlicht worden, parallel hat auch die Gruppe für „sozialen Dialog“ ihre Ergebnisse in der Zeitung '22‘ veröffentlicht. Diese Regierung wird Licht ins Dunkel bringen. Es wurden jetzt schon Leute der Justiz übergeben, die nach der Voruntersuchung als Schuldige angesehen werden. Dazu gehören auch Grubenarbeiter, die unverantwortliche Aktionen gemacht haben, zum Beispiel in die Zentralen der politischen Parteien eingedrungen sind.
Marian Munteanu, der Studentenführer, wurde angeklagt, er darf jetzt nicht einmal ins Ausland fahren.
Wenn eine Untersuchung bevorsteht, darf niemand ins Ausland fahren. Die Zeugen in seinem Prozeß wurden auch schon vor der parlamentarischen Untersuchungskommission gehört.
Die Justiz ist diejenige, die schon unter Ceausescu gerichtet hat.
Die Regierung hat dem Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Reform des Justizwesens voranzubringen. Die Staatsanwaltschaft wird dem Justizministerium unterstellt. Die Reform der Gesellschaft kann nicht vor der Justiz haltmachen. Interview: Erich Rathfelder und William Totok
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen