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Die Götter auf Besuch

Das Berliner Ensemble spielt wieder Brecht  ■ Margit Knapp Cazzola

Die Hauptstadt von Sezuan, laut Brecht eine „halb europäisierte Stadt“, wirkt in der jüngsten Premiere des Berliner Ensembles kühl und anonym: die Straße, eine breite, schräge Fläche, schwarz und riesig das Kanalrohr, der Zufluchtsort des Wasserverkäufers, grau die Häuser der Stadt, Stellwände im Hintergrund, die sehr schöne Auftritte ermöglichen, Gänge durchs Labyrinth. Die Prostituierte Shen Te wohnt in einer Bodenluke, der Tabakladen, das Objekt ihres Aufstiegs, schwebt von oben herab und erinnert an eine große bunte Waschmaschine.

Alejandro Quintana setzt in seiner Inszenierung des Brechtschen Parabelstücks Der gute Mensch von Sezuan trotz Stereoradio nicht auf Aktualisierung. Die jungen Leute haben zwar flotte Gesten drauf, aber im Grunde hält man sich an den guten alten Brecht und seine Moral. Gespielt wird, wie der Meister es wollte.

Die Musik von Paul Dessau, wiewohl mit südamerikanischen Klängen erweitert, trägt dazu bei, daß sich das Publikum in das Uraufführungsjahr 1943 zurückversetzt fühlt oder in das Jahr 1957, in dem die Erstaufführung des Berliner Ensembles stattfand. Vorgeführt wird nun Brecht, der Klassiker, bei sich zu Hause.

Die Kostüme der Obdachlosen sind dabei ziemlich elegant geraten. Wenn der einstens arbeitslose Flieger im goldenen Aufsteigeranzug die Bühne betritt, lacht das Publikum.

In langen schwarzen Regenmänteln, wie sie Spione in Comics tragen, besuchen die drei Götter die Hauptstadt. Ihr Eifer, hier einen guten Menschen zu finden, scheint gebrochen, zweifelnd, desillusioniert, abgestumpft queren sie die Weltbühne. Ekkehard Schall umwirbt sie als Wasserverkäufer Wang mit kurzem Atem und polternden Eilschritten, und die rührende Gutgläubigkeit, mit der er sie schließlich bei der Prostituierten Shen Te unterbringt, ist gespielt, wir wissen es.

Carmen-Maja Antoni kehrt die Hure Shen Te nicht hevor, und ihren Wandel zur gütigen naiven Frau gestaltet sie ebenso zurückhaltend. Sie spielt ihre guten und bösen Seiten alle ein wenig trotzig, als wollte sie mitreißend gar nicht sein. In dem kleinen Tabkladen, den sie von dem Übernachtungsgeld der Götter erwirbt, ist sie sanft und liebenswert in ihrem Versuch, ein rechtschaffenes Leben zu führen. Allein, die Menschen sind schlecht in Sezuan, ein Volk von Gaunern und Opportunisten.

Die obdachlosen Freunde, die Shen Te aufnimmt, bringen ihren ganzen Familienclan mit, sodaß die Seitenwände des Ladens geöffnet werden müssen. Sie treten als freche Bagage auf, den Ghetto-Blaster aus der Kantstraße unter dem Arm. Faul und arbeitsscheu sind sie, nicht wirklich notleidend und arbeitslos. Soso.

In seiner Rolle als stellungsloser Flieger überzeugt vor allen anderen Jaecki Schwarz. Seine schönste Geste: Er hat den Strick um den Hals, am Baum festgemacht. Da beginnt es zu regnen, und er setzt noch seine Kapuze auf. Shen Te wird ihn retten — als wüßte er's.

Shen Te verteilt ihre Güte(r), bis der Besitz geschwunden ist. Da gibt es nur mehr einen Ausweg: Sie schlüpft in Männerhosen. Shui Ta, der gestrenge Vetter, dessen Autorität Carmen-Maja Antoni ebenfalls nicht ganz ausspielt, weiß sich der fordernden Armen zu erwehren. Almosen sind seine Sache nicht, er schaut aufs Geschäft, stellt sich mit der Vermieterin und der Polizei gut, setzt die Obdachlosen vor die Tür, rettet den Laden vor dem finanziellen Ruin.

Der Kleiderwechsel findet bald auf offener Bühne statt, das Publikum ist im Bilde: Wenn der böse Shui Ta alles geregelt hat, darf wieder die gute Shen Te auftreten und den Menschen helfen. Die Gute aber braucht den Bösen, anders geht es nicht. Die „Zerreißung der Shen Te“, die Brecht als einen „schrecklichen Akt der bürgerlichen Gesellschaft“ bezeichnete, vollzieht sich in der neuen Inszenierung des Berliner Ensembles mehr als Notwendigkeit innerhalb des Spiels denn als Anklage an die Gesellschaft.

Shen Te/Shui Ta hält an der Doppelrolle so lange fest, bis sie ein Kind erwartet, einen Sohn selbstverständlich, und dem möchte sie eine bessere Zukunft bieten. Mit dieser Motivation — eine Schwachstelle in der Dramaturgie des Stücks — tritt der Wandel ein: vom kleinen Einzelhandel zur großen Industrie. Shen Te, die gute, verschwindet und eröffnet in Gestalt des Vetters eine Tabakfabrik. Ja, so kann man den Leuten helfen, die soziale Lage verbessern. Nun gibt es Arbeit, Essen, Wohnungen.

Wüßte man nicht, daß oberhalb der Bühne der Ast schwebt, an dem sich der arbeitslose Flieger aufknüpfen wollte, man könnte ihn für Brechts knorrigen Zeigefinger halten: Der Tabakladen, der individuelle Weg, führt nicht zur Verbesserung der Lage, erst die Tabakfabrik bildet die Grundlage für eine Veränderung der Verhältnisse.

Daß nun die jüngste Geschichte des Landes genau diese Parabel Lügen straft, davon ist im Berliner Ensemble nicht allzuviel zu spüren. Nur die drei Götter ernten mit Sätzen wie „Ins Wirtschaftliche können wir uns nicht mischen“ oder „Alle wollen Geschäfte machen“ die Lacher des nach Aktualitätsbezügen lechzenden Publikums. Der Ruf nach Tabakläden im eigenen Land aber bleibt in der Interpretation des Berliner Ensembles weithin unkommentiert — was einen etwas schalen Geschmack hinterläßt. Die Inszenierung hätte mehr wagen können und so die Frage schärfer beantworten, warum das Berliner Ensemble, das seit fünf Jahren zum ersten Mal wieder einen Brecht neu einstudierte, in der momentanen wirtschaftlichen Lage ausgerechnet Der gute Mensch von Sezuan spielt.

Immerhin, der offene Schluß spricht auch für sich. Der Lobpreis der Götter und der Epilog sind in der Aufführung gestrichen, sie endet mit Shen Te/Shui Tas Ausruf: „Hilfe!“ Der Tabakladen fährt mit den drei Göttern gen Himmel, was zurückbleibt: Seifenblasen.

Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan. Regie: Alejandro Quintana. Bühne: Manfred Grund. Mit Carmen-Maja Antoni, Ekkehard Schall, Jaecki Schwarz. Berliner Ensemble. Nächste Aufführungen: 16. und 24. April

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