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„Freiwillig“ zurück ins Ghetto von Skopje?

Delegation der Rom & Sinti Union besucht mazedonische Hauptstadt Skopje/ Nordrhein-Westfalen will hier 1.400 Roma aus Deutschland „reintegrieren“/ Fazit der Reise: „Schlimmste Befürchtungen wurden noch übertroffen“  ■ Aus Skopje Bettina Markmeyer

Eine breite Straße führt nach Schutka. Auf Wohnblocks folgen kleine Fabriken, dann Schrottplätze und Müllhalden. Hinter der letzten Brücke zieht sich das Ghetto hin, beidseitig der nunmehr schmaler werdenden, lange nicht mehr geflickten Hauptstraße. Sie führt leicht bergauf.

Wo im heißen mazedonischen Sommer der Staub aufgewirbelt wird, ist jetzt im Dezember alles schlammbespritzt, Häuserwände, Busse, die Kioske am Straßenrand. Fährt ein Auto vorüber, springen die Menschen zur Seite.

Schutka, halb Ghetto, halb Lager: Elendsquartier für ein Zehntel der gut 500.000 EinwohnerInnen Skopjes. 40.000 bis 50.000 Roma leben hier und, als Minderheiten, AlbanerInnen und MazedonierInnen. Nach dem großen Erdbeben 1963 wurden die Roma in diesem nördlich der Innenstadt gelegenen Bezirk mit dem offiziellen Namen ,Schuto Orizari‘ angesiedelt, häufig unter Polizeigewalt.

Gardinen und Wäschestücke an den Fenstern der tonnenförmigen Notbehausungen, die nach dem Beben mit amerikanischer Hilfe errichtet wurden, zeigen an, daß sie noch immer gebraucht werden.

In Schutka will die nordrhein- westfälische Landesregierung im kommenden Jahr 1.400 Roma „auf freiwilliger Basis reintegrieren“, die derzeit noch zwischen Rhein und Weser Unterkunft finden, aber nach dem neuen Ausländergesetz im Januar abgeschoben werden können. Denn gleichzeitig beschloß das Kabinett am 4. Dezember, keinem Rom aus NRW das zu Beginn des Jahres von Innenminister Herbert Schnoor (SPD) zugesagte Bleiberecht zu gewähren. Eine Delegation der Rom & Cinti Union (RCU) fuhr am vergangenen Sonntag in die mazedonische Hauptstadt, um selbst zu sehen, wie das NRW-Pilotprojekt umgesetzt werden soll. Was er in zwei Tagen in Skopje und Schutka gesehen und gehört habe, sagt der Leiter der vierköpfigen Delegation, der Berliner Journalist Michel Lang, nach seiner Rückkehr am Mittwoch abend in Düsseldorf, habe seine „schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen“.

Seit zwanzig Jahren leben sie in einem Kleinbus

Die Hauptstraße in Schutka, auf der FußgängerInnen und Kinder auf klapprigen Rädern ihren Weg zwischen Pfützen suchen, wird im unteren Abschnitt von den soliden Häusern ehemaliger GastarbeiterInnen gesäumt. Von ihr zweigen holprige Sträßchen ab. Sie gehen über in unbefestigte Wege, die sich in eine knöcheltiefe Packung aus Lehm, Tauwasser, Fäkalien und Abfällen verwandelt haben.

Hunde und Hühner scharren in vom Schnee kaum verdeckten Müllhaufen. Dazwischen die Kinder, teils nur mit Hemd und Hose bekleidet, manche mit Gummistiefeln, andere mit Schlappen an den Füßen. Eine junge Frau steht barfuß im Schnee vor ihrer Tür.

In diesem Teil von Schutka sind Steinhäuser selten. Wände und Dächer aus Wellblech, Brettern und bloßem Pappkarton fügen sich zu einem engen Hüttengewirr. Hier gibt es weder Kanalisation noch Strom, noch Wasser noch etwa eine Müllabfuhr. Bis zu einer Viertelstunde laufen die Frauen zu den Wasserstellen.

Ein vielleicht 45jähriger Mann haust hier seit zwanzig Jahren in einem längst undichten VW-Bus. Nur äußerst mühsam kann er seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten durchbringen. Neben seinem Wrack hat er einen Raum von wenigen Quadratmetern aus grauen Hohlsteinen gebaut, in dem nun seine acht Kinder schlafen: auf dem Boden.

Die schmutzverkrusteten Schuhe, bittet seine Frau jedoch, mögen die Gäste anlassen. Sie hebt den Teppich, unter dem gestampfter Lehm zum Vorschein kommt. Ihre Füße unter dem langen Rock stecken nackt in Plastiksandalen, wie ihr Mann trägt sie jedoch mehrere Jacken übereinander. Ein kleiner Ofen kann die feuchte Luft im Raum nicht vertreiben. Den ganzen Tag hat sich der Nebel über Schutka nicht gehoben.

„Zwanzig Jahre lang habe ich immer wieder Beschwerden an die Ämter geschrieben“, erzählt der Mann, „aber kein Amt hat geholfen.“ „Du bist jung, du kannst arbeiten, sagen sie zu uns“, schildert ein anderer, etwa 25jähriger Rom den Teufelskreis, „aber uns gibt niemand Arbeit.“ Auch auf dem Arbeitsamt würden sie rausgeschmissen. Einige Frauen gehen in den Trabantenstädten putzen. Die Männer verdingen sich tageweise für umgerechnet ein paar Mark als Erdarbeiter und Handlanger oder zum Beladen von LKWs und Pferdegespannen. Finanzielle Unterstützung vom Staat gibt es nicht, also ist auch kein Geld da für Kranken- oder Rentenversicherung.

Kaum jemand in diesen „Hungerbaracken“ des Ghettos ist gesund. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist niedrig, die Kindersterblichkeit hoch. Nur eine Handvoll ÄrztInnen praktiziert in Schutka. Da viele Roma-Kinder früh Geld für die Familie herbeischaffen müssen, gehen sie nicht regelmäßig zur Schule. Hinzu kommt, daß selbst in den Schulen des Roma-Ghettos die LehrerInnen nicht auf Romanes, sondern auf Mazedonisch unterrichten und die Roma-Kinder gerne links liegen lassen. Die albanischen Kinder in Schutka erhalten dagegen muttersprachlichen Unterricht. Noch immer wächst die Mehrzahl der Roma- Kinder als AnalphabetInnen heran. Ohne die achtjährige Grundschule abgeschlossen zu haben, können sie sich jedoch nirgends bewerben, sind also wiederum auf die Hungerlöhne am schwarzen Arbeitsmarkt angewiesen.

Wann immer die Roma in Gesprächen über ihre Situation berichten, tun sie dies in großer Angst. Niemand will dem Filmteam, das die Delegation begleitet, vor der Kamera ein Interview geben. „Falsche Ohren hören mit“, heißt es. Gemeint sind Spitzel, die überall im Lager herumschnüffeln. Wird einer von ihnen in der Nähe vermutet, stieben die Menschen auseinander wie die Schlammfontainen unter den Rädern der Autos. Mögliche Heimsuchungen durch die Miliz verbreiten wie eh und je Furcht unter den GhettobewohnerInnen.

Polizei verteilt Prügel statt Pässe

Auch Neuankömmlinge machen gleich Bekanntschaft mit der Polizei. Noch im Zug von Zagreb nach Skopje wurden dem jungen Ehepaar die Pässe abgenommen. Als der Mann zwei Tage später auf der Wache in Skopje erschien, um die Ausweise wiederzuholen, kassierte er Prügel, zwei Wochen später noch einmal; die Pässe, sagt er, hat er noch immer nicht. Üblicherweise für ein Jahr, lautet die übereinstimmende Auskunft im Ghetto, entzieht die Polizei abgeschobenen Roma ihre Papiere. Das Ehepaar war im Juli dieses Jahres nach zweieinhalb Jahren in einem kleinen Ort bei Stuttgart mit seinen beiden Kindern abgeschoben worden.

Daß seine Leute nicht nur, wenn sie abgeschoben worden sind, verhaftet, und ihnen die Pässe weggenommen werden, wenn sie wieder nach Skopje kommen, bestätigt auch Faik Abdi, Vorsitzender der Partei zur Emanzipation der Roma in Mazedonien (PCER). „Deshalb haben alle Angst zurückzukommen.“ Abdi nahm im Oktober als Roma-Vertreter an den Verhandlungen zwischen der NRW-Delegation und Abgesandten der jugoslawischen Bundesregierung sowie der mazedonischen Landesregierung teil.

Roma haben in Schutka keine Stimme

Über die Details der Vereinbarungen wie kurzfristige Sozialhilfezahlungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den Bau von Häusern, erklärt er im vom Petroleumgestank des Ofens erfüllten PCER-Büro in Schutka, habe er keine Kenntnis.

Im Gegensatz dazu hatten Sprecher der nordrhein-westfälischen Landesregierung erklärt, der Roma- Vertreter habe sich mit den Vereinbarungen einverstanden gezeigt.

Deutlich registriert hat Faik Abdi jedoch den „big wish“ der Deutschen, die NRW-Roma nach Schutka zurückzuführen, und den ebenso großen Wunsch der mazedonischen Regierungsvertreter, dafür Geld entgegenzunehmen. Er sei nicht grundsätzlich dagegen, daß Roma nach Skopje zurückkehren, doch müßten sie dann Arbeit und eine Zukunft haben. Angesichts kollabierender Banken und der zerrütteten Industrie in seinem Land könnten die Deutschen den Roma in ihrem Land derzeit am besten helfen, wenn sie ihnen dort erlaubten zu arbeiten und „gute Bürger zu werden“. Seine Pläne habe er in den Verhandlungen nicht entwickeln können. „Emanzipation“ heißt für den graumelierten Patriarchen in erster Linie Emanzipation vom Ghetto. Roma müßten „ganz normal“ und gleichberechtigt mit der übrigen Bevölkerung leben können.

Nicht nur Raik Abdi kann sich bisher wenig unter der „neuen Flüchtlingspolitik“ vorstellen, die die nordrhein-westfälische Landesregierung an den Roma in Schutka ausprobieren will. Wo sollen die Häuser hin? Es gibt keine Infrastruktur. Was passiert, wenn die neuen Siedler, nur weil sie ein dichtes Dach über dem Kopf haben, in dem elenden Ghetto „zum Ziel des Neides werden“, wie der evangelische Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil in einem Interview mit „Radiotelevision Skopje“ (RTS) fragt. Sorgt das Projekt für neuen sozialen Sprengstoff im Elendsquartier?

Fragen, die beispielsweise in den Medien von Skopje überhaupt nicht diskutiert werden, wie die RCU-Delegation im Gespräch mit verschiedenen Journalisten erfährt. Außer dem Chef für das Nachrichtenfernsehen bei Radiotelevision Skopje mit dem für die Geisteshaltung seiner Eltern bezeichnenden Namen Stalin Lozanovski und dem Chefredakteur der am Ort erscheinenden Tageszeitung 'Nova Makedonia‘, Georgi Janovski, weiß keiner der für ein breites Publikum arbeitenden JournalistInnen auch nur von der Existenz eines „Modellvorhabens“ für die „Reintegration“ nordrhein-westfälischer Roma in Schutka.

Doch das Ghetto vor der eigenen Haustür, Armut, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen sind für die Medien in Skopje ohnehin kein Thema. Nach dem Verhältnis zwischen MazedonierInnen und Roma befragt, antwortet Misho Netkovski, Redakteur in Stalins Abteilung, von dessen Büro in der vierten Etage des RTS-Hochhauses der Blick bei klarem Wetter bis nach Schutka reicht: „Keine Probleme, absolut keine Probleme.“

In einem Punkt allerdings antworten in Skopje alle dasselbe, wenn man sie danach fragt, ob JournalistInnen, JugoslawInnen auf der Straße, ob Roma-Vertreter wie Faik Abdi oder die Roma von Schutka: „Freiwillig“ kehrt kein Rom aus Deutschland ins Ghetto von Skopje zurück. In diesem Punkt ist nur die nordrhein-westfälische Landesregierung anderer Meinung.

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