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Eine Hansestadt funkt SOS

Rostock im Strudel der Wirtschaftsmisere/ „Soziale Katastrophe, die ein Land abstürzen läßt“  ■ Von Lutz Jordan

Rostock. Die alte Hansestadt Rostock funkt SOS. Aus eigener Kraft kommt sie nach Meinung von Oberbürgermeister Klaus Kilimann nicht aus dem Strudel von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und fehlender Wettbewerbsfähigkeit heraus. Rostock ist das wirtschaftliche Zentrum von Mecklenburg-Vorpommern und mit einer Viertelmillion Einwohner auch die größte Stadt des Landes. Von den rund 150.000 Erwerbsfähigen in der Stadt sind schon knapp zehn Prozent arbeitslos — mit rapide steigender Tendenz. Kurzarbeiter und Abgestellte in den sogenannten Warteschleifen kaschieren noch die wahre Situation. Besonders angeschlagen ist der wirtschaftliche Lebensnerv der Stadt — Hafen, Werften und Fischerei. Dort steht ein Drittel der Rostocker Arbeitnehmer in Lohn und Brot. „Eine krisenhafte Lage, bei der die Talsohle noch längst nicht erreicht ist“, sagt Kilimann besorgt. Auf rund die Hälfte der Beschäftigten müsse die Werftindustrie zurückschrumpfen, wenn sie eine Überlebenschance haben wolle. Der Neptunwerft in Rostock droht sogar die vollständige Schließung. Dagegen protestierten am Montag rund 5.000 Belegschaftsmitglieder. Die Werftarbeiter selbst sehen ihr Schicksal ohne Illusion. Der 62jährige Werner Brüschner aus dem Rohrbau meint gefaßt: „42 Jahre habe ich hier malocht. Jetzt werde ich nicht mehr gebraucht. Da gibt es noch Verträge bis 1993 mit den Russen, aber die können nicht zahlen. Ich habe mich damit abgefunden, ab März in den Vorruhestand zu gehen. Andere wird es sicherlich noch härter treffen.“

Der 32 Jahre alte Schlosser Horst Kräxner denkt ans Abwandern: „Hier sehe ich für die Zukunft kaum noch Möglichkeiten. In Lübeck und Hamburg habe ich mich schon mal nach Arbeit umgesehen. Mehr als Gelegenheitsjobs hat man mir da aber auch nicht geboten.“ Gedämpften Optimismus läßt der 27jährige Dirk Schröder erkennen: „Ich bin bei einer Hamburger Fremdfirma, die hier in der Rostocker Warnowwerft Aufträge ausführt, als Instandhaltungstechniker untergekommen. Ich hoffe, daß die mich auch weiter beschäftigen, wenn hier nichts mehr geht.“ Zusätzliche Unruhe hatte eine Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau gestiftet. Darin wurde ein derart düsteres Bild gemalt, daß einige Auftraggeber zusätzlich Sicherheiten von den Werften forderten, wodurch Vorauszahlungen festgelegt werden mußten, und das Geld so nicht für den laufenden Produktionsprozeß eingesetzt werden kann. Bürgermeister Kilimann nannte die Veröffentlichung eine „gezielte und skrupellose Aktion“, um die prekäre Lage der östlichen Werften auszunutzen und durch einen totalen Ausverkauf anderen Unternehmen Geschäftsvorteile zu sichern.

Doch am vergangenen Freitag bestätigte die Werft-Holding Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG das Ausmaß des Desasters (die taz berichtete). Mit keinem der 103 Schiffsaufträge sei auch nur ein Pfennig zu verdienen, sagte Vorstandschef Jürgen Krackow in Hamburg und kündigte die Halbierung der Zahl der Arbeisplätze an. Nicht nur die „Neptun“, auch andere Werften und Zulieferer stehen vor dem Aus. Von einer „sozialen Katastrophe, durch die ein ganzes Land abzustürzen“ drohe, sprach unter anderem der in Hamburg ansässige Bezirksleiter der IG Metall, Frank Teichmüller. Der Regierung unter Ministerpräsident Alfred Gomolka warf er Konzeptionslosigkeit und Ignoranz gegenüber den Lösungsvorschlägen seiner Gewerkschaft vor.

Rostocks Oberbürgermeister hat seine Vorstellungen, um dem „schmerzlichen Prozeß der Werftsanierung“ die größten Härten zu nehmen. „Wir brauchen soviel Zeit und Geld, wie seinerzeit die westdeutschen Werften zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit“, forderte er. Neben Bankbürgschaften bedarf es Großinvestoren aus der Metallindustrie, einer Branche, wo die freigesetzten Werftarbeiter einsteigen könnten. Doch bis auf das umstrittene Investitionsvorhaben der Kraftwerksnetzgesellschaft, wo 2.000 Arbeitsplätze beim Bau des Steinkohlekraftwerks in Rostock geschaffen werden könnten, zeigten sich bislang kaum nennenswerte Interessenten.

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