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Jordaniens Grenze zum Irak verödet wieder

Der Strom der Flüchtlinge ist versickert, nach Hunderttausenden kommen jetzt nur wenige pro Tag/ Auch kommerzieller Grenzverkehr zwischen den beiden Ländern findet kaum noch statt/ Flüchtlinge erzählen vom Chaos in Basra/ Keiner glaubt an schnellen Wiederaufbau  ■ Von Karim El-Gawhary

Ruweished (taz) — Sie wirkt einsam, die Straße zwischen der jordanischen Hauptstadt Amman und dem Kontrollpunkt Ruweished an der jordanisch-irakischen Grenze. Nur wenige Autos kommen uns entgegen. Ein paar jordanische Lkws, beladen mit Autoschrotteilen, wechseln sich mit den Pickup-Fahrzeugen der Beduinen ab. Die Leere der fast schnurgeraden Wüstenstraße ist ein deutliches Zeichen dafür, daß das von der UNO verhängte Wirtschaftsembargo gegen den Irak auch nach dem Ende des Krieges vom Nachbarland Jordanien weitgehend eingehalten wird.

Die Grenzstadt Ruweished ist das, was man üblicherweise als ein „Nest“ bezeichnet. Dutzende von Autowerkstätten, Cafeterias und eine Kaserne säumen den Rand der Straße. Dahinter beginnt gleich wieder die Wüste, was ihr den Flair einer Hollywood-Westernstadt gibt. Die Grenzstation ist der wichtigste Punkt vor Ort. Auch die Grenze selber strotzt nicht gerade vor Lebhaftigkeit. Einige vollbeladene orangeweiße irakische Überlandtaxis warten auf ihre Weiterfahrt nach Amman. Die 20-Liter-Kanister auf dem Rücksitz brauche er für die Fahrt nach Bagdad, sagt einer der Taxifahrer. Er wird sie in Jordanien volltanken, denn das wertvolle Naß ist eine Mangelware im Irak, einem der größten Erdölproduzenten der Welt.

Ein irakischer Bauunternehmer, der mit einer bekannten bayerischen Automarke und einem offensichtlich vollen Tank aus Bagdad kommt, beklagt sich wütend: „Warum gibt es immer noch einen Wirtschaftsboykott, mit dem hauptsächlich die Zivilbevölkerung geplagt wird?“ Er sei auch für die Absetzung Saddam Husseins, nur nicht zum jetzigen Zeitpunkt, sonst falle das Land völlig auseinander. Auf die Frage, ob er sich auf die zukünftigen Bauaufträge freue, antwortet er eher skeptisch: „Das Land ist am Ende“, und selbst die notwendigste Infrastruktur sei zerstört. „Doch das erforderliche Kapital, um das alles wieder aufzubauen, fehlt“, erläutert er die Lage des Landes wenige Tage nach dem Waffenstillstand.

Eine Gruppe algerischer Sufis, einem islamischen Mystikerorden, wartet ebenso auf das Ende der Formalitäten. Den westlichen Nachrichten über die Aufstände innerhalb Iraks soll ich kein Wort glauben, versucht mich ihr religiöser Führer zu überzeugen, während er seinen ellenlangen Bart bürstet.

Die Grenzbeamten hier warten auf die Gruppe von Journalisten, die der Irak aus Bagdad ausreisen ließ. „Peter Arnett ist auch dabei“, sagte in junger Grenzbeamter voller Vorfreude. Der CNN-Korrespondent ist auch in Jordanien zum Fernsehstar geworden. Aber der Konvoi läßt auf sich warten, die Langeweile gewinnt die Überhand, und ein Grenzbeamter begleitet mich schließlich weiter.

Das Flüchtlingslager „Mukhiam“ liegt ungefähr 20 Kilometer hinter dem Grenzposten, im Niemandsland zwischen Jordanien und dem Irak. In der Mitte von Nirgendwo taucht schließlich die Zeltstadt auf. Viel ist tatsächlich nicht mehr los. Im Verwaltungszelt des IRK, des Internationalen Roten Kreuzes, hängen die Statistikkurven der letzten Monate. 5.000 Flüchtlinge wurden zu Beginn des Krieges am 17.Januar im Lager gezählt.

Für den heutigen Tag zeigt die Skala nur 150 an. Die meisten von ihnen sind Ägypter, einige wenige Jemeniten und Sudanesen sind auch darunter. Ahmad Hussein, einer der sieben Mitarbeiter des IRK, beschreibt die Situation im Lager. Die Ägypter blieben meist nur eine Nacht und würden dann am nächsten Tag in Bussen zum Hafen von Akabar im Süden des Landes und anschließend mit einer Fähre nach Ägypten gebracht. Die Sudanesen und Jemeniten würden in einem weiteren Lager innerhalb Jordaniens gesammelt und von dort mit Flugzeugen des IRKs in ihre Heimatländer gebracht.

Warum die Ägypter den Irak auch nach dem Krieg verlassen, wollen sie nicht sagen. „Ihre Verträge sind einfach abgelaufen“, mischt sich ein jordanischer Offizier ein. Die meisten unter ihnen wollen gleich wieder auf Jobsuche im Ausland gehen.

Einige der Flüchtlinge haben viel zu erzählen. Ein Jemenite z.B. hatte Kuwait verlassen, als sich die irakische Armee zurückzog. Zweimal machte er sich auf den zum Teil verminten Weg ins südirakische Basra. „Leichen füllten den Straßengraben“, erzählt er, noch sichtlich mitgenommen. In Basra herrsche Chaos. Zwölfjährige patrouillierten dort mit Maschinenpistolen im Auftrag des Widerstandes in den Straßen, und die schiítischen Führer verfluchten Saddam Hussein. Er jedenfalls sei heilfroh, es bis hierher geschafft zu haben.

Die Zeiten, in denen das Lager von Menschen überquoll, sind vorbei. „Es gab schwere Zeiten“, sagt der IRK-Mitarbeiter, doch Jordanien habe alles in seiner Macht stehende getan, um der Lage Herr zu werden. Über eine Million Flüchtlinge haben seit Beginn der Golfkrise das kleine Land Jordanien passiert. Würde man diese Zahl in Relation auf die USA übertragen, bedeute dies, daß sich innerhalb von sieben Monaten ein Flüchtlingsstrom von 76 Millionen Menschen durch das Land bewegt. Über deutsche Beschwerden wegen der Flüchtlinge aus Osteuropa können die Jordanier nur lachen. So fühlte sich die Regierung während der Krise weitgehend alleingelassen. Die ausländische Hilfe, meist an die Bedingung geknüpft, daß sich das Königreich nicht zu proirakisch äußerte, war ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wenige Tage nach Ende des Krieges sieht es allerdings so aus, als ob die Zelte des Lagers bald abgebrochen werden. Schon heute sieht es gespenstisch aus in seiner Leere. Der Wind bläst durch die fast leere Zeltstadt in der Wüste. Ein halbes Dutzend Busse wartet darauf, die Flüchtlinge von gestern nach Hause zu transportieren.

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