KOMMENTAR: Der Sumpf stinkt zum Himmel
■ Muß ein parlamentarischer U-Ausschuß die Affäre Schalck-Golodkowski aufklären?
Das gewöhnliche Publikum versteht nur noch Bahnhof und Kofferklau! Da halten fünf mysteriöse Koffer mit heißen Akten über die Umtriebe der einstigen SED-Valutabehörde „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) die Strafverfolger auf Trab. Doch um einen Tatzeugen erster Klasse schlagen die kriminalistischen Spürhunde einen weiten Bogen: Honeckers mafioser Chefschieber Alexander Schalck-Golodkowski muß ja wohl am besten wissen, welches Beweismaterial er vor seinem Republikwechsel der letzten Sekunde vor genau einem Jahr noch schnell in welche Koffer, Reißwölfe oder sonstwohin gestopft hat. Doch „Big Alex“ genießt, von seinen neuen Pflegern in einem bayerischen Reservat abgeschottet, als ginge es um den Artenschutz für das letzte Prachtexemplar der im Osten neuerdings bedrohten Spezies „mafiosi politici“, ganzjährige Schonzeit. So samtpfötig wünscht man sich die deutsche Justiz im Normalfall! Will die Justiz nicht, oder darf sie nicht?
Daß der Bundesnachrichtendienst an der Aufdeckung der Schalckschen Konten und Kanäle im Ausland genausowenig Interesse hat wie der Schummelmaier selbst, ist nachvollziehbar: Schließlich konnten CIA-gesteuerte Rebellen in Angola und Afghanisten mit Knarren aus der DDR auf die kubanischen und sowjetischen Waffenbrüder ballern; auch die Contras in Nicaragua statteten Schalcks Waffenschmuggler mit Schießkram aus. Und daß bei der Durchleuchtung ausländischer KoKo-Kanäle die eine oder andere peinliche Geschäftsbeziehung mit westlicher Prominenz aufblitzen könnte, wird in Pullach auch keine vorweihnachtliche Freude wecken.
Doch daß der Auslands-Geheimdienst, dem aus den Erfahrungen der Nazi-Diktatur mit gutem Grund gesetzlich keinerlei exekutive Befugnisse im Inland zustehen, die angeblich unabhängige Justiz aktiv abklemmt, das ist schlichtweg eine Riesensauerei! Wenn also die Exekutive in Bonn/Berlin/München die kriminellen Machenschaften der KoKo-Bande nicht aufklären will und die Justiz es nicht darf, dann spätestens ist im Rechtsstaat das Parlament — als Gesetzgeber und Kontrollorgan in doppelter Hinsicht — gefordert: Der neue Bundestag muß einen Untersuchungsausschuß einsetzen. Es sei denn, auch die Volksvertretung befindet, der zum Himmel stinkende Sumpf um Honckers Erben bilde das geeignete Fundament für die neue deutsch-deutsche Republik. Thomas Scheuer
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