piwik no script img

Zeitschriften: Transatlantik/Kursbuch/Transit/Lettre International

M i c h a e l B r a u n „Mit großem Bedauern“ hat vor einigen Wochen der 'Spiegel‘-Verlag das ultimative Ende der Kulturzeitschrift 'Transatlantik‘ angekündigt. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird 'Transatlantik‘ mit der März-Nummer sein Erscheinen einstellen. Wieder einmal haben damit die Buchhatler der ökonomischen Vernunft über alle intellektuellen Interessen triumphiert. Besonders ärgerlich ist in diesem Fall die Kaltschnäuzigkeit, mit der sich ein Verlag, der noch vor einem Jahr als großzügiger Retter der notorisch defizitären Zeitschrift auftrat, von seinem publizistischen Schmuckstück trennt.

Für ein so wertvolles Objekt wie 'Transatlantik‘ wolle man gerne die Ärmel hochkrempeln, ließ 1989 der zuständige Verlagsgeschäftsführer verlauten. Das so vollmundig bekundete Engagement hat sich nun nach gerade einem Jahr vollends verflüchtigt. Weil binnen dieser äußerst knappen Frist die üblichen Sanierungsstrategien — als da wären: Erhöhung des Anzeigenaufkommens und Steigerung der Auflage — nicht in gewünschtem Maß erfolgreich waren, hat man 'Transatlantik‘ lustlos zu den Akten gelegt. So wird kurzerhand ein publizistisches Projekt liquidiert, das wie kein anderes subventioniert zu werden verdiente. Denn in keiner anderen deutschsprachigen Zeitschrift ist das Genre der Reportage so gehegt und gepflegt worden wie in 'Transatlantik‘; nirgendwo anders ist so viel intellektuelle Neugier in „die Untersuchung der Wirklichkeit mit literarischen Mitteln“ (Enzensberger) investiert worden. Als Hans Magnus Enzensberger zusammen mit Gaston Salvatore 1980 die Gründung von 'Transatlantik‘ verkündete, ging zunächst ein empörter Aufschrei durch die linke Publizistik. Denn keiner hatte es bis dato gewagt, mit den Segnungen des Kapitalismus so unverschämt zu kokettieren und sich gleichzeitig über das asketische Selbstverständnis der linken Intelligenzia so ausgiebig lustig zu machen wie die 'Transatlantik‘-Gründer. Die idealen Leser von 'Transatlantik‘ stellten sich Enzensberger so vor: „Es ist kein Fehler, davon auszugehen, daß diese Menschen in Buchhandlungen genauso zu Hause sind wie in Delikatessenläden, daß sie nicht irgendeinen Wagen fahren, sondern einen ganz bestimmten,... und daß sich ihre Lust an Qualität bestimmt nicht auf intellektuelle Bereiche beschränkt.“ Wer aus diesen Sätzen ein Bekenntnis zur schönen neuen Warenwelt des Spätkapitalismus ableiten wollte, sah sich rasch getäuscht. 'Transatlantik‘ griff immer dort an, wo es Bastionen des geistigen Konformismus zu stürmen galt. Die Domäne der Zeitschrift war nicht der theoretische Zugriff aufs große Ganze, sondern der mikrologische Blick aufs Detail. Statt ideologiekritisch gehärteter Überzeugungen präsentierte sie lieber signifikante Fakten.

Gleich im ersten Heft demontierte Enzensberger in seinem brillianten Essay Eurozentrismus wider Willen die Lebenslügen der zerfallenden linken Bewegung. Auch in der Folgezeit, bis in die unmittelbare Gegenwart, waren immer wieder einige Beiträge zu lesen, die im Sinne des ursprünglichen Programms „systematisch abweichende Sehweisen“ ausprobierten: im Januar-Heft etwa Henryk M. Broders Polemik wider die Konvertiten zum Judentum oder Bruno Bandulets ausgezeichnete Analyse der ökonomischen und politischen Ohnmacht Deutschlands, die das Klischee von der „Großmacht Deutschland“ Lügen straft. Im aktuellen Februarheft liefert ein Interview mit einem geflohenen Leibwächter Saddam Husseins die Hintergrundinformationen, nach denen man in diesen Tagen meist vergeblich sucht. Mit 'Transatlantik‘ geht nicht eine beliebige „Hochglanzpostille“ verloren, sondern eine im besten Sinn professionell gemachte Zeitschrift, mit er auch in puncto Layout kaum ein vergleichbares Blatt konkurrieren kann. Wie weit dieses Kulturmagazin seiner Zeit voraus war, erhellt auch aus einem Artikel Enzensbergers aus dem Jahr 1982. Im Juli-Heft erschien sein Essay über den real existierenden Sozialismus als dem „höchsten Stadium der Unterentwicklung“. Man hat die prognostische Kraft dieses Artikels damals nicht wahrhaben wollen. Der darin implizit vorausgesagte Kollaps des sozialistischen Systems ist mittlerweile erfolgt, die Jubelgesänge über die „sanften“ und „friedlichen“ Revolutionen in Osteuropa sind allerdings jäh verstummt. Statt dessen breitet sich nun postrevolutionärer Katzenjammer aus. Denn kaum sind die letzten Reste des Eisernen Vorhangs eingerollt, drohen den instabilen Demokratien in Osteuropa neue Gefahren: extreme Nationalismen, wirtschaftliche Dauermissere, frühe Demokratieverdrossenheit, neu erwachender Antisemitismus.

Angesichts dieser Phänomene warnt der polnische Historiker Bronislaw Geremek vor der „totalitären Versuchung“ in den Ländern Ostmitteleuropas. Andere sehen schon wieder das Gespenst der „Balkanisierung“ des Ostens am Horizont auftauchen. Denn der allerorten aufgeflammte Nationalitätenhader ist durch wachsende Irrationalität und Unberechenbarkeit gekennzeichnet: Kroaten und Serben stehen kurz vor dem bewaffneten Kampf gegeneinander; Rumänen und Ungarn erheben mit wachsender Lautstärke gegenseitige Gebietsansprüche; und auch zwischen Tschechen und Slowaken, Bulgaren und Türken rumort es.

Diese auf den ersten Blick verwirrenden osteuropäischen Verhältnisse transparent zu machen, haben sich gleich zwei Zeitschriften vorgenommen: das neue, sehr lesenswerte 'Kursbuch‘ und die neugegründete Halbjahreszeitschrift 'Transit‘.

Daß in Deutschland die detaillierte Aufklärung über politische und kulturelle Eigenheiten Osteuropas not tut, belegt Krisztina Koenen in ihrem 'Kursbuch‘-Aufsatz über das Osteuropa-Bild der Westdeutschen. Denn zumindest bis zum Revolutionsjahr 1989 begnügte sich die westdeutsche Intelligenz mit einer katastrophalen Halbbildung über den unerbittlich realen Sozialismus, gespeist aus hartnäckiger Verdrängung und politischer Naivität. Um nicht in den Ruch des Antikommunismus zu geraten, übten sich auch viele Linke in Leisetreterei oder „Schönfärberei der östlichen Zustände“ (Koenen). So galt zum Beispiel Ungarn als die „fröhlichste Baracke“ im sozialistischen Lager, das Kadarregime wurde für seinen scheinbar moderaten „Gulaschkommunismus“ klammheimlich gelobt.

Wie gerade das Kadarregime von solchen westlichen Illusionen profitierte, und es zudem geschickt verstand, auch die einheimische oppositionelle Intelligenz mit Versprechungen und Zugeständnissen zu ködern, beschreibt im 'Kursbuch‘ der ungarische Lyriker Istvan Eörsi. Beim Blick in die Zukunft Osteuropa überwiegt bei den meisten 'Kursbuch‘- Autoren die Skepsis. Auch György Konrad, der in den achtziger Jahren seine Vision eines multinationalen, konföderierten und demokratischen Mitteleuropa entwickelte, sieht nun „die Wiedergeburt Europas“ durch „den Fieberwahn des nationalen Fundamentalismus“ ernsthaft bedroht. Richard Wagner schließlich gibt einen wichtigen Hinweis auf die neue geographische Teilung, die sich in Osteuropa abzeichnet: Diese imaginäre Linie verläuft zwischen Ostmitteleuropa und Südosteuropa, zwischen Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Slowenien, Kroatien auf der einen, und Rumänien, Bulgarien, Serbien, Albanien auf der anderen Seite.

Tatsächlich scheint die derzeitige politische Entwicklung diese willkürliche Grenzziehung zwischen demokratischer Zivilisation und „finsterem“ Balkan zu bestätigen. Denn während es in Ostmitteleuropa zu einem radikalen Bruch mit dem Kommunismus gekommen ist, erleben wir in „Balkaneuropa“ eher seine Restaurierung beziehungsweise Modernisierung.

Das 'Kursbuch‘ beläßt es in seiner Darstellung der osteuropäischen Zustände in der Regel bei kursorischen Streifzügen oder subjektiven Erfahrungsberichten. Die detaillierteren Analysen und umfassenderen Betrachtungen zu einzelnen osteuropäischen Ländern finden sich in 'Transit‘, der „europäischen Revue“, die von einem renommierten internationalen Redaktionskomitee geleitet wird.

Die Idee zur Gründung von 'Transit‘ wurde am Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ ausgebrütet, einem transnational ausgerichteten „Institute for Advanced Study“, das seit acht Jahren Wissenschaftler und Intellektuelle aus dem östlichen Europa einlädt, im Rahmen von Forschungsprojekten mit Partner aus dem Westen zusammenzuarbeiten. Im Sinne dieser Zusammenarbeit versteht sich auch 'Transit‘, wie der Name bereits andeutet, als grenzüberschreitendes Projekt, als ein „Medium europäischer Selbstverständigung“, das die vier Jahrzehnte lang unterbrochene intellektuelle Zirkulation zwischen Ost und West wiederherstellen will.

Das erste Heft von 'Transit‘ legt nun eine umfassende, durch enormen Faktenreichtum beeindruckende Bilanz der politischen Veränderungen in Osteuropa vor. In einer souveränen analytischen Momentaufnahme arbeitet Timothy Garton Ash die Kernprobleme des demokratischen Übergangs in Ostmitteleuropa heraus und versucht dafür adäquate politische Kategorien zu finden. Es wird deutlich, daß die alten Gegensatzpaare, wie zum Beispiel links/rechts oder christdemokratisch/sozialdemokratisch, zur Beschreibung der osteuropäischen Parteienlandschaft untauglich sind. Die Ausdifferenzierung der Parteien ist noch nicht abgeschlossen, auch sind demokratische Institutionen und Verfassungsprozeduren noch nicht hinreichend etabliert.

Von dem raschen Wiederaufbau einer „civil society“, dies bekräftigen auch die übrigen 'Transit‘-Beiträge, hängt es jedoch ab, ob die ethnischen Konflikte gebändigt und die autoritären Versuchungen abgewiesen werden können.

Seltsam bleibt, daß in 'Transit‘ das geistesverwandte Projekt 'Lettre International‘ unerwähnt bleibt. Schließlich war 'Lettre‘ die erste gesamteuropäisch orientierte Zeitschrift, die den intellektuellen Brückenschlag nach Osten gewagt hat (und das ohne Geldgeber im Rücken). Die neue 'Lettre‘ überrascht durch die Heterogenität der Themen.

Es erinnert ein wenig an das Kraut-und-Rüben-Prinzip, wenn auf die fast schon obligatorischen Reflexionen zu Mitteleuropa (von Danilo Kis) Beiträge zur Kultur, Mythologie und Literatur Brasiliens, ausgedehnte erkenntnistheoretische Spekulationen über das Verhältnis von Theologie und Kosmologie und schließlich Überlegungen zur Aktualität Bismarcks folgen. Das ist eine auch für Lesenarren kaum zu bewältigende Textstrecke. Aber schon allein die Beiträge von Amitav Ghosh und Viktor Mallet, die das Heft eröffnen, machen die Lektüre von 'Lettre‘ zu einer lohnenden Beschäftigung. Der indische Autor Amitav Ghosh erzählt von den deprimierenden Erfahrungen eines ägyptischen Gastarbeiters im Irak. Viktor Mallet berichtet über den Kulturschock, den die amerikanischen Soldaten bei ihrer Ankunft in Saudi- Arabien erlitten — in einem Land, in dem Frauen noch immer das Autofahren und das Ausüben eines Berufs gesetzlich untersagt ist. Diese beiden Reportagen werfen ein grelles Licht auf die tiefen kulturellen Differenzen zwischen amerikanisch-europäischer und arabischer Welt. Sie liefern damit ein wirksames Gegenmittel zur Desinformationsnarkose, die uns in der Frontberichterstattung zum Golfkrieg tagtäglich verabreicht wird.

Transatlantik , Heft 1 und 2/1991, Postfach 110293, 2 Hamburg 11, je 90 Seiten, je 8 DM

Kursbuch 102 , (1991), Rowohlt Verlag Berlin, Einsteinufer 63a, 1 Berlin 10, 200 Seiten, 13 DM

Transit 1 , (1990), Verlag Neue Kritik, Kettenhofweg 53, 6 Frankfurt/M., 240 Seiten, je 20 DM

Lettre International , Dominicusstr. 3, 1 Berlin 62, 100 Seiten, 13 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen