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Heisse Weihnacht

■ Sonne, Strand und Seelsorge auf Gran Canaria - taz-Mitarbeiter Günter Ermlich sprach mit der Pfarrerin Sabine Hechler

Sonne, Strand und Seelsorge auf Gran Canaria — taz-Mitarbeiter Günter Ermlich sprach mit der Pfarrerin der Urlaubsinsel

Sabine Hechler, Pastorin in Playa del Ingles auf Gran Canaria, ist für die geistliche Betreuung des ganzen Südens der spanischen Insel zuständig, vom Flughafen bis San Nicolas de Tolentino. Seit zweieinhalb Jahren ist sie als Auslandspfarrerin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hier tätig, hat die „deutschsprachige evangelische Kirche in der Provinz Las Palmas“ selbst aus der Taufe gehoben. Heute besteht die Stammgemeinde aus 60 eingeschriebenen Haushalten, den „residencias“, vorwiegend Angehörige deutscher Firmen und Geschäfte. Als sogenannte Freiwilligkeitsgemeinde wird sie für die Tourismusseelsorge zwar von Deutschland aus finanziell unterstützt, aber die Inselgemeinde muß einen bestimmten Satz der Gelder selbst aufbringen. Doch nicht die „residencias“ sind für Pastorin Hechler die arbeitsintensivste Gruppe, sondern die Langzeiturlauber, ältere Leute, die im warmen Gran Canaria überwintern. Die Gottesdienste finden im „templo ecumenico“ statt, den sich neun verschiedene Kirchen teilen müssen.

taz: Woher beziehen Sie Ihre Weihnachtsbäume in Gran Canaria? Deutsche Edeltannen oder spanische Koniferen?

Sabine Hechler: Es gibt auch auf Gran Canaria Weihnachtsbäume. Die werden von Schweden und teilweise von Deutschland eingeflogen. Das sind ganz normale Fichten. Manche sind schon sehr dürr, wenn sie hier ankommen.

Wie sieht ihr „templo ecumenico“ in dieser Weihnachtszeit aus? Ist die Kirche so hergerichtet wie bei uns?

Viel schöner! Die Spanier haben ja eine alte Krippentradition. Im „patio“, im Innenhof, steht eine fast lebensgroße Krippe, die der Naturlandschaft nachgebildet ist. Im Altarraum gibt es einen großen Weihnachtsbaum, den wir Deutschen geschmückt haben, davor noch mal eine kleine Krippe, von den Spaniern gestaltet. Auf der anderen Seite ist bis zum Kreuz hoch oben eine Pyramide mit roten Christussternen aufgebaut.

Kommen denn die ausgebüchsten Weihnachtstouristen überhaupt in Ihren Gottesdienst?

Im Winter habe ich immer guten Besuch, 200 bis 300 Leute jeden Sonntag. An Weihnachten bricht die Kirche aus allen Nähten. Heiligabend haben wir drei evangelische Gottesdienste hintereinander, die immer voll sind. Dann müssen wir sogar per Lautsprecher nach draußen übertragen. Für die anschließende Weihnachtsfeier reicht der Saal auch nicht.

Playa del Ingles, das ist doch das Synonym für massenhaftes Urlauberleben, für Jubel, Trubel, Heiterkeit in großen Bettensilos und vollen Strandburgen. Können da überhaupt, bei 20 Grad und mehr am Strand, weihnachtliche Gefühle wie Besinnlichkeit und Beschaulichkeit aufkommen, zumal unsere einheimische Weihnacht so symbolbeladen ist mit weißem Schnee, lamettabehängter Edeltanne und Weihnachtsmann mit Rauschebart?

Das ist gar kein Problem, denn das eigentliche Weihnachtsfest fand ja auch nicht in Deutschland statt. Das Fest als solches, wenn man sich von dem ganzen Drumherum löst, bekommt hier auch wieder einen ganz anderen Wert. Als ich im Oktober in Deutschland war, da waren schon die Kaufhäuser voll mit Weihnachtssachen. Dieser ganze Weihnachtsrummel, der fehlt hier, und das empfinde ich als sehr angenehm. Den Konsumzwang gibt es hier nicht, denn die Spanier schenken sich zu Weihnachten nichts, sondern erst am 6. Januar zu Los Reyes, zum Fest der Heiligen Drei Könige.

Welches sind die Motive der Touristen, dem traditionellen deutschen Familienfest zu entsagen und die Weihnachtstage fernab der Heimat im sonnigen Süden zu verbringen? Weg vom Weihnachtsoratorium, hin zum Urlaubsbrimborium?

Ich glaube, das geht tiefer. Weihnachten ist bei uns als Familienfest schon richtig zum Trauma geworden. Viele Menschen meinen, sie müssen gerade zu Weihnachten jetzt eine harmonische Familie darstellen. Das klappt nicht. Deshalb gibt es vor Weihnachten immer viele Erwartungen, viele Geschenke, viele Vorbereitungen. Weihnachten, und danach kommt die Depression. Es gibt dabei so einen richtigen Abfall. Ich denke, daß davor viele Menschen fliehen, und das ist auch gerechtfertigt.

„Feliz Navidad“, „Happy Christmas“: nur eitel Sonnenschein am „Fest der Freude“? Müssen Sie seelsorgerische Überstunden machen, um die depressiven Weihnachtstouristen wieder aufzumöbeln?

Nein, denn die Sonne, das Meer, das alles nimmt das Gefühl von Weihnachten, wie es sich in Deutschland darstellt. Die Touristen werden hier am eigentlichen Fest an Heiligabend sowohl von der Kirche — wer Kirche möchte — als auch von den Reiseveranstaltern durch Feiern ganz gut aufgefangen. Es gibt einzelne Hotels, die ihre Leute voll im Programm haben. Sie machen ein Festessen und danach eine Feier mit Geschenken und Liedern, Vorträgen und Geschichten. Da sind die Menschen nicht allein, ob sie zu zweit oder dritt sind, als Familie oder als Alleinstehende.

Senioren und Singles sind Sorgenkinder, denen nicht nur zur Weihnachtszeit, da aber verschärft, die Decke auf den Kopf fällt. Sie sind allein, während alle anderen im Schoß der Familie feiern. Wie steht es mit Einsamkeit und Trauer inmitten des allgemeinen Urlaubstrubels?

Diese Einsamkeit gibt es ganz bestimmt. Es liegt dann jedoch an dem einzelnen Menschen, ob er sich einsam in sein Hotelzimmer zurückzieht oder ob er an einem Weihnachtsessen und einer Veranstaltung eines Hotels oder Touristikunternehmens teilnimmt oder ob er zu uns in die Kirche kommt.

Gehen Sie in Ihrer Weihnachtspredigt auf die besondere Situation der Gottesdienstbesucher, die Ferien vom Weihnachten zu Hause machen, ein?

Nein, meine Weihnachtspredigt würde ich genauso in Berlin oder Dortmund halten. Auf die besondere Urlaubssituation beziehe ich mich eher in meinen Zeitungsartikeln. Ich schreibe regelmäßig für die monatliche Gästezeitung eines Reiseveranstalters. In der Dezemberausgabe habe ich genau das Thema aufgenommen, warum wir Deutschland verlassen und zu Weihnachten nach Gran Canaria kommen. Ich wollte dabei aufzeigen, daß wir dem Trubel in Deutschland entfliehen, aber auch der Einsamkeit. Das ist auch ein legitimes Bedürfnis; ich will den Leuten kein schlechtes Gewissen machen. Denn manche sind immer noch in einem Zwiespalt, daß sie nicht bei der Familie geblieben sind oder für die Kinder zu Hause hätten Weihnachten feiern sollen. Wir können dieses Fest überall in der Welt begehen.

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