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König Midas in München

Pete Sampras (USA) gewinnt mit 6:3, 6:4, 6:2 gegen Brad Gilbert den ersten Grand Slam Cup Anschließend enttäuscht der 19jährige die Veranstalter mit fehlender euphorischer Freude  ■ Aus München Matti Lieske

Brad Gilbert aus Oakland, Kalifornien ist ein Tennisparasit. Er läßt die Leute auf der anderen Seite des Netzes das Spiel machen und beschränkt sich erst mal darauf, alles, was kommt, brav zurückzuschlagen. Je mehr Power sein Gegner aber aufwendet, je genauer er die Bälle in die Ecken plaziert, desto größer wird die Power und die Genauigkeit von Gilbert.

Er verleibt sich die Kraft seiner Gegner ein und verwendet sie umgehend gegen sie. Wie ein Vampir saugt er sich mit ihrer Vitalität voll und läßt sie schließlich als schlaffe Hülle geschlagen auf dem Platz zurück. Selbst ein Kraftprotz wie David Wheaton, der Ivan Lendl im Viertelfinale noch glatt überrannt hatte, wirkte gegen Gilbert plötzlich matt wie ein geplatzter Gartenschlauch.

Leute, die gegen Gilbert spielen, wirken optisch meist wie die sicheren Sieger, aber irgendwann reibt man sich verwundert die Augen und stellt fest, daß der 29jährige US-Amerikaner Matchball hat und diesen umstandslos verwandelt. „Er macht eigentlich nichts“, analysierte Boris Becker einmal, „aber das macht er sehr gut.“ Keiner mag ihn, am allerwenigsten die Zuschauer, die er mit seiner unattraktiven Spielweise in Scharen an die Bratwurst- und Hummerschwanzbuden treibt. Gilbert macht sich keine Illusionen über den Grad seiner Beliebtheit: „Ich weiß, daß mein Stil nicht sehr schillernd ist. Aber jeder muß mit dem auskommen, was er hat. Ich bin eben ein Arbeiter.“

In München arbeitete sich der Weltranglistenzehnte verbissen bis ins Finale vor, obwohl er ursprünglich nur als Ersatz nominiert war. Die Absage von Andre Agassi ermöglichte ihm den Sprung ins Turnier und gab ihm die einmalige Chance, nicht nur die Hypothek auf sein Haus loszuwerden, sondern auch den „Höhepunkt“ seiner Karriere zu erklimmen.

„Zehn Jahre bin ich schon Profi, das ist endlich mein Durchbruch“, jubilierte Gilbert, der immerhin schon zwanzig Turniere gewonnen hat, nach dem Erreichen des Endspieles. Aber dem ehrgeizigen Burschen, der immer um sechs Uhr morgens aufsteht, stand der Sinn nach mehr: „Ich will der erste sein, der diesen Grand Slam Cup gewinnt.“

Doch da war Pete Sampras vor. Ob er nun Knoblauchzehen in der Tasche oder ein Kruzifix im Schuh hatte, gegen den US-Open-Sieger war Gilberts Saugfähigkeit wirkungslos. „Ich muß ein Mittel gegen seinen Aufschlag finden“, war dessen größte Sorge vor dem Endspiel. Es gelang ihm nicht; kein einziges Mal vermochte er Sampras das Service abzunehmen.

Aber der Aufschlag war mitnichten das einzige Problem. Blieb Gilbert hinten, setzte ihn Sampras entweder so lange unter Druck, bis er einen Fehler beging, oder er griff an und vollführte traumwandlerische Volleys. Kam Gilbert seinerseits ans Netz, wurde er seelenruhig passiert.

„Es war wie bei den US-Open im Endspiel gegen Agassi“, freute sich Sampras. „Alles, was ich tat, wurde zu Gold.“ König Midas in der Münchner Olympiahalle, aber der spätgeborene Thronfolger des kretischen Gernegroß wird im Gegensatz zu seinem Vorfahren wohl kaum zu Apollo gehen und ihn bitten, die seltene Gabe wieder von ihm zu nehmen.

Ähnlich sieht es auch Brad Gilbert: „Der Kerl ist erst 19. Wenn es Sampras-Aktien gäbe, ich würde welche kaufen. Sie steigen.“ Im Gegensatz zu Pete Sampras selbst, der meint, noch längst nicht so weit zu sein wie Stefan Edberg oder Boris Becker, ist Gilbert überzeugt, daß der momentan Fünfter der Weltrangliste das Zeug zur Nummer eins hat: „Der hat Eiswasser in den Adern, und mit seinem Aufschlag kann er jeden einschüchtern.“ Das Wichtigste aber sei, daß Sampras der Sieg wichtiger sei, als alles andere. „Guckt ihn euch doch an“, meinte Gilbert, „hat gerade zwei Millionen Dollar gewonnen und ist kein bißchen aufgeregt.“

Dabei wollte Sampras wegen seiner lädierten Schienbeine erst gar nicht zum Münchner Turnier, das er nicht sehr hoch einschätzte, kommen. Und auch nach seinem Triumph hatte er einen Dämpfer für die Hintermänner des Grand Slam Cup parat, die gerade vorher versucht hatten, ihre Veranstaltung zu einem ernsthaften Turnier und zum künftigen Saisonhöhepunkt hochzujubeln: „Bei den US-Open war ich viel euphorischer. Das war ein Grand Slam Turnier. Hier habe ich einen Schaukampf mit viel Geld gewonnen.“

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