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Stasi bildete Saddams Geheimdienst aus

Bis Mitte der 80er Jahre benutzte die Stasi ein Gelände südlich von Berlin/ Ehemalige Stasi-Ausbilder packen im britischen Fernsehen aus/ Planung von Terroranschlägen gehörte zum Programm  ■ Von Ralf Sotscheck

Berlin (taz) — Agenten der irakischen Geheimpolizei Mukhabarat sind in einem Lager der Stasi südlich von Berlin für Terroranschläge und den Einsatz von Giftgas ausgebildet worden. Das behauptete der unabhängige britische Fernsehsender Channel 4 in seiner Magazinsendung Dispatches. Das fünfzig Quadratkilometer große Übungsgelände befindet sich in einem Wald bei Massow und war hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Es war das größte Ausbildungslager der Stasi im ganzen Land. Ein Oberstleutnant, der anonym blieb, beschrieb die Sicherheitsvorkehrungen: „Sie bestanden darin, daß ein unmittelbarer Kontakt dieser ausländischen Soldaten mit unseren Soldaten nicht stattfand. Sie wurden dezentralisiert untergebracht, und eine Zu- und Abfahrt zum Ausbildungsgelände wurde gedeckt durchgeführt.“

Indizien für die Art der Ausbildung sind auch heute noch vorhanden: Channel 4 fand in einer Traglufthalle in Berlin ein ganzes Arsenal von Holzgewehren, Plastikmessern und Imitationshandgranaten. In dieser Halle soll der Nahkampf geübt worden sein. Ein ehemaliger Ausbilder der Stasi — von hinten gefilmt und mit verfremdeter Stimme — sagte: „Die Ausbildung in so einer speziellen Einheit des Ministeriums für Staatssicherheit erfolgte allumfassend und war zuerst darauf gerichtet, die Persönlichkeit und den Willen jedes einzelnen zu brechen, so daß man dann nicht mehr in der Lage war, über die eigentlichen Aufgaben und die Auswirkungen dieser Handlungen nachzudenken. Im Rahmen der Ausbildung dieser Kräfte wurde insbesondere Wert auf Kenntnisse über nervenschädigende Kampfstoffe gelegt. Dabei spielten solche Dinge wie Yperit und Sarin und auch binäre Kampfstoffe eine entscheidende Rolle. Es wurden auch Möglichkeiten des Einsatzes von bakteriologischen Kampfstoffen erwähnt. Als Beispiel wurden Grippeviren bis hin zu Erregern schwerer Krankheiten wie Milzbrand, Lungenentzündung und Gelbsucht erwähnt und auch in ihrer Wirkung dargestellt.“

Ein besonderer Punkt der Ausbildung war die Vermittlung von Kenntnissen über Terroranschläge. Der Stasi-Ausbilder sagte: „Als Beispiel möchte ich nennen, daß Terrorangriffe mit chemischen Möglichkeiten oder auch mit konventionellen Sprengstoffen — insbesondere in Konzentrationspunkten von Menschen wie in Flughäfen, Bahnhöfen und bei größeren Veranstaltungen und ähnliches — geplant werden konnten. Diese Kräfte, die diese Aufgaben zu erfüllen hatten, wurden so geschult und auch gedrillt, daß sie ihre Aufgabe bedingungslos erfüllt haben. Neben dieser militärischen Ausbildung gab es eine intensive ideologische Ausbildung, die darauf gerichtet war, den Feind auch als Feind zu betrachten. Und bei Feind in dem Sinne wurde kein Unterschied gemacht zwischen der Zivilbevölkerung und der militärischen Einheit.“

Die Ausbildung in Massow erfolgte bis 1985. Danach reisten die Stasi-Leute nach Syrien, in den Jemen und den Irak, wo die Ausbildung fortgesetzt wurde.

Das ehemalige RAF-Mitglied Peter Jürgen Boock nahm nach eigenen Angaben fünfzehn- bis zwanzigmal an den Übungen teil und beschrieb die Ausbildung: „Der Einsatz von Raketen auf bewegliche und unbewegliche Ziele, der Einsatz von Sprengstoffen — wie man eine Bombe zündet, wie man eine Bombe baut, wie man sie legt, wo man sie legt. Als Akteure für Attentate kam die PLO für den Irak bislang nie in Frage. Die PLO würde auch offiziell niemals an solchen Aktionen teilnehmen. Sie müssen die PLO auch gar nicht benutzen, weil es zahlreiche kleinere Palästinensergruppen gibt, die vom irakischen Geheimdienst eingesetzt werden können. In Paris gibt es einen Ort, wo viele Gruppen ihre Widerstandskämpfer untergebracht haben, und es gibt viele nicht organisierte Leute, die Aktionen im Sinne der Irakis durchführen können. Einige Leute tun es auch für Geld. Viele Waffen, die von der Polizei in Europa gefunden wurden, waren irakische Waffen. Sie wurden mit Sicherheit durch die irakischen Botschaften hereingeschmuggelt.“

Ein ehemaliger Agent der Mukhabarat, der sich Ende vergangenen Jahres aus dem Irak abgesetzt hat, bestätigte diese Einschätzung. Er sagte, daß in jeder irakischen Botschaft mehrere Angestellte direkt der Mukhabarat unterstehen. Diese Leute nehmen Kontakt zu den Mordkommandos der Organisation auf, deren Mitglieder meist als Studenten an Universitäten eingeschrieben sind, vor allem in Großbritannien. Als Beispiel nannte er die Universität von Exeter. Hauptangriffsziel dieser Todeskommandos sind oppositionelle Iraker im Exil. Mowe Rubaie von der irakischen Dawa-Partei sagte: „Ich wechsele ständig das Auto, die Wohnung und trage eine kugelsichere Weste. Jeder Iraker in diesem Land sollte vor diesen Todeskommandos wachsam sein.“

Die Mukhabarat ist von Saddam Hussein aufgebaut worden und wird von seinem Stiefbruder geleitet. Ein weiterer Stiefbruder führt die Auslandsabteilung. Beide Abteilungen, ebenso wie andere irakische Geheimorganisationen, unterstehen dem “„Spezialbüro“, dessen oberster Chef Saddams Sohn ist. Ost-Berlin blieb auch nach der Verlegung der Ausbildungslager im Jahr 1985 die Basis für Mukhabarat-Operationen in Europa. Die Mukhabarat-Leute und Mitglieder anderer Organisationen wurden im Palasthotel in Ost- Berlin untergebracht. Channel 4 zeigte einen kurzen Film, in dem „Carlos“ in diesem Hotel zu sehen ist. Der Film wurde angeblich vom ungarischen Geheimdienst gedreht. Carlos soll heute in Bagdad leben.

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