piwik no script img

An der Nahtstelle zwischen Ost und West

Bündnis 90/Grüne, die einzige rein ostdeutsche Gruppierung im neuen Parlament, will keine Statistenrolle spielen/ Die Volkskammer als positive Erfahrung/ Mit interfraktionellen Initiativen sollen starre Parteischemata aufgebrochen werden  ■ Aus Berlin Beate Seel

Für Auszeichnungen haben die Namen der Revolutionäre des Herbstes immer noch einen guten Klang. Gleich an drei von ihnen wurde in den letzten Tagen ein Preis verliehen: an Bärbel Bohley, Wolfgang Ullmann und Konrad Weiss. Ein neuerlicher Anlaß, zu beschwören, daß der Geist des Herbstes im geeinten Deutschland weiterwirken möge. Auch die acht ehemaligen DDR-Oppositionellen von Bündnis 90/Grüne, die jetzt als verschwindende Minderheit unter den 622 Abgeordneten in den neuen Bundestag einziehen, halten daran fest, daß es etwas hinüberzuretten gibt in dieses erste gesamtdeutsche Parlament.

Ihre Politikfähigkeit haben die Neuen längst unter Beweis gestellt. Fünf von ihnen — Ullmann und Weiss von Demokratie Jetzt, Werner Schulz vom Neuen Forum, Gerd Poppe von der Initiative für Frieden und Menschenrechte und die Grüne Vera Wollenberger — haben bereits in der Volkskammer nicht nur parlamentarische Erfahrungen gesammelt, sondern auch eine beachtliche inhaltliche Kompetenz an den Tag gelegt. Ullmann etwa, der mit seinen Reden über Verfassungs- und Eigentumsfragen brillierte, oder Schulz als engagiertes Mitglied des Finanzausschusses. Die Erfahrungen der guten Zusammenarbeit in der Volkskammer über die jeweilige Gruppenzugehörigkeit hinweg machten ihn schon früh zu einem überzeugten Verfechter eines Wahlbündnisses.

Ein hohes Maß an Sachbezogenheit und weniger Berührungsängste— so lassen sich diese Erfahrungen auf den Punkt bringen. Daran möchte Vera Wollenberger anknüpfen und auch künftig mit interfraktionellen Initiativen die starren Parteischemata aufbrechen. Konrad Weiss setzt in Sachfragen auf einen „Solidarisierungseffekt“ unter den Abgeordneten der fünf neuen Länder. Aber bereits in der Volkskammer war diesen fruchtbaren Ansätzen häufig der Erfolg versagt geblieben. Es war wohl auch der Schock über die Niederlage der West-Grünen, die Aussicht, im Bundestag allein auf weiter Flur zu stehen, die unmittelbar nach der Wahl Stimmen für ein engeres Zusammenrücken der Ostler laut werden ließen. Wollenberger und Schulz plädierten für ein Aussetzen der bereits vollzogenen grün- grünen Fusion. Das Wort vom „Modell Sachsen“ machte die Runde, wo sich der Landesverband der Grünen zunächst mit den Bürgerbewegungen zusammenschließen möchte. Der Arbeitstitel „Grünes Bürgerforum“ ist, zumindest auf sprachlicher Ebene, nicht allzuweit von Antje Vollmers ökologischer „Bürgerrechtspartei“ entfernt.

Ungeachtet solcher Überlegungen oder Hoffnungen auf „Solidarisierungseffekte“ sehen sich die acht neuen Abgeordneten auch mit den Erwartungen der grünen Westwählerschaft konfrontiert. Zwar gibt es an der Basis des Neuen Forums oder der Grünen klammheimliche Freude über die Niederlage der als dominant empfundenen West-Grünen. Die Abgeordneten selbst sehen dies jedoch nicht nur wegen der fehlenden Fraktionsstärke anders. Schließlich sollten in der gemeinsamen Fraktion die unterschiedlichen politischen und kulturellen Erfahrungen aus Ost und West zusammenwachsen, ein Prozeß, den Schulz ausgesprochen spannend gefunden hätte. „Wir werden uns in die West-Grünen erst reindenken und reinfühlen müssen,“ meint Christine Weisske, kooptiertes Ostmitglied im Bonner Bundesvorstand. Ullmann, der hervorhebt, daß Bürgerbewegungen sich nicht gegen Parteien richten, sondern mit ihnen zusammen die parlamentarische Demokratie ergänzen können, ging mit den West-Grünen vergangene Woche hart ins Gericht: Von „Suppenkasparpolitik“ und „mangelnder theoretischer Klarheit“ war die Rede.

Das Wahlergebnis hat für die neuen Abgeordneten das Koordinatensystem ihres politischen Handelns verschoben. Sie sind die einzige Gruppe im Bundestag, die sich nur aus BürgerInnen der ehemaligen DDR zusammensetzt; ihre Westpartnerin ist unwillentlich in die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition verbannt worden. Erste Akzente wurden bereits gesetzt. Die Ankündigung, als eigenständige Gruppe zu agieren, sich nicht einfach als Nachfolgerin des parlamentarischen Arms der West-Grünen zu verstehen und ihre Selbständigkeit auch gegenüber der SPD zu wahren, zeugt von Selbstbewußtsein.

Die beiden einzigen grünen Abgeordneten, Vera Wollenberger und Klaus-Dieter Feige, werden voraussichtlich an der Nahtstelle zwischen Ost und West(-Grünen), zwischen Partei und Bürgerbewegungen stehen. Die eher basisdemokratisch orientierte und auf gute Zusammenarbeit mit den Bürgerbewegungen bedachte Wollenberger, lange Jahre in der DDR-Friedensbewegung engagiert, ist dabei keine „Parteiarbeiterin“. Ihre Äußerung über das Aussetzen der Fusion sorgte für Stirnrunzeln in den eigenen Reihen. Feige, bislang im Landesvorstand der Grünen in Mecklenburg, ist vielleicht der unbekannteste unter den Neuen, bringt jedoch einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt mit ein — den Natur- und Umweltschutz.

Obwohl sich die neuen Abgeordneten nicht gerne die Etiketten aus den Fraktionskämpfen der West- Grünen aufkleben lassen, gibt es bei einzelnen doch auch prononcierte Vorstellungen über die weitere Entwicklung der Grünen. Ingrid Köppe vom Neuen Forum kündigte letzte Woche an, jetzt müsse wieder stärker auf die außerparlamentarische Arbeit gesetzt werden. Konrad Weiss, mit Ullmann der auch im Westen bekannteste unter den Neuen, erklärte mitten im Wahlkampf, die Grünen müßten auch für wertkonservative wählbar werden. Kritische Zungen behaupten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Weiss Mitglied der SPD werde, vor allem dann, wenn die Neuen keinen Fraktionsstatus erhalten und nicht über die damit verbundenen Möglichkeiten der Selbstdarstellung verfügen. Dagegen hat Weiss wiederholt erklärt, nur bei einem Zusammengehen von Bürgerbewegungen und Grünen könnten die Interessen der DDR-Bevölkerung im Bundestag wirksam vertreten werden.

Das Problem „profilierter Persönlichkeiten, die eine gewisse Dominanz beanspruchen“, wird, so Feige, in der neuen Gruppe durchaus gesehen. Aber: „Alle acht sind sich bewußt, daß gegeneinander nichts läuft.“ Vielleicht mit Ausnahme der „Einzelkämpferin“ Christina Schenk vom Unabhängigen Frauenverband wird die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeit unter den neuen Abgeordneten für weniger Reibungspunkte sorgen als die Positionen, das Profil und die Neigung einzelner. Die West-Grünen werden vor dem Hintergrund ihrer Flügelkämpfe leicht geneigt sein, Äußerungen der neuen Angeordneten in diesem Kontext zu (miß)interpretieren. Die Gruppe Bündnis 90/Grüne im neuen Bundestag als Katalysator für die künftige Perspektive der West- Grünen — keine schlechte Aussicht. Vielleicht bietet die größere Distanz zwischen Bürgerbewegungen und Grünen gar eine bessere Chance für ein künftiges Zusammengehen als die Nähe der Fraktionsarbeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen