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Zagende Zuversicht

■ Das Berliner Theater des Westens brachte Mozarts frühe Oper „La finta semplice“

Mozarts Opera buffa La finta semplice („Die einfache Falle“, hier auch „Die verstellte Einfalt“) ist seine fünfte Oper. Er war zwölf Jahre alt, als er sie komponiert hat, aber sie ist nicht das Werk eines Zwölfjährigen. Sie steht unter dem Eindruck der gleichzeitigen Gluckschen Opernreform: ausgewogene, integrierende Komposition, Verzicht auf herausstechendes Virtuosentum; mehr noch spricht da aber eine jugendliche Genialität, eine kühne Keuschheit, eine Frühvollendung, die einzigartig ist in aller Kunstgeschichte.

Für die Leitung der Deutschen Oper jedoch, die das Werk zum vergangenen Montag in Koproduktion mit den östlichen Berliner Virtuosen im Theater des Westens produzierte, war das nur eine Pflichtübung im Mozartjahr. Nicht anders ist die organisatorische und dramaturgische Lieblosigkeit zu erklären, die man von höherer Stelle dem Abend angedeihen ließ. So hielt man eine der erstaunlichsten Partituren der Operngeschichte lediglich einer konzertanten Realisation für wert.

Um es vorwegzunehmen: Die Aufführung war ein musikalischer Glücksfall, wie er unter vergleichbaren Bedingungen nur ganz selten eintritt. Dramaturg und Kapellmeister taten nämlich alles, um den Abend zu sabotieren.

Statt der verbindenden Secco- und Akkompagnatorezitative kommentierte ein einschlägiger Fernsehdarsteller die Handlung. Er verlas einen Text des Dramaturgen Curt A. Roesler, dessen gönnerhafter und unangemessener Tonfall auf das kleine Publikum peinlich gewirkt haben muß. Dergleichen Bierreden kann man sich bestenfalls bei einer Betriebsfeier von Borsig vorstellen. Das ganze erwies sich als dramaturgische Fehlspekulation. So heißt es im Roesler-Text, es werde keine Rezitative geben. An einigen Stellen konnte man dann aber doch nicht darauf verzichten. Die Rede ist vom „k.u.k. Heer“, dabei wurde die Bezeichnung („kaiserlich und königlich“) erst im 19. Jahrhundert üblich, usw. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Curt A. Roeslers Beschäftigung mit dem Musiktheater des 18. Jahrhunderts entspringt purem Übermut.

Die sieben Sänger aus dem Ensemble der Deutschen Oper und die 21 Berliner Virtuosen sangen und spielten La finta semplice, daran gab es keinen Zweifel. Was aber der Dirigent Manfred Scherzer eigentlich dirigierte, wußte keiner im Saal, vermutlich nicht einmal er selbst. Bei allem Respekt vor Fachkräften aus den neuen Bundesländern muß man darüber staunen, daß die Deutsche Oper neuerdings eine Art Talentschuppen ist, wo jeder mal ran darf. Ein solcher Dirigent, für den „Einsatz“ lediglich ein Begriff aus dem Glücksspiel ist, muß der Alptraum jedes Sängers sein.

Die Sänger und Musiker, die, während sie dauernd bei der Arbeit behindert wurden, eine gekonnte und geschmeidige Darbietung zustande brachten, verdienen größte Hochachtung. Besonders die Ensembleeinsätze in der Oper sind schwierig, wenn kein Dirigent zur Verfügung steht. Hier waren die Dissonanzen der sehr konzentrierten Sänger kaum wahrnehmbar. Überraschend und wohltuend war die lyrische Kultur aller Aktiven. Die himmlische Sicherheit des jungen Mozart, aber auch das Beben und Bangen, die zagende Zuversicht des kommenden Werks waren den Sängern und Instrumentalisten wohl bewußt.

Zwei neue Sängerinnen gaben hier ihr bemerkenswertes Debüt: Aimee Willis' nach oben wunderbar aufgehende Töne lagen sicher in einer scheinbar mühelosen gestalterischen Intelligenz. Verblüffend, wie diese doch junge Sängerin die geistige Anmut des Werks begriff und vermittelte. Camille Capasso bot eine fast schon gefährlich-schöne, kristallklare Virtuosität. Gekonnt wechselte sie die Ebenen und spliß die ihr anvertrauten Arien damit auch semantisch auf: So was verstehe ich unter Musiktheater. Abgerundet wurden die Frauenstimmen von Gudrun Sieber, die wieder bewies, daß die Soubrette kein Übergangsstadium ist, sondern ein Rollenfach, das die ganze Persönlichkeit fordert. Mozart faßte die Zofenrollen von Anfang an als musikalisch und dramatisch gleichberechtigtes Widerspiel zu seinen lyrischen und dramatischen Sopranen auf. Das frische Idiom und der naive Mutwille der Kammerfrau Ninetta, vorgestellt von Gudrun Sieber, wurden solchem diffizilen Anspruch mühelos gerecht.

Die Aufführung mußte, als konzertante, akademisch bleiben, dies aber im besten Sinn. Man hofft auf baldige Inszenierung, die den Zauber dieser mit nichts zu vergleichenden Musik weiterträgt.

„Wenn jeder jeden Tag eine Mozartplatte hören würde“, soll Toscanini einmal gesagt haben, „gäbe es keinen Krieg.“ Stephan Reimertz

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